Die Zeile oben wäre vermutlich durchgefallen – obwohl sie zumindest euch angelockt hat. Aber im Ernst: Eine gute Überschrift ist sehr wichtig im Online-Journalismus. Sie begeistert, sie stößt ab, sie wird oft überlesen – und der Text darunter damit auch. Denn sie ist nur ein Tropfen in eurer täglichen Informationsflut. Sie ist das, womit man den Text verkaufen muss, der gar nicht gelesen wird, wenn der Anreiz fehlt. Alles, was danach kommt, ist nur noch die Hälfte wert, wenn die Überschrift nicht stimmt.
Und eben weil die Überschrift so wichtig ist, will das Webanalyse-Unternehmen Visual Revenue Journalisten die Arbeit erleichtern. Die Firma hat ein Tool vorgestellt, das Überschriften vergleicht und angeblich die Lösung vorschlägt, die die beste Klickrate erzielt. Der Redakteur muss dem Tool nur mehrere Überschriften mitteilen und erhält Ergebnisse in Echtzeit, welche Dachzeile den Text am besten verkauft. Wie das funktionieren soll? „Raketenwissenschaft“.
So zumindest die offizielle Beschreibung von Visual Revenue. Man generiere Analysedaten der jeweiligen Newsseite in Echtzeit. Alles andere werde auf Basis einer Reihe hochkomplexer Algorithmen berechnet. Genaueres teile man Interessenten der kostenpflichtigen Technik gerne in einem persönlichen Gespräch mit. Nachrichtenangebote wie NBC, Forbes, Computerworld und auch einige nicht-englischsprachige Medien gehören bereits zu den 35 Kunden des Unternehmens (wenn auch nicht zwingend des Überschriften-Tools). Wie das in der Praxis aussieht, hat Journalism.co.uk in einem Beispiel getestet:
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erhielt einen um 95 Prozent besseren Wert als
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Warum? Raketenwissenschaft…
Visual Revenue wirft dieses Tool als Vorwand auf den Markt, um Journalisten die Arbeit zu erleichtern. Die Gefahr ist aber, dass Journalisten ihren Instinkt verlieren und blind einem Unternehmen vertrauen, das sich auf irgendwelche, nicht näher bestimmten Algorithmen beruft. Klingt, als hätte das Unternehmen damit das Zeug dazu, Online-Inhalte ähnlich zu beeinflussen wie Google. Redaktionen haben ihre Portale längst suchmaschinenoptimiert und damit auf Google zugeschnitten. Die genauen Algorithmen sind nur dem Suchriesen bekannt und werden näherungsweise von SEO-Profis aufgedeckt.
Christian Meier von Meedia kritisiert:
Verlässt sich ein Redakteur darauf, dass in nur wenigen Sekunden eine Klickrate ausgespuckt wird, die einem Entscheidungen abnimmt, dann ist es bis zur vollautomatischen Generierung von Meldungen nicht mehr weit. Und: Bei anhaltender Nutzung werden Prognosen vermutlich immer weniger oft in Zweifel gezogen.
Aber ist das überhaupt noch aufzuhalten? Die beiden US-Unternehmen Narrative Science und Automated Insights etwa beliefern bereits Medienunternehmen mit zugeschnittenen Daten und arbeiten an Software, die daraus auch Texte generiert. Was die einen als Untergang für den Journalismus einstufen, sehen die anderen als dessen Befreiung. Ob Roboterjournalisten jemals eine gute Analyse, einen Kommentar oder einen Feuilleton-Beitrag schreiben können, wird spannend sein zu sehen. Eins wird aber hoffentlich nie passieren: Dass man eine Überschrift oder einen Text so formuliert, wie ein Unternehmen es vorgibt.
(Jürgen Vielmeier, Bild: SebastianLund (CC BY 2.0))