Eine Arbeitswoche ist vergangen, seit ich das Lumia 925 täglich in meiner Hosentasche mit mir führe. Zeit, meine Erfahrungen mit den Apps im Windows Phone Store mit euch zu teilen. Um es vorweg zu nehmen: meine Eindrücke sind gemischter Natur. Vieles fehlt, und das, was da ist, fühlt sich oft nicht richtig rund an. Als iPhone-Hardliner eine eher ernüchternde Erfahrung. Doch von vorne.
Viel Licht, viel Schatten
Auf meinem iPhone 5 befinden sich insgesamt 113 Apps. Von diesen nutze ich aber wirklich nur einen Bruchteil regelmäßig. Dadurch, dass Google aktiv für iOS entwickelt, ist man als iPhone-Nutzer wohlgemerkt auch in einer sehr angenehmen Situation – man muss gegenüber Android auf nichts verzichten, profitiert aber von dem App-Überfluss, den der Apple App Store mit sich bringt. Egal von welcher App man auch hören mag, man kann im Grunde sicher sein, dass auch eine Umsetzung für iOS existiert.
Anders sieht es bei Windows Phone 8 (WP8) aus. Hier hat Google derzeit keine Pläne, hochwertige Apps in Eigenentwicklung beizusteuern. Offiziell, weil Windows Phone noch die Reichweite fehle. Bis eine kritische Masse erreicht sei, sollen WP8-Nutzer auf die webbasierten HTML5-Apps ausweichen. Was verständlich klingt, kann jedoch auch als Kräftemessen der Großen gedeutet werden. So ist die Abstinenz von Google-Apps auf WP8 in jedem Fall für Microsoft ein Wettbewerbsnachteil – auch wenn es demnächst zumindest eine vernünftige offizielle YouTube-App geben soll.
Immerhin: Bei der alltäglichen Nutzung von WP8 fallen die fehlenden Google-Apps gar nicht mal so schwer ins Gewicht, wie ich es vermutet hatte. Man gewöhnt sich an den Zugriff über den Internet Explorer. Auch gibt es zahlreiche YouTube-Apps, die sich in Design und Interface unterscheiden. Hier hat man die Qual der Wahl. Schwerer wiegt da in meinen Augen das Fehlen von Google Maps, Google+ und einer GMail-App mit Push-Unterstützung. Zwar existieren hier auch „Notlösungen“ von Fremdentwicklern, aber reicht deren Umfang nicht annähernd an die fantastischen iOS-Umsetzungen heran.
Nokia Apps machen vieles gut
Darüber sind sich Nokia und Microsoft sicherlich bewusst und tun vieles, um diese Schwäche zu dämpfen. So sind die von Nokia beigesteuerten Apps wirklich sehr schön, meiner Empfindung nach weitgehend intuitiv programmiert und fügen sich nahtlos in die Umgebung von WP8 ein. Zu nennen wäre HERE Maps, das Pendant zu Google Maps, das auch Augmented Reality (LiveSight) und Nahverkehrsinformationen anzeigt.
Mit HERE Drive+ liefert Nokia zudem eine mächtige Navigationslösung mit, die keine Datenverbindung benötigt und weltweit in 95 Ländern funktioniert. So merkt sich HERE Drive+ ähnlich wie Google Now häufig gefahrene Strecken und schlägt in Echtzeit alternative Routen vor, falls beispielsweise ein Stau die freie Fahrt unmöglich macht. In ersten Tests zeigte sich das Navi zuverlässig und intuitiv bedienbar. Werde es allerdings in Kürze auf einer längeren Strecke nochmal ausgiebig auf die Probe stellen.
Auch schön sind die zahlreichen Foto-Apps von Nokia, die durch die Kamera-Ausrichtung der Finnen sehr hilfreich sind. Auf diese kann man direkt über die Kamera zugreifen und hat so sehr viel mehr Tools in der Hand, als standardmäßig beim iPhone. Mit Nokia Cinemagraph ist es beispielsweise möglich, eine witzige Kombination aus statischem Hintergrundbild und Bewegtbild zu erstellen und nach eigenen Vorlieben zu verändern. Sehr praktisch ist auch Nokia Smart Cam, eine App, die mehrere Bilder schnell hintereinander schießt und so anschließend eine Auswahl des besten Bildes oder eine Kombination verschiedener Aufnahmen ermöglicht.
Liste meiner Lieblings-Apps, die für WP8 existieren
So viel zum negativen wie auch positiven Einfluss von Google und Nokia auf die App-Welt von Windows Phone. Doch was helfen die schönsten Foto-Apps, wenn die ein oder andere bei iOS geliebte App schlicht nicht verfügbar ist? Deshalb liste ich jetzt mal all jene Lieblings-Apps auf, die erfreulicherweise auch auf Windows Phone portiert wurden:
- Shazam
- Wikipedia
- WiWo Online
- Viber
- Runtastic Pro
- TripAdvisor
- Post Mobil
- Stern.de
- Angry Birds
- ZDF Mediathek
- Amazon
- MeinProspekt
- ImDB
- DB Navigator
- SkyScanner
- SkyDrive (weil nativ integriert)
Leider bisher nicht für Windows Phone zu finden:
- iOutBank
- Chrome
- Google Plus
- Hostelworld
- On Air
- Tagesschau
- Spiegel Online
- Payback
- Vine
- Badland
- Netzfinder
- DHL Paket
- Geizhals.de
- Saturn
- Steam
- Snapseed
- Google Maps
Für Vine existiert eine sehr gute Fremd-App namens 6sec, die der Vine-App in nichts nachsteht. Eine passende Banking-App als Kunde der Sparda-Bank zu finden, erwies sich als schwierig. Allerdings fand ich mit Sparkasse+ (0,99 Euro) und StarMoney (4,49 Euro) zwei kostenpflichtige Apps, die ähnliche Leistungen bereitstellen, wie meine Standard-App iOutBank bei iOS. Hier gefiel mir die Möglichkeit sehr, Kauf-Apps erst zu testen, bevor man sie endgültig kauft. Im Apple App Store besteht diese äußerst kundenfreundliche Option nicht.
Richtig bitter ist für mich als Mainzer, dass keine App für das regionale Mietradsystem existiert. Freie Mieträder und Rückgabe-Stationen ausfindig zu machen muss so immer umständlich über den Browser geschehen. Das geht zwar, nervt aber.
Wie auch Apple lässt Microsoft bei seinem mobilen System außerdem keine fremden Browser-Architekturen zu. Somit basieren alle verfügbaren Alternativ-Browser auf der Engine des mitgelieferten Internet Explorer. Dieser funktioniert für eine mobile Version überraschend gut, zoomt wie auch Safari intelligent an Texte auf Webseiten heran und ist für die mobile Nutzung auf jeden Fall in Ordnung. Bisher vermisse ich lediglich den Lesemodus des Safari. Wer hätte gedacht, dass mich der IE in diesem Leben noch einmal positiv überraschen kann?
Viele Apps noch recht fehlerbehaftet
Was nun von der App-Vielfalt relativ verschmerzlich aussieht, sorgt bei näherer Betrachtung trotzdem für Ernüchterung. Die schlichte Verfügbarkeit einer App sagt nämlich nichts über deren Qualität aus. So haben viele WP8-Apps noch erheblichen Nachholbedarf. Da wäre der Messenger WhatsApp, der Push-Benachrichtigungen teils zu spät oder gar nicht zustellt. Bis zum letzten Update war es wohl noch schlimmer. Leser Jens sagte mir über Twitter, „das war mehr ein Briefkasten mit willkürlicher Leerung“. Als verwöhnter iPhone-Nutzer ein Schritt zurück in tot geglaubte Zeiten.
Besser könnte auch die Ausbeute des verfügbaren Platzes sein. Trotz der Größe des Lumia-Displays (4,5 Zoll) sieht der Benutzer beim Antworten auf eine Nachricht nur wenig des vorangegangenen Dialoges, wie man auf der folgenden Bilderstrecke sehen kann. Auch hier ist das iPhone auf seinen vergleichbar knappen 4 Zoll effizienter:
Facebook-App erinnert an Spritzigkeit von Windows Mobile
Auch wirkt die Facebook-App – ich testete auf Anraten von Leser mini auch die neue Beta – bei WP8 wie eine schlechte Web-Portierung. Das Design orientiert sich am schicken, flachen WP8-Design, schafft es aber nicht zu überzeugen. Keine Chat-Blasen wie bei iOS, hakelige Navigation und langsame Antwortzeiten sorgen für Kopfschütteln. Die Nachrichten-Integration ist auch eher unpraktisch, statt echten Nutzen zu stiften: So kommt es immer wieder vor, das die herausfahrende Tastatur vorhergehende Nachrichten verschluckt. Ebenso passierte es, dass bei einer überlangen Nachricht nach einiger Zeit ein Link mit der Aufschrift „mehr anzeigen“ den Textfluss unterbrach. Ein Klick führte mich in den Internet Explorer zum Facebook-Login. Fazit: Ganz und gar nicht konkurrenzfähig.
Die Twitter-App gefällt mir vom Design her recht gut. Doch strengt hier an, dass Tweets nicht immer sofort automatisch in die Timeline geladen werden, sondern ein manueller Reload nötig ist. Klappt nach dem zweiten, dritten Versuch dann irgendwann. Öffnet man die App neu, muss man manuell die neuen Tweets laden. Bin ich anders gewohnt, erfordert womöglich schlicht ein wenig Eingewöhnung. Ärgerlicher ist, dass die Twitter-App ähnlich wie WhatsApp öfter Erwähnungen in Form von Push-Meldungen viel zu spät oder gar nicht zustellt. Bei iOS dauert es hingegen sehr zuverlässig nur wenige Sekunden, bis eine Benachrichtigung bei neuen Erwähnungen, Followern oder Nachrichten eintrifft.
In meinem Falle witzig war ein Bug von HERE Drive. Nach der Eingabe einer Teststrecke beendete ich das Programm mit einem Druck auf die Windows-Taste. Eine Stunde später (!) meldete sich dann die Stimme des Navis zu Wort und sagte mir, ich solle jetzt rechts abbiegen. Dabei hatte ich mich weder vom Fleck bewegt, noch das Lumia in die Hand genommen. Ich musste lachen. Im falschen Moment an einem unglücklichen Ort wäre ich vor Scham im Boden versunken.
Multitasking unausgereift
Das HERE-Beispiel enttarnt eine weitere Schwachstelle von Windows Phone 8: So kann man zwischen einzelnen Apps mit einem langen Klick auf die Zurück-Taste wechseln, ähnlich dem Schein-Multitasking bei iOS. Allerdings räumt WP8 in dieser Ansicht keine Möglichkeit ein, die offenbar eingefrorenen Apps auf Wunsch doch zu schließen, so wie es bei iOS oder Android möglich ist. Mehrmaliges Drücken des Zurück-Buttons erlaubt zwar das Schließen, aber eben nur in der festen Reihenfolge der Übersicht. Selektion? Nur möglich, wenn man die App wieder öffnet und sie dann schließt. Ein selektives Schließen in der Übersicht wäre schöner.
Auch das System hat noch Kinderkrankheiten
Innerhalb des Systems sind es Kleinigkeiten, die mein persönliches Benutzererlebnis trüben. Da wäre die fehlende Möglichkeit, das Gerät über die Seitentasten lautlos zu stellen, sofern Vibration in den Einstellungen aktiviert ist. Entweder Vibration an, dann laut oder ohne Ton, aber vibrierend. Oder aber eben Vibration ausgeschaltet. Das ist sehr nervig, wenn man wie ich nachts nicht einmal ein Vibrieren vernehmen möchte, tagsüber aber in lautloser Umgebung nicht auf Vibration verzichten kann. Bei Windows Phone ist ein Wechsel dieser Umgebungen nur umständlich über die Einstellungen, nicht aber über die Schnellwahltasten an der Außenseite möglich. Kollege Christian gab mir den Tipp, einfach eine Kachel zu den Einstellungen anzulegen. Das erleichtert den Wechsel der Umgebungen zwar, ist in meinen Augen aber trotzdem noch verbesserungsfähig.
Mir fiel auch auf, dass einige Apps selbst im Lautlos-Modus Töne von sich gaben. So geschehen bei Viber. Ein Test der Kamera brachte in einer lautlosen Umgebung keine ungewollten Töne hervor, womit ich eine der Fragen von Leser Max beantworte. Um einen weiteren Punkt von ihm klar zu stellen: ja, beim Bearbeiten von Google-Kontakten gleicht das Windows Phone diese Änderung mit dem Google-Server ab. Dies gilt auch für Kalender-Einträge – cardDAV und calDAV-Unterstützung sei Dank. Hier gilt es aber zu beachten, dass der Abgleich innerhalb der Abfrage-Zyklen erfolgt, die in den Einstellungen festgelegt sind. Push wie beim iPhone ist nicht möglich.
Viele Nutzer haben darüber hinaus offenbar ein Problem mit der Anmeldung bei Facebook innerhalb der in WP8 implementierten Chatfunktion. Auf diesen Missstand machte mich ein Leser über Twitter aufmerksam. In den Foren von WPCentral wird dieser Fehler schon seit einiger Zeit diskutiert, eine Lösung dafür existiert aber nicht. Bei mir funktionierte die Anmeldung beim Chat glücklicherweise einwandfrei.
Viele offene Baustellen
So viel zu meinen bisherigen App-Eindrücken in der Welt von Windows Phone. Trotz der vielen kleinen Bugs und Unstimmigkeiten gefällt mir das Design der Oberfläche weiterhin sehr gut. Ich würde sogar so weit gehen, dass das Konzept im Gegensatz zur etwas angestaubten Struktur von iOS auf mich erfrischend wirkt. Jedoch merkt man doch an vielen Ecken, dass Windows Phone noch einiges aufzuholen hat. Die Nokia-Apps sind wirklich hervorragend, funktionieren tadellos und bereichern die Smartphone-Erfahrung sehr. Schade, dass dieses positive Bild von fehlenden Google-Apps und immer noch fehlerbehafteten Portierungen wie WhatsApp getrübt wird.
Weiter geht die Zeit mit dem Nokia Lumia 925. Ich melde mich bald wieder mit einer Kamera-Gegenüberstellung zu Wort und widme mich etwas intensiver der Hardware. Bis dahin stehe ich euch weiterhin gerne über Twitter und die Kommentarfunktion zur Verfügung.
Bilder: Screenshots; Michael Müller / BASIC thinking
Zum Nachlesen: Alle Teile der Serie im Überblick
- Windows Phone im Selbstversuch: Zwei Wochen Nokia Lumia 925 statt iPhone 5 – Der erste Eindruck
- Windows Phone im Selbstversuch, Teil I: Zwei Wochen Nokia Lumia 925 statt iPhone 5 – Die Apps
- Windows Phone im Selbstversuch, Teil II: Zwei Wochen Nokia Lumia 925 statt iPhone 5 – Die Hardware
- Windows Phone im Selbstversuch, Teil III: Zwei Wochen Nokia Lumia 925 statt iPhone 5 – Die Kameras
- Windows Phone im Selbstversuch, Teil IV: Zwei Wochen Nokia Lumia 925 statt iPhone 5 – Die HERE Drive Navigation
- Windows Phone im Selbstversuch, Teil V: Zwei Wochen Nokia Lumia 925 statt iPhone 5 – Das Fazit