Na, einmal, weil Klaus Allofs und Thomas Schaaf da anscheinend ein überraschend gutes Team zusammengestellt haben. Ich als Werder-Fan bin da eigentlich guter Dinge, dass das eine sehr ordentliche Saison wird. Alte Stars wie Torwart Tim Wiese wurden verkauft, neue Talente wurden geholt. Das Team macht wieder Spaß und wird in der neuen Saison voll durchstarten. Ich sag’s euch! Aktuell schlägt sich der Verein aber mit einem ganz anderen Problem herum: Die Fans laufen Sturm gegen einen möglichen neuen Trikotsponsor des Vereins. Fußball-Chuck-Norris Hans Sarpei schüttelreimte gestern: „Kaum ist Wiese vom Hof, kommt Wiesenhof“.
Der Geflügelmast-Riese ist, sagen wir es mal so, in der Vergangenheit mehrfach durch Tierquälerei-Skandale aufgefallen. Googelt ihr einmal nach „Wiesenhof Skandal“, findet ihr gleich einen Haufen Einträge von Berichten über Verstöße gegen den Tierschutz, die zurückdatieren auf das Jahr 2011, 2010, 2009. So weit braucht man eigentlich gar nicht in die Vergangenheit zu schauen, denn erst im März musste ein Zuchtbetrieb des Fleischfabrikanten in Sachsen-Anhalt vorübergehend schließen. McDonald’s kündigte dem Anbieter für seine Chicken-Nuggets. Ende April folgte eine Razzia der Staatsanwaltschaft in Büroräumen von Wiesenhof wegen Verdachts auf Subventionsbetrug. Und mit so einem Unternehmen soll der laut einer Umfrage „sympathischste Verein der Bundesliga“ künftig werben? Die Fans rebellieren – auf Facebook.
Update unten: Werder hat sich für Wiesenhof entschieden.
Einmal jährlich ein Skandal
Jetzt muss man die Kirche im Dorf lassen. Wenn sich heutzutage Unmut über etwas äußert, dann eigentlich immer auf Facebook. Das ist nichts Besonderes mehr und trifft auch im Falle von Werder Bremen zu. Die Tierschutzorganisation Peta hat die Fans zu einem Protest aufgerufen. Fast schon zynisch aber wohl auch angebracht, dass Peta Anfang Juli wieder Insider-Infos über Wiesenhof veröffentlichte und diese in bester Kalendermanier „Der Wiesenhof-Skandal 2012“ nannte. Weil es tatsächlich mindestens einmal im Jahr einen neuen Skandal zu geben scheint. Also weit weg mit diesem Unternehmen, denken sich die Fans. Sollen doch der Bohlen oder Olli Kahn dafür werben, aber nicht „unser Werder“.
Das Problem, ihr ahnt es, ist natürlich der schnöde Mammon. Werder hat von seinem bisherigen Trikotsponsor 8 Millionen Euro pro Jahr bekommen. Mit der Suche des Nachfolgers wurde der Vermarktungspartner Infront beauftragt, der mindestens das gleiche noch einmal herausschlagen soll. Auf Werders Facebook-Seite sah sich der Verein veranlasst, auf die Kritik zu reagieren. Dort heißt es, es sei noch nichts entschieden, und es liefen Verhandlungen mit zwei Kandidaten. Neben Wiesenhof solle noch ein ausländischer Konzern im Rennen sein. Doch würde der auch 8 Millionen Euro im Jahr zahlen? Werder hat sich in der abgelaufenen Spielzeit nicht für den internationalen Wettbewerb (Championsleague oder Euroleague) qualifiziert, wird also auf viel Geld aus dem Geschäft verzichten müssen. Will man langfristig oben mitspielen, muss man das Geld für teure Spieler anderswo herholen. Und am ehesten empfiehlt sich da die Trikotwerbung.
Geld oder Fans?
Kritik auf Facebook traf in der vergangenen Woche gleich mehrere Unternehmen, ist also nichts Besonderes mehr. Die Fernsehsendung „Galileo“ wurde wegen vermeintlichem Qualitätsverlusts von einem Zuschauer angegriffen, die Fastfood-Kette McDonald’s, weil der Preis für einen Cheeseburger um 39 Cent angehoben werden soll. Bei Werder sitzt man nun in der Zwickmühle: Entscheidet man sich gegen Wiesenhof, würde das bedeuten, Peta und die Fans hätten mit ihrem Protest auf Facebook wirklich etwas bewirkt und den Verein zu einer anderen Entscheidung genötigt. Das würde viel über Facebook als mächtiges Kritik-Instrument aussagen.
Entscheidet man sich für Wiesenhof als Sponsor und damit die Millionen? Dann ginge man das Risiko ein, die Fans zu verärgern und einen massiven Image-Schaden davon zu tragen. Und für PR-Fachleute interessant: Wenn man das tut, wie kann man das den Fans gegenüber begründen und sie gleichzeitig besänftigen? Und wie lange würden die Fans tatsächlich auf die Barrikaden gehen? Würden sie ihrem Verein den Rücken kehren oder wäre es ihnen nicht spätestens am 5. Spieltag der Saison herzlich egal, weil dann der Saisonverlauf viel wichtiger ist?
Haltet die Augen auf: Am Beispiel Werder Bremen zeigt sich dieser Tage die Macht der Masse auf Facebook oder die Macht des Geldes.
Update, 13:00 Uhr: Offenbar die Macht des Geldes. Werder hat sich für Wiesenhof als Sponsor entschieden. Die Begründung muss in den Ohren der Fans ein bisschen wie Hohn klingen. Marketing-Chef Klaus Filbry sagte laut Pressemeldung dazu:
„Es ist eine mutige Entscheidung unseres Partners, dieses Sponsorship einzugehen und damit eine sehr öffentliche Plattform zu wählen. Das unterstreicht, wie ernst es Wiesenhof ist, ein transparentes Unternehmen zu sein.“
Viel mutiger finde ich die Entscheidung für Werder. Für Wiesenhof sehe ich die Partnerschaft eher als Vorteil. Auch nicht viel erfreulicher für die Fans, was Infront-Chef Ralf Koslowski dazu sagt:
„Beide Marken stehen für unternehmerische Kontinuität und wirtschaftlichen Erfolg, hohe Zuverlässigkeit und nachhaltiges Wirtschaften. Sie passen nicht zuletzt deshalb hervorragend zueinander.“
„Autsch“, kann man da angesichts der Stimmung der vergangenen Tage wohl nur noch dazu sagen. Damit hat Werder seinem Image keinen Gefallen getan. Auf Facebook geht der Protest jetzt erst richtig los. Der Verein will zur Stunde angeblich Fragen von Pressevertretern dazu beantworten. Sebastian Cario hat hier auch noch eine sehr gute Analyse dazu geschrieben.
2. Update, 13.20 Uhr: Die Geschäftsführung des SV Werder Bremen nennt Wiesenhof ein „transparentes Familienunternehmen in der dritten Generation“, das sich seinen Vorwürfen stelle und dank der Partnerschaft jetzt offen mit den Problemen umgehen wolle. Morgen ist bei Werder der „Tag der Fans“ angesetzt. Wird es dort Proteste geben oder bleibt es – wie BILD spekuliert – eine „reine Internet-Veranstaltung“?
3. Update, 13.8.: Am Wochenende am „Tag der Fans“ kam es laut übereinstimmenden Medienberichten zu Pfiffen, die aber gegenüber den sportlichen Meldungen schnell in den Hintergrund gerieten. Etwa 60 Fans sollen am Bremer Hauptbahnhof gegen Wiesenhof demonstriert haben. „W&V“ schreibt dazu: „Es ist wohl doch bequemer, via Facebook statt in Fleisch und Blut zu protestieren.“ Tja…
(Jürgen Vielmeier, Bild: Werder/Nike)