Microsoft hatte wohl Größeres vor: Der Software-Konzern wollte einen Online-Marktplatz aufbauen und damit Amazon und eBay das Leben schwer machen. Doch das Vorhaben mit dem Codenamen „Brazil“ (man beachte die sinnige Wortwahl – wohl ebenfalls ein Wink Richtung Amazon) wurde vor kurzem gestoppt, wie nun eine Microsoft-Sprecherin einräumte.
Gespräche mit Händlern und IT-Dienstleistern
Ziel eines entsprechenden Online-Ladens wäre es gewesen, zahlreiche Online-Händler einzubinden, über die der User sämtliche Artikel in einem Einkaufswagen bestellt und bezahlt und mit unterschiedlichen Versandoptionen nach Hause schicken lassen kann. Das hört sich ziemlich nach einer direkten Amazon-Kopie ein, wenn man mal davon absieht, dass man bei Amazon bei den Versanddienstleistern nicht immer eine Wahl hat.
Wie weit fortgeschritten die Planungen eines eigenen digitalen Marktplatzes waren, ist unbekannt, doch der Konzern war bereits in Gesprächen mit Händlern und IT-Dienstleistern. Auch an die Endkonsumenten hat Microsoft gedacht: Um attraktive Sonderangebote der Verkäufer realisieren zu können, hätten Händler einen Zuschuss in Form von kostenloser Bing-Werbung bekommen sollen.
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Microsofts Ökosystem eignet sich für den Online-Handel
Das Vorhaben klingt durchaus logisch: Mit Windows 8, Windows Phone 8, der Xbox und dem Surface hat man genügend Endgeräte im Angebot, auf denen Microsoft einen digitalen Shop hätte integrieren können und über Bing hätte man die Verknüpfung von Suchmaschinenwerbung zum Einkaufswagen geschafft. Allerdings muss Microsoft ja immer daran denken, bei Bundling-Angeboten nicht gleich die EU-Kommission zu verärgern.
Dennoch: Der Plan, einen Amazon-Konkurrenten aufzubauen, macht für die Redmonder durchaus Sinn, zumal die globalen eCommerce-Umsätze dieses Jahr um 18 Prozent auf bei 1,3 Billionen Dollar wachsen sollen. Gleichzeitig stellt sich aber die Frage, wieso man nun vorzeitig aufgibt und warum das „Wall Street Journal“ darüber informiert wurde.
Wer hat den Plan der Presse gesteckt?
So etwas passiert ja selten ohne Hintergrund, auch wenn ich mir gerade nicht sicher bin, ob jemand Amazon und eBay warnen wollte oder darauf hoffte, dass Microsoft es sich unter einer Welle öffentlicher Ermutigung noch einmal anders überlegt. Denn insbesondere unter Geschäftspartnern ist Amazons Vorgehensweise nicht gerade beliebt.
Das Ziel, Amazon und eBay mit ihrer 20 Jahre langen Erfahrung ernsthaft in Bedrängnis zu bringen, ist zwar ambitioniert; doch Konkurrenz belebt das Geschäft und davon profitiert unterm Strich der Kunde.
Google arbeitet an der Amazon-Konkurrenz
Wobei Microsoft sicherlich nicht der einzige ist, der neidisch auf den schweren eCommerce-Geldtopf schielt. Gerade Google arbeitet mal mehr, mal weniger an seinen Plänen in den Online-Handel einzusteigen.
Google Checkout hat sich nicht so entwickelt, wie erhofft und wurde daher durch Google Wallet ersetzt, das sich allerdings auch noch nicht vollständig durchgesetzt hat. Doch gleichzeitig experimentiert der Suchmaschinenkonzern in San Francisco mit Same-Day-Delivery und baut sein Vergleichsportal Google Compare aus.
Google experimentiert, Microsoft wartet ab
Hier werden auch die unterschiedlichen Philosophien deutlich: Google geht nach der Spaghetti-Taktik vor, experimentiert viel und hofft, dass irgendetwas davon gelingt. Zur Not wird der neue Dienst beim jährlichen Frühjahrsputz wieder eingestellt.
Microsoft hingegen ist bedächtig, fast behäbig, und für einen Technologiekonzern vergleichsweise innovationsscheu. Man plant lieber etwas durch und tritt dann mit dem fertigen Produkt vor die Presse. Leider garantiert dieser Ansatz keine besseren Erfolgsquoten, wie Steve Ballmer beim Surface RT und jetzt jüngst bei der Xbox One erfahren musste.
Doch ungeachtet dessen: Ich würde mir wünschen, dass „Brazil“ nicht sofort begraben wird. Der Kunde kann eigentlich nur gewinnen, wenn Amazon ein wenig (mehr) Gegenwind spürt.
Bild: online shopping or internet shop concepts / Shutterstock.com