Wofür wird das Technik-Jahr 2011 in Erinnerung bleiben? Tablets, Steve Jobs, Google Plus, Datenschutz? Ziemlich sicher. Aber abseits von den genannten gab es vor allem ein Thema, das uns auf Basic Thinking auf Trab gehalten hat. Denn abseits der Social Networks, Smartphones und Patentkriege vollzog sich nichts weniger als eine Revolution: Musikabos sind da, mit der Musik aller Major Labels, und die Industrie hat ihre Scheu vor dem Internet und ihre Angst vor Raubkopien endgültig abgelegt. 2011 war ein Festival für das Thema Online-Musik, und in Deutschland kam auf den Weg, was vor Jahren noch undenkbar schien.
Und jetzt, offenbar als Weihnachtsgeschenk, bewegt sich sogar die Institution, die gemeinhin als Dinosaurier der Musik bekannt geworden ist: die Gema. Sie ist geplagt mit dem Schwarzen Peter, den Google ihr zugeschoben hat, gebeutelt von massiven Angriffen durch Anonymous und heimgesucht vom Zorn der Millionen wegen gebührenpflichtigen Kinderliedern. Das war selbst den Plattenfirmen zu viel: Die Bosse von Sony Music und Universal attackierten die Gema wegen ihrer YouTube-Blockade. Jetzt will die Gema nicht länger der Böse sein und lenkt massenhaft ein.
Alles muss raus
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Die Meldungen der vergangenen Wochen lesen sich verblüffend. Die Gema verhält sich plötzlich wie ein 90-jähriger Multimilliardär, dem der Arzt offenbart hat, das er nicht mehr lange zu Leben hat. Also warum die Schätze noch horten, auf denen man sitzt? Raus damit!
Günstigere Tarife für kostenpflichtige Musik-Abos? Klar, kriegt ihr! Nur noch 6 bis 9 Cent pro Song, und eine Ermäßigung für Bitkom-Mitglieder lege ich noch obendrauf. Songs in Download-Shops 90 statt 30 Sekunden lang probehören? Aber klar doch, kein Problem! Die iTunes-Match-Generalamnestie für Raubkopierer und einen Musikspeicher in der Cloud? Na Logo, machen wir! Einen schmächtigen 10-Prozent-Anteil bei werbefinanzierten Musikabos für die Industrie, die Musiker und mich selbst, während ihr den ganzen Rest behaltet? Geht klar!
Neuer Tarif gilt auch für YouTube – theoretisch
Mit diesen Geschenken sei nun „ein neues, reformiertes Tarifsystem für praktisch alle Anwendungen und Geschäftsmodelle im Bereich Music-on-Demand“ auf den Weg gebracht, resümiert die Gema. Und es gibt Weihnachtsgeschenke für alle: Deezer, Spotify und andere Musikabos können nun wieder werbefinanzierte Angebote vorlegen. Tape.tv kommt günstiger an gutes Videomaterial. Simfy könnte die werbefinanzierte Kostenlosnutzung seines Angebots von 5 Stunden wieder erhöhen.
Der neue Tarif gilt auch für Video-on-Demand-Dienste – und das schließt sogar YouTube mit ein. „Allerdings nur theoretisch“, sagte mir gerade ein Gema-Sprecher telefonisch und gibt Google den schwarzen Peter zurück. Denn der YouTube-Inhaber habe sich den Verhandlungen bisher entzogen. Ein für Donnerstag anberaumter, neuer Verhandlungstermin sei aufgrund der Krankheit eines Anwalts auf den 16. Februar verschoben worden. Solange werden wir wohl noch warten müssen, auch wenn vieles darauf hin deutet, dass die beiden Parteien sich dann im Frühjahr endlich einigen. Denn die Gema bewegt sich – in kleinen Schritten in die richtige Richtung.
„Ownership is dead“ ist derweil ein Satz, den man in diesem Jahr häufig vernahm, wenn es um Content ging. Besitz ist tot, Mietmodelle sind der neue Heilsbringer der Unterhaltungsindustrie. Wozu noch Songs kaufen oder illegal herunterladen, wenn man für einen geringen Monatsbetrag zur Miete hören kann, was man will? Der Satz dürfte in der Zukunft noch viel diskutiert werden.
(Jürgen Vielmeier)