So ein Thema ist doch eigentlich prädestiniert für einen Shitstorm: Ein Abiturient setzt sich in einem überfüllten Zug auf die Treppe zur 1. Klasse und muss deswegen einen Zuschlag in Höhe von 40 Euro zahlen. Und schlimmer noch: Die Bahn gibt der Schaffnerin Recht, die argumentiert hatte, die Gäste der 1. Klasse würden sich beleidigt fühlen, wenn man sich ohne gültiges Erstklassen-Ticket auf die Treppe setze.
Einen Shitstorm hätte die Meute eigentlich ideal an der neuen Facebook-Seite der Bahn abladen können, denn die war nur wenige Tage zuvor gestartet. Dort allerdings blieb der Mob fern. In den Tagen, in denen ich von dem „Treppenwitz“ las, schaute ich neugierig auf der Facebook-Seite des Bahn-Personenverkehrs vorbei. Dort fanden sich in der Tat einige böse Beschimpfungen wegen dieser Maßnahme – die allerdings schnell in der Masse anderer Postings untergingen. Wie jede andere Beschimpfung dort. Mochte man anfangs denken, dass die Bahn ja wohl nicht bei Trost sein könne, sich nach dem Start des eigenen Twitter-Service‘ auch noch auf Facebook zu wagen, sieht die Sachlage nun anders aus: Gerade Facebook scheint für die Bahn das ideale Medium zu sein, um Proteste schnell vergessen zu machen.
200 bis 300 Postings pro Tag
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Die Pinnwand der Facebook-Seite von DB Vertrieb ist mit kritischen Kommentaren übersät. Allerdings findet sich auch nicht gerade wenig Lob darunter, wenn einfach jemand dem Team ein frohes Fest wünscht. Und auch die Kritik bleibt nicht immer an der Bahn haften: es kommt nicht selten vor, dass ein Kommentator für eine all zu pauschale Kritik zurecht gewiesen wird – von anderen Kommentatoren. Wie etwa der Zeitgenosse, der sich beschwert, dass er, wie jeden Tag, wegen der Bahn zu spät zur Arbeit gekommen sei, ohne die genauen Umstände dafür zu schildern. „Das postet der sowieso jeden Tag“, lautet der erste Kommentar. „Wahrscheinlich sogar, wenn der Zug pünktlich ist“, legt ein weiterer Nutzer nach. Die Bahn wird zum Teil in Schutz genommen, und wer nicht aufpasst, macht sich mit all zu überzogener Kritik lächerlich.
Vergangene Woche fragte ich Svea Raßmus, die Leiterin des Social-Media-Managements bei DB Vetrieb, nach dem ersten Eindruck und erhielt am Wochenende eine Antwort:
„Abgesehen vom Starttag, wo wir überdurchschnittliche Seitenaufrufe und Posting/Kommentarzahlen hatten, pendelt es sich auf ca. 2600-3000 einmalige Besucher und ca. 200-300 Postings/Beiträge pro Tag ein. (…) Problematisch sind die Vorwürfe des Löschens von Postings/Beiträgen. Insgesamt wurden nur vier Beiträge wegen massiver Beleidigung oder Spam gelöscht, alle am ersten Tag – danach gab es keine verbalen Entgleisungen mehr. Das Löschen erfolgt grundsätzlich durch Ansprache und Bezug auf die Netiquette, danach wird gelöscht.“
Ganze vier Beiträge seit dem Starttag gelöscht? Hätte man da nicht Schlimmeres erwarten müssen, zumal auch der Fahrplanwechsel in diese Zeit fiel? Die schiere Masse der Postings scheint einzelne Kritik schnell in der Flut zu ertränken. Die Bahn, so mein Eindruck, geht besonnen mit dem Medium Facebook um. Und oft helfen ihr andere Bahnfahrer. Auf die Frage eines Nutzers etwa, warum man in Bonn an manchen Gleisübergängen 10 bis 15 Minuten warten muss, obwohl minutenlang kein Zug kommt (ich kenne das Problem), kommen detaillierte und erklärende Antworten. Teilweise mischen sich auch Bahn-Mitarbeiter abseits des Kommunikationsteams darunter. Der Fragesteller ist zum Schluss verblüfft über so viel Hilfe, selbst als sich herausstellt, dass sich das Problem so schnell nicht lösen lässt.
Wechsel von negativer in neutrale Haltung ist ein Erfolg
Wenn es um Kritik an Preiserhöhungen geht, bleiben die Bahnmitarbeiter oft machtlos, wie in diesem Fall, in dem einem Kritiker die Hutschnur hochgeht, weil die Preise für eine Online-Reservierung gestiegen sind. Die Bahn antwortet zweimal und belässt es dann dabei, als der Kunde sich nicht beruhigt. In anderen Fällen hilft die Bahn manchmal detailliert und filigran, wie auf die Frage einer Kundin, warum sie für einen Wunschtermin im Februar keinen Sitzplatz buchen kann. Das Bahn-Team findet heraus, dass es in dieser Zeit auf ihrer Strecke zu Umleitungen wegen Streckenbauarbeiten kommt und postet das zwei Stunden später. Zwei andere Leser klicken bei der Antwort auf „Gefällt mir“.
Raßmus schreibt mir weiter als Erklärung:
„Im Laufe der Tage haben die Agents einen guten Weg gefunden mit allgemeiner Kritik umzugehen, die direkte Ansprache und Nachfrage, ob ein spezielles Problem/Frage vorliegt. Erstaunlicherweise geht dieses Vorgehen auf und in einigen Fällen wechselt die negative in eine neutrale Haltung.“
Mehr wäre wohl auch zu viel verlangt. Wie soll ein kleines Team all die Probleme eines Großunternehmens lösen? Aber es schlägt sich wacker im Haifischbecken Facebook und führt vielen Kritikern die Grenzen der eigenen Haltung vor Augen. Viele der zahlreichen Anfragen werden zur Zufriedenheit der Kunden beantwortet, nehmen ihnen die Wut und erklären Dinge, die für Außenstehende sonst nur schwer zu verstehen sind. Das Experiment Facebook scheint für die Bahn aufzugehen.
(Jürgen Vielmeier)