Es ist schon ein wenig paradox: Obwohl der große Smartphone-Kuchen bereits zu großen Teilen unter Android und iOS aufgeteilt ist, der Kampf um die verbliebenen Stücke bereits verbissen von finanzstarken Konzernen wie Microsoft mit Windows Phone und Research in Motion mit BlackBerry 10 geführt wird, zu allem Überfluss auch noch weitere Big Player wie Amazon oder Facebook zumindest im Verdacht stehen, an eigenen Mobiltelefonen zu arbeiten, ganz zu Schweigen von Underdogs à la Jolla und Open WebOS, und selbst Mozilla bereits am hauseigenen Smartphone-OS mit Firefox-Logo bastelt, drängen sich mit schöner Regelmäßigkeit unablässig neue Spieler aufs Feld. Neuester Zugang: Canonical – Mutterhaus von Ubuntu. Der Linux-Klassiker soll künftig auch auf Smartphones laufen und sieht dabei noch nicht einmal schlecht aus.
Schön und intuitiv
Im Gegenteil: Erste Screenshots und Demos versprechen ein hübsches, intelligent konzipiertes System, das wie kein anderes auf Wischgesten setzt. Zudem lassen sich zumindest die Ubuntu Phones der Oberklasse im Handumdrehen in einen Linux-PC verwandeln – ein Feature, das Canonical mit dem Aufsatz Ubuntu für Android bereits für Smartphone-Boliden mit dem Google-OS anbietet. Ganz nach dem Motto: „One Device to rule them all!“. Wird das Mobiltelefon über eine spezielle Docking-Station mit Monitor, Maus und Tastatur gekoppelt, steht ein normaler Ubuntu-Desktop zur Verfügung. Auch wenn das Prinzip nicht neu ist, verkörpert es eine Idee, die durchaus ihren Reiz hat.
Andererseits arbeiten Apple, Google oder Microsoft nicht umsonst daran, ihre Ökosysteme so zu perfektionieren, dass sich Daten dank Synchronisation nahtlos und jederzeit auf allen Geräten nutzen lassen – ein Gedanke, der auch Canonical nicht ganz fremd ist (Stichwort Ubuntu One). Im Gegensatz zu diesen Käfiglösungen erscheint die Ubuntu-Variante allerdings nicht nur frei(er), sondern auch deutlich flexibler. Zugleich ist sie eine Umsetzung der „Bring-your-own-Device“-Philosophie und damit potenziell für Unternehmen interessant.
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Überlebensfrage Ökosystem
Nichtsdestotrotz ist auch Ubuntu für Smartphones auf eine Art Ökosystem angewiesen. Verkürzt gesagt: Ohne Apps keine Nutzer, ohne Nutzer keine Apps – eben das bekannte Henne-Ei-Problem. Canonical will dieses mit einem Kniff umgehen. So unterstützt das OS neben speziellen Ubuntu-Anwendungen ebenfalls WebApps auf HTML5-Basis – wenngleich diese auch kaum so flüssig laufen dürften wie native Apps. Optisch erinnert Ubuntu für Smartphones an ein Potpourri aus iOS und Android, garniert mit einer Prise Windows Phone.
Das Bedienungskonzept ist – soweit sich das mit den derzeit verfügbaren Informationen überhaupt sagen lässt – jedoch weitgehend unterschiedlich. So belegt Canonical etwa sämtliche Randbereiche mit Funktionen. Ein Wisch vom linken Rand öffnet etwa eine Schnellstartleiste für favorisierte Apps, wird hingegen im Startscreen von links nach rechts über das Display gewischt, zeigen sich sämtliche geöffneten Multi-Tasking-Apps, die umgekehrte Geste holt hingegen die zuletzt geöffnete App ins Blickfeld, ihre Wiederholung die davor genutzte Anwendung – ein intuitives Prinzip, das so bisher kein System vorweisen kann. Ein Wisch vom unteren Rand nach oben öffnet wiederum in Windows-8-Manier eine Leiste mit zusätzlichen Optionen zur gerade ausgeführten App; der obere Rand gibt hingegen eingegangene Nachrichten und Anrufe in einem zentralen Postfach für E-Mails, SMS, Twitter- und Facebook-Nachrichten preis. Der als „Welcome-Screen“ titulierte Lockscreen informiert darüber hinaus ebenso über Neuigkeiten und lässt sich sogar direkt bedienen.
Des Weiteren verfügt das System über eine übergreifende Suchfunktion mit Webanbindung, die zu jedem Schlagwort Ergebnisse aus verschiedenen Bereichen auf dem Smartphone selbst sowie zahlreicher Online-Dienste anzeigt, mehrere Hubs für Musik, Kontakte oder Apps sowie eine Cloud-Anbindung an Ubuntu One, mit der sich etwa Fotos direkt auf den Onlinespeicher laden lassen.
Skepsis bleibt
Alles in allem macht Ubuntu Phone Lust auf mehr. Dennoch bin ich skeptisch, jemals ein solches Gerät im Telekomladen um die Ecke erleben zu dürfen. Dafür kommt das System einfach ein wenig spät. Zwar werden erste Modelle in wenigen Tagen auf der CES in Las Vegas zu sehen sein, der tatsächliche Marktstart kann sich unter Umständen jedoch noch bis 2014 hinziehen, wie Canonical-Gründer Mark Shuttleworth gegenüber „Engadget“ einräumte. Noch unklar ist zudem, wer die Geräte produzieren wird. Interessierten Herstellern, die bisher auf Android setzen, verspricht Canonical aber einen minimalen Umstellungsaufwand – die Akquise läuft also auf Hochtouren. Leistungsanforderungen werden dabei grob vorgegeben. So soll es sowohl ein Einsteiger-Smartphone als auch eine High-End-Maschine aka „Superphone“ geben.
Letzteres basiert auf einem Vierkern-Prozessor vom Typ Cortex A9 oder Intel Atom, unterstützt Multi-Touch, bietet mindestens 1 GB RAM sowie mindestens 32 GB Flash-Speicher und eine Erweiterungsmöglichkeit per microSD-Karte. Einzig die „Superphones“ sind zudem in der Lage, als PC-Ersatz zu fungieren. Am anderen Ende der Preis-Skala stehen die Ubuntu-Einsteigergeräte mit 1-GHz-CPU (Cortex A9), 512 MB bis 1 GB RAM, Multi-Touch-Unterstützung und zwischen 4 und 8 GB Speicherplatz, der ebenfalls erweiterungsfähig ist. Die Karten liegen also auf dem Tisch. Ob das Blatt zum Stechen reicht, muss sich aber noch zeigen.
Bild: Canonical