Es gab mal – ich glaube, es war im Jahr 2005 – eine US-Sendung namens „Boiling Points“ auf MTV. Daran musste ich heute denken. In „Boiling Points“ trieb das Fernsehteam Testpersonen zur Weißglut. Sei es mieser Kundenservice im Lokal, ein schräges Blind Date oder plötzliche Attacken von wildfremden Passanten: Stets ging es darum, mit versteckter Kamera dabei zu sein, wenn der Geduldsfaden der Probanden reißt. Cholerische „HB-Männchen“ gingen leer aus. Duldsame Opferlämmer wurden mit 100 Dollar belohnt.
Ich frage mich: Wo ist wohl der Boiling Point bei unserem Lieblingsspielzeug Facebook? Ich weiß auch, dass ein Spiel-und-Spaß-Netzwerk kein brutales Staatsorgan wie der „große Bruder“ aus dem Orwell-Roman „1984“ ist. Man sollte die Kirche im Dorf lassen und nicht panisch werden. Wer nachts von bösen Datenkraken träumt, die einem statt Blut die Daten aussaugen, sollte über Therapie nachdenken. Aber wenn ich höre, dass das Supernetz mehr oder weniger heimlich Daten für diffuse Zwecke sammelt, dass es laut den Datenschutz preist, die Schutzeinstellungen im Profil jedoch geschickt versteckt, dann frage ich mich, ob Herr Zuckerberg vielleicht auch „Boiling Points“ mit uns spielt. Und jetzt kommt’s: Die Facebook-Macher rufen Nutzer auf, Under-Cover-Facebooker anzuschwärzen. Zum Greifen nahe, der Siedepunkt! Gedanken an die DDR-„Stasi“ drängen sich auf.
Aus Fiktion wird Wirklichkeit
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Leider ist das weder Geschichte noch ein Orwell-Roman, sondern Gegenwart und Wirklichkeit – wir hatten euch bereits vergangene Woche drauf hingewiesen. Facebook ruft jetzt seine Nutzer auf, Freunde zu melden, die unter falschem Namen durchs Netzwerk spuken. Warum, ist wohl klar: Für die Macher sind die blinden Passagiere nutzlose Speicherplatzverschwender. Ihre Namen sind nichts wert, ihre Adressen praktisch nicht verkäuflich, E-Mails führen häufig ins Mail-Nirvana. Und darum geht es schließlich bei Facebook: Ums Geldverdienen. Das ist uns doch wohl allen klar. Herr Zuckerberg ist schließlich nicht das Sozialamt um die Ecke – hat er auch nie behauptet. Da muss man schon fair bleiben.
Dass die Nick-Namen sein System aushebeln und die Goldader kappen, schmeckt Facebook nicht. Aber was sind das für Mittel? Wenn du ahnungslos die Plattform betrittst, musst du offenbar jederzeit mit einem scheinbar harmlosen Popup- Fenster rechnen. „Ist dies der echte Name deines Freundes?“, fragt es höflich und zegt dir den Namen und Foto eines Facebook-Freundes. Du musst zwar nicht ja sagen. Du musst auch nicht nein sagen. Du kannst sagen, dass du nicht antworten möchtest. Aber keine Antwort ist auch eine Antwort. Und die vierte Option ist auch nicht viel besser. „Ich kenne diese Person nicht“ – wer möchte schon seine Freunde verleugnen?
Wer glaubt, das ist nur ein harmloser Versuch, den Datenstand zu bereinigen, der irrt. Offiziell geht es nur darum, dass das Netzwerk seine Namens-Richtlinie durchsetzen will. Nicht zuletzt, um die Nutzer vor wachsenden Spam-Attacken zu schützen. Aber schon hört man laut welt.de aus den Niederlanden, dass Nutzer eine Ausweiskopie einsenden mussten, um ihr Facebook-Konto wieder freizusetzen. Vielleicht wird bald so mancher Teenie auf diesem Weg von falschen Facebook-Freunden aus seiner Online-Clique gekickt. Aber das kann Zuckerberg und Co ja egal sein. Hauptsache, die Daten bringen Geld.
Der deutschen Konkurrenz geht es nicht (mehr) gut
Ist das jetzt mein „Boiling Point“? Stehe ich jetzt auf und sage: Feierabend! Schlüssel rum, Rollo runter, Good-bye Facebook – mit oder ohne 100 Dollar? Gedacht habe ich das schon oft. Ich bin aber noch nicht ausgetreten. Ihr auch nicht. Ich weiß das, weil ich heute die neuen Daten des Statistikunternehmens Statista gesehen habe. Die deutsche Facebook-Konkurrenz hat sich erneut eine blutige Nase geholt. Und sagt mir nicht, ihr habt das Netzwerken aufgegeben oder seid alle zu Google + gepilgert. Das glaube ich euch nicht.
Gegenüber dem Vorjahresmonat verloren die VZ-Netzwerke im Juni 77 Prozent an Seitenbesuchen (Visits). Im Juni 2012 waren nur noch 39,7 Millionen Besucher auf den Seiten unterwegs. Wer-kennt-Wen und Stayfriends geht es nicht viel besser. Nur das Karrierenetzwek Xing kann sich behaupten. Mit rund 23,7 Millionen Visits bleibt der Besucherstand ähnlich wie im Vorjahresbereich. Da kann Facebook mit seinen 900 Millionen Nutzern weltweit nur müde lächeln.
In den USA ist sicher nicht alles Gold, was glänzt. Und für ihren kritischen Umgang mit Datenkraken sind die US-Bürger auch nicht gerade berühmt. Aber vielleicht sollten wir uns doch mal ein Beispiel an Uncle Sam nehmen. Die Nutzerzahlen dort nahmen in den letzten sechs Monaten ab. Laut „welt.de“ zwar nur um fünf Prozent. Aber vielleicht sind das die Vorboten einer Siedepunkt-Lawine. Facebook wird gläsern – Boiling Point erreicht. Hundert Dollar gibt’s sowie so nicht. Außer der Webcam ist keine Kamera in Sicht. Und mal ehrlich. Wer will schon hundert Dollar, wenn er dafür das Opferlamm spielen muss. Auf der Schlachtbank der Werbewirtschaft – oder wo auch immer.
(Dorothee Monreal)