„Ein kleiner Skandal rollt an“ lautete meine klare aber zurückhaltende Einschätzung, als die Drosselungspläne der Telekom Ende März an die Öffentlichkeit tröpfelten. Dass ich damit Recht behalten sollte untertrieben habe, zeigt der massive Aufschrei der Allgemeinheit, den die konkrete Umsetzung der Flatrate-Abschaffung in den letzten beiden Tagen lostrat. Doch worum geht es überhaupt? Wo stecken die skandalösen Züge in den Änderungen? Und steht die Telekom tatsächlich alleine da? Was sagen Journaille, Volk und Politik? Ich habe mich umgeschaut, Daten und Fakten zusammengetragen und ein Fazit gezogen.
Zurück in die Steinzeit. Und noch weiter.
Seit Dienstag dieser Woche ist die Katze aus dem Sack: alle Festnetz-Neuverträge mit DSL, die ab dem 2. Mai bei der Telekom abgeschlossen werden, beinhalten eine feste Volumengrenze, ab der eine Radikal-Drosselung der Bandbreite von 16, 25, 50 oder gar 100 Megabit pro Sekunde (Mbit/s) auf magere 384 Kilobit pro Sekunde (Kbit/s) vorgenommen wird. Zwar wird die Drosselung nach Aussage der Telekom frühestens ab 2016 auch tatsächlich durchgeführt, doch hat diese Beerdigung unbegrenzter Flatrates schon heute gehörig Zündstoff geladen. Der Knackpunkt liegt dabei gar nicht unbedingt in der Abkehr von Pauschaltarifen – vielmehr öffnet die Telekom die Tür zu einem Zwei-Klassen-Netz, in dem die Netzneutralität gefährdet und teilweise sogar aufgehoben wird.
Doch worum geht es bei der Netzneutralität eigentlich? Wohin man beim Drosselungs-Thema gegenwärtig auch schaut, überall fällt das Schlagwort „Netzneutralität“. Mit gutem Grund, steht der Grundgedanke des Internet doch auf genau diesen Grundfesten. Konkret ist damit gemeint, dass Datenpakete, ganz unabhängig von Herkunft, Ziel und Inhalt gleichbehandelt und wertneutral von A nach B transferiert werden. Keine Schranken. Keine Unterscheidung. Kein Filtern. Die Internetanbieter und Netzbetreiber sind dabei für den Transport dieser Daten zuständig. Für sonst nichts! Es verhält sich ähnlich wie bei der Post: Man gibt ein Paket auf und kann dank Sendungsverfolgung sicher sein, dass es ankommt. Dabei regelt das Briefgeheimnis, dass es den Dienstleister nicht zu interessieren hat, was er letztlich transportiert. Die Netzneutralität portiert dieses Prinzip quasi in die digitale Welt, ist jedoch in Deutschland nirgendwo festgeschrieben oder gar Gesetz. Und genau dort liegt das Problem.
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Angriff auf die Netzneutralität
Mit dem Vorstoß der Telekom, ab Mai eine Unterscheidung der übertragenen Daten vorzunehmen, tritt sie die Netzneutralität mit Füßen. Hierfür verantwortlich ist die Freistellung von Datenvolumen, das von eigenen Diensten und Services (beispielsweise T-Entertain) produziert und von sonstigem übertragenen Volumen freigestellt wird. Nach heutigem Kenntnisstand ausgenommen sind Entertain-Streamingdaten ebenso wie Bits und Bytes, die durch Telekom-Internettelefonie (VoIP) zustande kommen. Heißt: ob Lovefilm, Maxdome, Watchever oder gar YouTube – der On-Demand-Wettbewerb wird zu Gunsten von Telekom-eigenen Diensten verzerrt. Nachteile entstehen. Wer will schließlich sein begrenztes Freivolumen fürs Streaming eines HD-Filmes belasten, wenn die Radikal-Drosselung schon nach 75 Gigabyte (GB) im Monat an die Tür klopft? Die logische Folge wird sein, dass ebenso vereinzelt externe Dienste vom Inklusivvolumen freigestellt werden – gegen Aufpreis. Veranschaulicht und zynisch ad absurdum geführt hat dies der ehemalige BASIC thinking-Autor André Vatter in einem Schaubild:
Dem nicht genug. Technisch muss man sich darüber im Klaren sein, dass die übertragenen Datenpakete von Seiten der Telekom logischerweise analysiert werden müssen. Dies wird durch Deep Packet Inspection (DPI) möglich. Dieses Analyseverfahren schaut sich nicht nur den Header-Teil eines Datenpaketes an, sondern dringt bis in den aufwendigen Daten- und Informationsteil vor, um herauszufinden, ob es sich um „eigene“ oder „fremde“ Daten handelt. Nun könnte man sagen, dass dies einen Eingriff in die Privatsphäre darstellt. Ich frage mich aber vielmehr, was solcherlei Informationen überhaupt beim Internetanbieter zu suchen haben?
Rückkehr zur Vorratsdatenspeicherung
Richtig absurd wird die Frage nach der Rechtmäßigkeit dieser tiefen Paketanalyse und möglichen Speicherung von sensiblen, personenbezogenen und privaten Daten dann, wenn man sich vor Augen führt, dass mit der Abkehr der Flatrate auch das durch große Kämpfe fest verschlossene Tor zur Vorratsdatenspeicherung wieder aufgebrochen wird. „Vorratsdaten durch die Hintertür“, schreibt Rechtsanwalt Udo Vetter in seinem Law Blog. Nur bei Flatrate-Tarifen sind die Verkehrsdaten des Benutzers für rechnungstechnische Zwecke unerheblich. Bei Volumentarifen ist dem nicht so. Die Speicherung der Daten auf Vorrat und länger als sieben Tage, wie derzeit bei der Telekom üblich, ist legal. Und der Datenschutz? Tja…
Breite Kritik in der Medienlandschaft. Auch Politik erwacht.
Dass die Netzneutralität ein hohes und vor allem schützenswertes Gut der digitalen Gesellschaft ist, zeigt das ausgeprägte Kopfschütteln von Menschen, die mit dem Internet eng verbunden sind. So schreibt Katharina Nocun, ehemals Referentin für digitale Verbraucherrechte beim Verbraucherzentrale Bundesverband und Mitglied der Piratenpartei, sie habe das Netz als eine „gigantische Masse der absurdesten und komischsten und interessantesten und liebenswertesten Seiten“ kennengelernt. Es gäbe nichts, was es nicht gibt. „Ich will nicht, dass das Netz immer mehr von wenigen großen Unternehmen bestimmt wird“, so Nocun in einem Blogeintrag. Das Internet sei mehr als Facebook, Spotify und Skype. Wie wahr.
Sascha Lobo schreibt auf Spiegel Online, die Telekom erdrossele das Internet: „Das ist der Anfang vom Ende der Netzneutralität – wenn niemand einschreitet“. Es räche sich bitter, dass die Bundesregierung „das Internet als politische Verhandlungsmasse“ betrachte und nicht als „gesellschaftliche, kulturelle und ökonomische Zukunft“.
Bundesregierung? Politik? Sascha Lobo spannt den Bogen zu den obersten Entscheidern des Landes. In Hinblick auf die Schlagworte Netzneutralität, Datenschutz und Freiheit verwundert das kaum. Es scheint, als sei die Wichtigkeit der Netzneutralität endlich auch in Berlin angekommen. So wendet sich Bundeswirtschaftsminister Rösler persönlich an Telekom-Chef Obermann, Verbraucherministerin Aigner verlangt eine Prüfung der Angelegenheit. Ähnliche, wenngleich auch radikalere Töne aus der Opposition. So bringt die SPD eine Initiative zur Absicherung der Netzneutralität auf den Weg. Ziel soll es sein, die Netzneutralität durch ein Gesetz zu wahren. Der netzpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Lars Klingbeil stellt fest: „Es gibt bereits heute zahlreiche Verletzungen der Netzneutralität und die aktuellen Vorhaben gefährden die Netzneutralität massiv“.
Netzneutralität schwankt heute schon. Vielerorts.
Stellt sich die Frage, wo die von SPD-Mann Klingbeil heute schon existenten Verletzungen der Netzneutralität zu finden sind? Im Mobilfunk wäre die Kooperation zwischen Spotify und Telekom zu nennen. Diese erlaubt es dem Kunden für knapp 10 Euro im Monat unbegrenzt Spotify-Daten aufs Smartphone zu streamen, Premium-Account inbegriffen. Das mobile Surfvolumen bleibt unberührt. Der Aufreger blieb hier bisher aus, weil es sich schlichtweg nicht um „freien“ Datenverkehr, sondern um eine Ende-zu-Ende-Kommunikation zwischen der Spotify-App, einem Benutzer-Account und den Spotify-Servern auf der anderen Seite handelt. Die Telekom stellt lediglich die Infrastruktur zur Verfügung und die Spotify-Daten frei. Eine Notwendigkeit der tiefen Paketanalyse ist so gesehen nicht notwendig, da sich die Daten exakt zuordnen lassen. Kein echter Verstoß gegen den Grundgedanken der Netzneutralität, wie ich finde.
Ähnlich unaufgeregt sieht es bei der DSL-Konkurrenz der Telekom aus. Es ist nicht neu, dass auch 1&1 und o2 (Telefónica) entsprechende Drosselungs-Punkte in ihre AGB aufgenommen haben. So senkt 1&1 in seinem Surf&Phone Flat Special-Tarif (Vgl. S. 2 der AGB) die DSL-Bandbreite auf 1 Mbit/s, sobald ein Datenvolumen von 100 GB erreicht ist. Alle anderen Tarife sind weiterhin unbegrenzt. o2 senkt die Datenrate der DSL-Anschlüsse „in einigen Regionen ab einem Datenvolumen von 50 GB/Monat“ auf 1 Mbit/s, wie in der Produktbeschreibung nachzulesen ist. Allerdings sehe ich auch hier keine Verletzung der Netzneutralität – keine Dienste werden priorisiert, die Drosselung offen kommuniziert. Das ist vielleicht nicht ideal, aber fair.
Ein wenig prekärer verhält es sich bei Kabel Deutschland. Dort heißt es auf Seite 5:
Lädt ein Kunde an einem Kalendertag ein Gesamtdatenvolumen von mehr als 10 GB herunter, ist Kabel Deutschland berechtigt, die ihm zur Verfügung stehende Übertragungsgeschwindigkeit ausschließlich für Filesharing-Anwendungen bis zum Ablauf desselben Tages auf 100 Kbit/s zu begrenzen.
Faktisch gilt bei Kabel Deutschland derzeit noch ein Filesharing-Tagesvolumen von 60 GB – die in den AGB verankerten 10 GB sind somit ein eher absichernder, theoretischer Wert. Neben P2P-Tauschbörsen fließen auch die übertragenen Daten von One-Click-Hostern wie RapidShare in das Filesharing-Kontingent ein. Die Überprüfung des Datenflusses wird mit Hilfe einer „marktüblichen Software“ realisiert. Was das genau heißt ist unklar. Eine Analyse der Datenpakete dürfte aber nötig sein, was im Kontrast zur Netzneutralität stünde. Auch wird „Filesharing“ somit allgemein verteufelt, was in Zeiten von Torrent-Netzwerken und der intelligenten Verteilung von Ressourcen keinesfalls zeitgemäß ist.
Aktuell haben wir keine Pläne, die DSL-Geschwindigkeit unserer Kunden nach bestimmtem Verbrauch zu #drosseln @netzpolitik #drosselung ^mh
— VodafonePressestelle (@vodafone_medien) 23. April 2013
Bei Vodafone hält man sich bedeckt und sagt, „aktuell“ seien keine entsprechenden Änderungen vorgesehen. Aktuell. Ein Wort, an dem sich viele stören. Nach betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten ist dies allerdings keine Täuschung, sondern lediglich ein Hintertürchen, das man sich in Düsseldorf offen lässt. Märkte verändern sich, wer weiß was morgen ist. Ich würde dort nicht zu viel hinein interpretieren. Bei Netzpolitik will man von Insidern erfahren haben, dass Vodafone der Telekom folge. Offiziell verwies man mich auf Nachfrage bei der Pressestelle auf das öffentliche Dementi. Auch hier heißt es, genau wie bei allen übrigen bisher nicht drosselnden Internetanbietern: abwarten.
Wie geht es jetzt weiter?
Zum jetzigen Zeitpunkt sieht es so aus, als halte die Telekom an ihren radikalen Drosselungs-Plänen weiterhin fest. Neben den Vorgängen in der Politik und der täglich anhaltenden negativen Berichterstattung kämpft ein Schüler mit einer Online-Petition, gemessen an der Anzahl der Unterzeichner (derzeit über 35.000), sehr erfolgreich gegen die Drosselung. Ob es letztlich etwas bringt muss die Zeit zeigen. Gegenwind, ganz egal woher, ist in jedem Falle immerhin ein Zeichen dafür, wie wichtig die Netzneutralität in der heutigen Gesellschaft tatsächlich ist.
Dass die Telekom viel Geld in den Netzausbau stecken muss, ist richtig. Von 80 Milliarden Euro ist die Rede, fragt sich nur wofür? Immer mehr Bandbreite in Verbindung mit weniger leistungsfähigen Tarifen macht wenig Sinn. Nach Angaben der Bundesnetzagentur surfen schon heute 12 Millionen Bundesbürger bei der Telekom durchs Netz. Dass verhältnismäßig wenige Poweruser die Kalkulation eines Großkonzernes zerschießen sollen, bei dem ein Kunden-Mischmasch aus Rentnern, Singles, Studenten und Familien für ein konsistentes Bild sorgt, ist schlichtweg absurd. Ganz zu schweigen von der Dominanz des Backbone der Deutschen Telekom, durch das Peering-Entgelte und Netzübergabekosten ins Geringste sinken.
Es kann nicht das Datenaufkommen sein, das der Telekom sauer aufstößt. Auch sind es nicht die Poweruser. Es dürfte vielmehr die Absicht dahinter stecken, eigene aufpreispflichtige Dienste im eigenen Netz zu priorisieren und damit für selbst geschaffene Wettbewerbsvorteile zu sorgen. Stichwort Entertain. Stichwort VoIP. Das darf nicht sein. Beziehungsweise darf es das nur dann, wenn die Chancen für Traffic-lastige Konkurrenzprodukte gleichgestellt sind. Andernfalls schafft sich die Telekom durch Marktmacht selbst ein Monopol. Fast wie früher. Nicht mehr zeitgemäß.
Ein kurzes Fazit nach langem Text
Netzneutralität ist das höchste Gut der digitalen Gesellschaft. Setzen wir diese aufs Spiel, gefährden wir Datenschutz, Innovation und Wachstum. Dies darf nicht geschehen, weshalb jegliche Vorgänge die diesen Grundgedanken gefährden, aufs Schärfste kritisiert werden müssen. Freivolumen hin oder her, eine Analyse und Unterscheidung von übertragenen Datenpaketen darf nicht rechtmäßig sein. Das Netz lebt von Freiheit. Kämpfen wir dafür!