Erinnert ihr euch noch? Ende Januar sorgte Twitter mit einem Blog-Post über die gezielte Filterung bestimmter Tweets in einzelnen Ländern für einen Aufschrei der Empörung. Jürgen warf dem Kurznachrichtendienst damals Zensur und einen Ausverkauf von Idealen vor, was seinerseits für heftige Diskussionen in den Kommentaren sorgte. Gleichwohl verschwand das Thema trotz aller Aufregung relativ schnell wieder von der Bildfläche.
Nachdem nun wieder frisches Gras auf der verbrannten Erde grünt, wagt sich Dick Costolo zurück auf das Spielfeld. Der Twitter-Chef erklärte gegenüber der „Financial Times“, härter gegen die Verbreitung von „Hass-Reden“ und „Getrolle“ vorgehen zu wollen. In Gestik und Mimik bemühte sich Costolo dabei wohl um eine glaubwürdige Verkörperung der „Zwei Seelen wohnen ach in meiner Brust“-Stelle in Goethes Faust. Es gebe „schrecklichen“ Missbrauch, allerdings müsse auch das Firmen-Mantra „tweets must flow“ geachtet werden, erklärte Costolo auf „sehr emotionale“ Art und Weise wie das Blatt explizit hervorhebt.
In welche Richtung das Pendel letztendlich stärker ausschlagen wird, bleibt abzuwarten. Zu einer möglichen technischen Umsetzung hielt sich der führende Kopf des Kurznachrichtendienstes allerdings bedeckt – vermutlich ist die Erinnerung an das PR-Desaster vom Jahresanfang noch zu frisch. Laut „FT“ ziehe das Twitter-Management aber bereits verschiedene Maßnahmen in Erwägung, so etwa die Beschränkung von Rechten sogenannter „nicht autorisierter“ Nutzer. In diese Kategorie würde demnach jeder fallen, der weder eigene Follower und biografische Angaben noch Profilbilder vorweisen kann. In der Konsequenz wäre es dann nicht mehr möglich, auf Tweets anderer Nutzer direkt zu antworten.
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Noch schrecke Twitter aber vor derartigen Reaktionen zurück. Costolo ließ es dabei ordentlich menscheln: In diesem Fall würde den Nutzern schließlich die „wunderschöne Begebenheit“ eines Fans entgehen, der sich nur angemeldet hätte, um sein Idol, sei es ein Sportler oder Prominenter, zu unterstützen. Um der bei solchen Äußeren drohenden Oberflächlichkeitsfalle zu entgegen, zog der Twitter-Chef zudem noch schnell die pathetisch getränkte Freiheitstrumpfkarte. Man wolle auch weiterhin keinen Klarnamenzwang, da Pseudonyme an vielen Orten der Erde die einzige Möglichkeit seien, frei zu sprechen, schob Costolo nach. Die Kehrseite dessen sei leider, dass es auch „diese Trolle“ einschließe. Es stelle sich die Frage, wie sichergestellt werden könne, dass Menschen frei ihre politische Meinung äußern könnten, „Hass-Reden“ aber nicht erduldet werden müssten. Dies sei sehr frustrierend.
Was zunächst ehrlich und plausibel klingt, erhält vor dem im Januar erklärten Quasi-Kniefall vor den Zensurwünschen autoritärer Regime einen faden Beigeschmack. Ungeklärt bleibt: Wer soll bestimmen, was eine „Hass-Rede“ ist und welcher Nutzer als „Troll“ aussortiert gehört? Was sich in westlichen Ländern bei Beschimpfungen von Prominenten oder Politikern noch relativ einfach definieren lässt, wird woanders schnell zur Glaubensfrage, bei der sich Twitter irgendwann positionieren muss. Behält der Dienst dabei seinen Weg des Alles-Nichts-Oder bei, könnte die gern bemühte Freiheit der Rede gerade dort zur PR-Schablone verkommen, wo sie am dringendsten gebraucht wird.
(Christian Wolf)