Eines Abends fern der Heimat. Ein paar Freunde und ich verlassen eine Party und wollen in die Bonner Innenstadt fahren. Auf dem Handy bestelle ich zwei Taxen bei der örtlichen Taxizentrale, es ist 2 Uhr morgens. Die beiden Fahrzeuge kommen – wie versprochen – fünf Minuten später. Kurz vorher erhalte ich zwei SMS mit den Kennzeichen der Autos und der Benachrichtigung, dass die Taxen jetzt vorfahren. Hübscher Service, und vor einigen Monaten noch undenkbar. Doch seit einiger Zeit ist etwas in Bewegung geraten in der deutschen Taxi-Landschaft.
Ausgelöst hat ihn der Erfolg des Startups MyTaxi. Die Smartphone-Anwendung der Hamburger Softwareschmiede Intelligent Apps vermittelt Taxifahrten direkt zwischen Fahrer und Fahrgast – an den Taxizentralen vorbei. Erfolgsgeschichten über die beliebte Taxi-App hat mittlerweile fast jede Wirtschafts- und Tageszeitung einmal gebracht. Dies hier ist keine. Denn eins wurde mir an diesem Abend klar: Dass bei der vermeintlichen Erfolgsgeschichte des einen und der angeblichen Innovationsfeindlichkeit der Alteingesessenen zu kurz gedacht wird. Hier fechten gleich mehrere Gegner einen erbitterten Krieg, hier werden Ressourcen verschleudert, wo ein Frieden für beide Seiten Vorteile brächte. In mehreren Gesprächen habe ich nach den Positionen der Beteiligten gefragt – und versucht zu vermitteln.
Der Bonner Taxiunternehmer Claus Lenz reagiert gelassen, als ich ihn auf die Konkurrenz anspreche: „Die anfängliche Euphorie von MyTaxi ist wieder zusammengeschrumpft und viele Fahrer sind ernüchtert“, erklärt er aus seiner Perspektive. Mehr Geld würden diese dadurch nicht verdienen und auch nicht mehr Fahrten zugestellt bekommen. „Wir haben in Bonn eine Vermittlungszeit in Stoßzeiten von 3 bis 5 Minuten. Wie man mir berichtet hat, dauert es bei MyTaxi manchmal 20 Minuten, bis ein Taxi kommt.“
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Mehr Fahrten vermittelt die Taxizentrale
Stimmt das? Ich mache eine Stichprobe und bestelle mir an einem Montagabend ein Taxi über die MyTaxi-App. Die Karte zeigt etwa 20 verfügbare Fahrzeuge für den Service in der Bonner Innenstadt an. Aus etwa vier Kilometern macht sich das Taxi, das mir zugeteilt wird, auf den Weg. Sicher hätte der Bonner Taxiruf ein näheres Fahrzeug gefunden, doch die versprochenen 5 Minuten Anfahrtszeit hält der Fahrer ein. Während der Fahrt frage ich ihn aus. Viel Geld mache er nicht mit MyTaxi, berichtet er. „Es ist ein kleiner Bonus, aber die meisten Fahrten vermittelt die Taxizentrale.“ Die App funktioniere gut, aber die Preise seien hoch: Für jede vermittelte Fahrt geht 1 Euro Provision an MyTaxi. Die Taxizentrale verlange 250 Euro im Monat, aber das rechne sich eher, sagt er. Neben seinem Android-Handy, auf dem MyTaxi läuft, hat mein Fahrer noch ein weiteres Smartphone mit einer anderen App: Taxi Deutschland.
Eine Genossenschaft aus Frankfurt will aus der Not eine Tugend machen und bietet diese App an, die Fahrten über die Taxizentralen vermittelt, statt an ihnen vorbei. „Die App hieß früher DeinTaxi und war schon vor MyTaxi auf dem Markt“, sagt mir Taxi-Deutschland-Sprecher Marten Clüver. Seitdem wären mehrere Taxizentralen in Deutschland der Genossenschaft beigetreten und würden nun auf Taxi Deutschland setzen, eine Lösung des Systemanbieters GeFoS.
Aus dem Gespräch mit Clüver wird klar: Den Taxiverband in Deutschland gibt es nicht. Der Dachverband des Deutschen Taxigewerbes etwa, der unter der Adresse TaxiDeutschland.eu gelistet ist, sitzt in Berlin – und hat mit der App Taxi Deutschland nichts zu tun. Ebenso wenig wie der Deutsche Taxi- und Mietwagenverband, der im Januar mit einer bemerkenswert schäumenden Wutrede Daimler-Chef Dieter Zetsche für eine Investition in MyTaxi kritisiert hatte. „Hier guckt mehr oder weniger jeder auf sein eigenes Netz“, kritisiert Clüver. „Aber wir laden andere Taxizentralen ein, jetzt endlich einmal an einem Strang zu ziehen.“
Taxi Deutschland für das iPhone
Taxiverband wählt die maximal zweitbeste Lösung
In Apples App Store hat die kürzlich runderneuerte Version der App Taxi Deutschland eine durchschnittliche Bewertung von 1,5 von 5 möglichen Sternen. „Lustlos gezimmert“ oder „Funktioniert nicht“ heißt es dort in den Kommentaren, bis hin zu „Habe meinen Flug verpasst, weil das Taxi nicht kam“. Die Android-Version der App bringt es bei Google Play im Durchschnitt auf eine Bewertung von 2,5 von 5. MyTaxi verzeichnet durchschnittliche Bewertungen von 4,4 (Android) und 4,5 (iOS). Scheint, als habe sich die Genossenschaft der Taxizentralen auf die bestenfalls zweitbeste App gestürzt. Deren Vorsitzender Dieter Schlenker gibt sich in der offiziellen Pressemeldung trotzdem kämpferisch:
Unsere Taxi-App ist klar diejenige mit der größten Reichweite, nämlich einer bundesweiten Abdeckung in knapp 2.600 Städten. Zum Vergleich: MyTaxi läuft derzeit in etwa 30 Städten mit einer jeweils sehr überschaubaren Fahrerzahl.
Das „bundesweit“ ist noch etwas euphemistisch, aber das Ziel klingt aus Kundensicht sinnvoll. Deswegen kann die Genossenschaft auch mit einer derzeit schlechten Lösung auf Stimmenfang gehen. Andererseits: Wenn es den Taxiverband nicht gibt, dann kann es MyTaxi genauso gut versuchen. Nur: Warum unbedingt an den Taxizentralen vorbei? Warum gegeneinander, nicht miteinander? MyTaxi-Sprecherin Lina Wüller antwortet auf meine Frage per Mail:
Wir haben anfangs aktiv das Gespräch gesucht und waren und sind auch weiterhin offen für Gespräche. Allerdings kann ein Dialog nur entstehen, wenn beide Seiten dafür bereit sind. Es wurde darüber hinaus aktiv versucht, MyTaxi den Markteintritt zu erschweren.
Letztendlich, und es klingt wenig versöhnlich, entscheide der Kunde, welche Lösung sich durchsetze. Sind die Taxiverbände wirklich nicht dialogbereit? Taxi-Deutschland-Sprecher Clüver reagiert zurückhaltend, als ich ihn darauf anspreche: „MyTaxi ist ja unsere Konkurrenz.“ Das einzige, was er mir darüber hinaus noch öffentlich sagen will, ist: „Man spricht miteinander.“ Problem dürfte die unterschiedliche Heransgehensweise sein. MyTaxis Konzept baut auf eine Direktvermittlung auf, in der die Taxizentralen nicht vorkommen. Die Taxizentralen wollen, dass Unternehmer und Fahrer Geld verdienen, und sind nicht dazu bereit, einem Drittanbieter eine Provision zu zahlen.
„MyTaxi ist ein Ärgernis“
Die Auswirkungen dieser Fehde bekommen vor allem die Fahrer zu spüren. Von Drangsalierungen durch manche Taxizentralen, etwa in Wien, ist die Rede. Mein Fahrer von der MyTaxi-Probefahrt kennt das nicht. „Aber damit werben, dass ich MyTaxi benutze, darf ich nicht.“
Taxiunternehmer Lenz setzt neben einem SMS-Service und einem automatischen Zuteilungssystem auch Taxi Deutschland ein. Er nennt MyTaxi nicht eine Konkurrenz, sondern „ein Ärgernis“. Es komme oft vor, dass Kunden anriefen und sich beschwerten, dass das Taxi nicht käme. „Und dann stellt sich heraus, dass die das über MyTaxi bestellt haben.“ Fast alle der gut 320 Taxen in Bonn würden über die Taxizentrale vermittelt, über ein technisches System, das fair sei und ständig verbessert werde. Und auf meine Frage, ob es Fahrern erlaubt sei, sich von der Taxizentrale Fahrten vermitteln zu lassen und gleichzeitig MyTaxi zu benutzen, fällt er doch noch, dieser Satz: „Wir würden es ihnen gerne verbieten“, erklärt Lenz. „Aber wir dürfen nicht.“
Viel Geld im Spiel
Im Konkurrenzkampf ist viel Geld im Spiel. Und es geht nicht nur um Taxifahrten, sondern um die Zukunft des Personentransports: MyTaxi erhielt im Januar eine Finanzierung in Höhe von 10 Millionen Euro unter anderem von Car2Go, Daimlers Mietwagentocher. Langfristiges Ziel ist eine Kopplung der beiden Dienste. Auch die KfW Bankengruppe, Xing-Günder Lars Hinrichs und T-Venture beteiligten sich an der App, die Mitte des Monats in der Version 3.0 auf den Markt kam und mittlerweile in über 10.000 Taxen eingesetzt werde.
Da halte man dagegen, schrieb der Berliner Mitbewerber Taxi Pay noch am Dienstag in einer Pressemeldung. Mit der eigenen App Taxi.eu erreiche man 18.000 Taxen in Deutschland und 22.000 weitere im europäischen Ausland. Weil Taxi.eu die Taxizentralen jeweils mit einbezieht, konkurriert man nicht nur mit MyTaxi, sondern auch mit Taxi Deutschland. Im Frühjahr gab es in einigen Blogkommentaren (auch hier) eine Art Stimmungsmache gegen MyTaxi. Martin Weigert von Netzwertig vermutet einen Konkurrenten dahinter, ohne Taxi.eu dabei namentlich zu nennen.
So einigt euch doch!
MyTaxi, oft als Innovationsführer gefeiert, ist mit seinem Geschäftskonzept an der schlechten Stimmung nicht unschuldig. Wer versucht, etablierte Instanzen vom Markt zu verdrängen, kann nicht von allen Seiten Gegenliebe dafür erwarten. Mag es anfangs gestimmt haben, dass die zersplitterten Taxiverbände sich auf nichts Neues einlassen wollten, gilt das heute nicht mehr. Die Taxizentralen haben ihre Hausaufgaben erledigt. Und jetzt schießt jeder gegen jeden. Die Fahrer leiden darunter und die Kunden sollen sich vermutlich drei oder mehr Apps auf ihr Smartphone installieren, je nachdem, in welcher Stadt sie gerade sind und welcher Anbieter ihnen am wenigsten unsympathisch ist.
Und als Außenstehender denke ich mir langsam: Meine Güte, so setzt euch doch endlich zusammen und einigt euch! Die Kontrahenten wirken wie ein zerstrittenes Liebespaar. Der eine hat dem anderen einen Korb gegeben und reagiert trotzig, weil der einst Verschmähte sich jetzt anderweitig austobt. Die Taxizentralen turteln offen mit anderen Liebhabern, um zu zeigen, dass man MyTaxi nicht nötig habe. Und beide sind zu stolz, dem anderen noch einmal eine Chance zu geben. Wäre dies ein Märchen, würden die Zerstrittenen noch irgendwie zueinander finden. Wahrscheinlich tun sie das auch im echten Leben irgendwann. Aber bis dahin vergehen oft viele, entbehrungsreiche Jahre.
(Jürgen Vielmeier)