Zugegeben, der Gedanke klingt verlockend: Twitter hat 500 Millionen User, die alle drei Tage mehr als eine Milliarde Tweets verschicken – da müsste es doch möglich sein, die öffentliche Meinung herauszufiltern und künftig auf Umfragen zu verzichten. Doch eine US-Studie empfiehlt, das besser nicht zu tun.
Twitter-Meinung weicht zum Teil stark von Umfragen ab
Wie das ziemlich anerkannte Pew Research Center herausgefunden hat, weicht die Meinung auf Twitter zum Teil stark von der öffentlichen Meinung ab, die sich aus traditionellen Umfragen ergibt. So wurden acht große Politik-Events in den USA beobachtet, unter anderem die US-Wahl, die erste TV-Debatte zwischen Präsident Barack Obama und Herausforderer Mitt Romney und die Gleichstellung der Homo-Ehe durch das kalifornische Bundesgericht.
Dabei zeigte sich, dass die Twitter-User sich häufig deutlich liberaler zeigten und linksorientierter sind als der Durchschnittsamerikaner. Der Grund: Twitter-User sind jünger und wählen tendenziell demokratisch und sind somit nicht repräsentativ für die USA. Die Erkenntnisse sind jetzt nicht gerade überraschend, wenn man eine gesunde Portion Menschenverstand an den Tag legt – Quantität macht Nicht-Repräsentativität schlichtweg nicht wett.
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Twitter eignet sich für Prognosen in der realen Welt
Und doch zeigt sich in den letzten Jahren vermehrt, dass Twitter ein mächtiges Tool ist, um Prognosen in der realen Welt zu treffen. So lässt sich der Erfolg eines Hollywood-Streifens an der Kinokasse mit erstaunlicher Genauigkeit prognostizieren, der geografische Verlauf von Pandemien lässt sich vorhersagen und japanische Forscher konnten zeigen, dass ein Erdbebenwarnsystem, das auf Tweets beruht, die Bevölkerung schneller informiert, als die offizielle Meteorologie-Agentur Japans.
Forscher der TU München konnten auch zeigen, dass Twitter in der Tat mit den Umfragen zur Bundestagswahl 2009 korrelierte – im Schnitt wich der prozentuale Anteil der Tweets pro Partei um 1,65 Prozentpunkte vom amtlichen Endergebnis ab – damit liegt man zwar leicht hinter den Fehlermargen der üblichen Forschungsinstitute, doch die Abweichung hält sich noch ziemlich in Grenzen.
Twitter-Studie: Anzahl und Sentiment
Nahezu alle Studien auf diesem Gebiet basieren darauf, die Anzahl der Tweets zu einem Thema über einen gewissen Zeitraum zu messen und deren Sentiment zu analysieren, sprich äußert sich der Absender positiv oder negativ. Grundsätzlich ist bei den meisten Studien die Anzahl der Tweets aussagekräftiger – wird Barack Obama häufiger erwähnt – egal, wie – ist es wahrscheinlicher, dass er gewinnt.
Gerade bei politischen Twitter-Analysen fällt allerdings auf, dass die User äußerst negativ, ironisch und sarkastisch schreiben. Bei Hollywood-Filmen und der Prognose, wer einen Oscar erhält, dominiert hingegen eine positive Stimmung. Auch ich arbeite gerade an einer Studie in der ich untersuche, ob sich anhand von Tweets prognostizieren lässt, wie viele Alben von einem Künstler verkauft werden – bislang bestätigt sich die positive Stimmung für Entertainment-Themen.
Öffentliche Meinung entspricht nicht der Wahrscheinlichkeit eines Ereignisses
Wer hat nun Recht – das Pew Research Center oder die zahlreichen anderen Studien? In gewisser Weise beide, denn Pew beschränkt sich auf die Aussage, dass sich die öffentliche Meinung nicht auf Twitter widerspiegelt. Twitter-Prognosen werden nicht in Frage gestellt. Und dennoch basieren manche Twitter-Prognosen, wie zum Beispiel zur Entwicklung des Aktienmarkt auf einer Sentiment-Analyse der „öffentlichen Stimmung“ auf Twitter.
Solange man dabei Korrelation und Kausalität auseinanderhält und keine Repräsentativität benötigt, ist das jedoch absolut in Ordnung. Wer aber wissen will, wie Deutschland zu Stuttgart 21, Peer Steinbrück und der Homo-Ehe steht, sollte nicht alles für bare Münze nehmen, was im Twitter-Universum gepostet wird.