Im Herbst letzten Jahres zog „Bild“-Chefredakteur Kai Diekmann gemeinsam mit zwei weiteren Springer-Managern ins Silicon Valley, um neue Ideen für das digitale Wachstum aufzutun. Der Schritt überraschte, doch ProSiebenSat.1 hat die Idee wohl gefallen und schickt nun zwei seiner Top-Manager ebenfalls nach Kalifornien.
ProSieben sucht nach „Future TV“
Arnd Benninghoff, Chief Digital Officer, und Marc Elbers, der den Bereich Format-Research und Development verantwortet, sind Diekmann nun nachgereist und haben in Palo Alto, Apples Hauptsitz, ein Büro bezogen. Die nächsten sechs Monate sollen die beiden neue Geschäftsfelder erschließen und sich technologische Entwicklungen im Bereich „Future TV“ abgucken.
Die Idee gefällt mir, zumal ich als Exil-Deutscher aus eigener Erfahrung bestätigen kann, dass in den USA der Hase manchmal ein wenig anders läuft. Dabei sind es weniger die großen Unterschiede, sondern die kleinen Feinheiten, die bei den Angelsachsen anders gehandhabt werden.
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Forschung als Grundlage
So wird grundsätzlich ein größerer Wert auf Forschung und den Kontakt zu Spitzenuniversitäten gelegt; es wird zusammengearbeitet und einfach ins Blaue hinein geforscht. So unterhält zum Beispiel IBM Forschungskooperationen mit zahlreichen Universitäten, unter anderem mit der University of Southern California, wo ich als Research Assistant arbeite – und erforscht beispielsweise die Stimmung von Tweets, um Oscar-Gewinner vorherzusagen.
Yahoo! Research hingegen forscht daran, Falschinformationen bei Twitter besser zu erkennen und die Hewlett-Packard Labs prognostizieren anhand von Tweets den Erfolg eines Films an der Kinokasse. Die Gemeinsamkeit: Keines der Projekte hat direkt etwas mit dem Geschäftsmodell des Unternehmens zu tun. Doch wer weiß schon was in der Zukunft passiert? Und für die muss man als Unternehmen schließlich gerüstet sein.
Diekmann besucht Volkswagen-Labore
Und so überrascht es nicht, dass Kai Diekmann letztens bei den Forschungslaboren des Volkswagen-Konzerns gesichtet wurde, um sich über die technologische Entwicklung beim Automobil zu informieren. Direkt hat das mit seinem Kerngeschäft – der „BILD“-Zeitung – nichts zu tun. Aber wenn Autos irgendwann selbst fahren können, kann man die Zeit vielleicht auch mehr mit bild.de auf der Cockpit-Konsole verbringen.
Und trotz des Nachahmeffekts besteht ein Unterschied zwischen Axel Springer und ProSiebenSat.1: Denn während Springer-Chef Mathias Döpfner den BILD-Chef höchstpersönlich sowie mit dem Chefvermarkter Peter Würtenberger und Idealo-Geschäftsführer Martin Sinner zwei weitere hochrangige Manager entsendet, reicht es bei ProSiebenSat.1 nur für die Top-Manager, von denen sich einer bereits bestens in der Startup-Szene auskennt. Die Sender-Chefs lässt man lieber zuhause. Dabei zeigt Kai Diekmann, dass man auch von Kalifornien aus das Ehe-Aus der Wulffs auf die Titelseite bringen kann.
Erster Erkenntnisgewinn für Diekmann
In einem Video scherzt der Auswanderer, dass er bereits gelernt habe, seine E-Mails selbst zu lesen und sich den Kaffee selbst zu holen anstatt die Sekretärin darum zu bitten. Doch dahinter stecken auch kulturelle Unterschiede: Während in Deutschland tendenziell noch mehr in festen Strukturen gedacht wird, ist es in den USA eher erwünscht, dass auch der Praktikant oder die Sekretärin ihre Meinungen äußern. Und so entsteht eine Kultur, in der Eigeninitiative mehr gefördert wird und von Mark Zuckerberg bis Aaron Schwartz „Wunderkinder“ ihr eigenes Startup gründen und die Welt verändern.
Und diese Veränderungen beeinträchtigen auch die Geschäfte von Axel Springer und ProSiebenSat.1. Insofern sind die Ausreiß-Experimente absolut richtig. Aber wenn schon, dann doch lieber gleich richtig.
Bild: ProSiebenSat.1