Lohnt es sich überhaupt Angst zu haben? Das ist ein Thema, mit dem ich mich in den letzten Monaten intensiv auseinander gesetzt habe. Angst vor Terror, Angst vor dem Tod, vor Schmerzen, Angst vor Arbeitslosigkeit (oder eher dem damit assoziierten gesellschaftlichen Abstieg), Angst vor dem Klimawandel. Ich denke, es lohnt sich nicht, vor irgendetwas Angst zu haben. Denn Angst lähmt, Angst ändert nichts daran, dass passiert, was passiert. Meistens geht aber alles gut und wenn nicht, kommt es oft nicht so schlimm wie befürchtet.
Es gibt eine Sache hier im Netzalltag, die mir allerdings Respekt einflößt. Wenn Menschen sich von ihrer vorgefassten Meinung nicht abbringen lassen, egal mit welchen Argumenten man kommt. Wenn Millionen Menschen Dinge nicht mehr hinterfragen, egal ob es an mangelnder Bildung, Überforderung oder Desinteresse liegt. Als ich heute auf dem Google-Plus-Account von Jan Tißler über einen Shitstorm informiert wurde, der die Macher der Fernsehsendung Galileo heimgesucht hat, da war ich kurzzeitig verblüfft. Da überzieht jemand einen anderen mit schlecht recherchierter Schmähkritik und 100.000 Facebook-Nutzer klicken trotzdem „Gefällt mir“.
Im Wortlaut liest sich das so:
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Max M. heißt der Mann, der „Galileo“ kritisiert hat. Mehrere Zehntausend Menschen wissen inzwischen, wer er ist, dass er sein Facebook-Profil mit Bierdosen geschmückt hat, mit wem er in einer Beziehung ist und wie seine Freundin aussieht. Ahnte M., dass sein Posting derart viral werden würde? Ich habe Probleme mit der Argumentation seines Postings, auch wenn es unterhaltsam geschrieben ist. Sicher gibt es an der Sendung einiges auszusetzen. Aber M. schießt mit seiner Kritik in meinen Augen über das Ziel hinaus, wenn er zum Beispiel an die Redaktion schreibt (alle Rechtschreibfehler wie im Original):
Man sollte euch wegen organisierter Verdummung einlochen und zu zwar in den tiefsten Kerker dieser Erde!
Oh, was will er dann erst mit Mördern machen…
Diese Sendung ist der Hirnverbrannteste, schlechtest recherchiertes, dümmste dreck, der unter anderen im deutschen Fernsehen zu sehen ist.
Da würden mir noch ein paar üblere Beispiele einfallen…
Da sieht man wieder was Geld aus den Leuten macht, in diesem Falle, asoziale, reiche Ärsche die auf die Empfindlichkeit des Gehirns gehörig scheißen!
Welches Geld? Wer genau wird da reich? Was meint er mit ‚Empfindlichkeit des Gehirns‘?
Mit der Führung dieses Senders betreibt eine ganz neue Art von Verbrechen: Vom Staat legalisiertes und vor Allem organisiertes Verbrechen.
Organisiertes Verbrechen, nun ja…
Klare Sache: Der Mann haut drauf, polemisiert, übertreibt maßlos – und spricht damit vielen anscheinend aus der Seele. Dass an seiner Kritik selbst viele Kritikpunkte sind, dass seine Argumentation schwach ist, seine Orthographie sowieso, scheint egal zu sein, solange sie nur einen Funken Wahrheit enthält. Mehr als 100.000 Facebook-Nutzer klicken binnen zwei Tagen auf „Gefällt mir“, 10.000 Kommentare gehen ein. Die „Galileo“-Redaktion sieht sich veranlasst, mit einer Stellungnahme darauf zu reagieren. Von der Facebook-Seite der Sendung wurde der Beitrag entfernt.
100.000 Menschen…
100.000 Menschen, die bei einer Kritik auf „Gefällt mir“ klicken, die jeder Deutschlehrer der 9. Klasse bestenfalls mit „Ausreichend“ benotet hätte. 100.000 Menschen, die nicht hinterfragen, was für einen Quatsch der da eigentlich schreibt. 100.000, die offenbar nur einen Anlass brauchten, um einer schlechten Kritik ihre Unterstützung zu verleihen. Für einen kurzen Moment bekam ich Angst.
Angst vor dem Mob aus dem Netz, der kopflos auf alles klickt, was seine niedersten Bedürfnisse befriedigt. Angst vor der Masse, der man mit Argumenten nicht mehr beikommen kann. Angst, dass diese Hunderttausend auch außerhalb Facebooks nichts hinterfragen, nicht einmal Dinge, die die „Bild“-Zeitung schreibt. Angst davor, dass das nur ein Ausschnitt und die Dunkelziffer weit höher ist. Angst – die auch in diesem Falle wieder einmal unbegründet ist.
Gegenbewegung
Denn so schlimm ist es nicht. Dass 100.000 auf „Gefällt mir“ klicken, bedeutet nicht, dass sie M.s Argumentation nachvollziehen können oder gar gut finden. Sie freuen sich, dass endlich mal jemand eine Sendung kritisiert, mit der sie selbst unzufrieden sind. Die „Galileo“-Redaktion kann die Form der Kritik also getrost ignorieren, es lohnt sich für sie aber, auf die Zahl ihrer Befürworter zu schauen. Wenn so viele Menschen unzufrieden sind, dann nährt das den Verdacht, dass wirklich etwas im Argen liegt.
Was mich letztendlich beruhigt hat: Die Kommentatoren teilen sich in zwei Lager. Die einen, die M. am liebsten zum Präsidenten wählen würden und die, die ihm überzogene Kritik vorwerfen. Das Netz reguliert sich selbst. Die meisten Kommentatoren in der Stellungnahme von „Galileo“ sprechen der Redaktion Mut zu oder kritisieren konstruktiv. Ein Leser schreibt:
Solch dumme Sprüche wie im Ausgangspost kommen doch meist eh nur von Kiddies oder Leuten die nach Aufmerksamkeit schmachten. Lasst euch davon nicht fertig machen und zieht euer Ding durch.
Konstruktivere Kritik eines anderen:
Galileo ist inzwischen auf einem ähnlichen Bildungsniveau wie die Bildzeitung. Hat man früher Galileo geschaut und sah einen Kühlschrank, wurde erklärt wie er funktioniert, welche Prozesse ablaufen. Heute packt ihr nackte Frauen rein oder sprengt ihn – super Entwicklung.
Auch Zuspruch kann voller Fehler sein:
Galileos revenge leute ich find euch super fehler sind menschlich und wems nich passt dann schaltet halt wieder auf rtl
Dass man im Netz schon mal eher draufhaut, draußen auf der Straße aber nicht, bleibt meine ganz persönliche Hoffnung. Was immer ich in meinen Beiträgen schreibe, wird von euch hinterfragt, habe ich zumindest den Eindruck. Schreibe ich Blödsinn, weist ihr mich darauf hin und kritisiert das. Macht ihr wenigstens so weiter und schaltet euren Kopf nicht aus!
Während ich diese Zeilen schrieb, ist M.s Beitrag übrigens gelöscht worden, vermutlich von ihm selbst.
Update: Gute Analyse des Shitstorms auch im Blog von Kai Thrun. Er vermutet sogar, dass da jemand nachgeholfen hat.
(Jürgen Vielmeier)