Ein Jahr, nur ein einziges und Nokia ist nicht länger Marktführer unter den Smartphone-Herstellern. Böse Zungen dürften behaupten: Das, was Nokia da bislang im Programm hatte, hatte mit Smartphones auch nicht viel zu tun. Klobige Brocken mit einem Touchscreen, der mit dem dafür nicht geeigneten Betriebssystem Symbian ungefähr so viel Spaß gemacht hat wie der Touchscreen eines Geldautomaten. Dann im Februar der Umschwung: Nokia paktierte mit Microsoft und setzte alles auf eine Karte: Windows Phone, der propagierte dritte Weg. Bislang aber nur ein Trampelpfad neben den achtspurigen Autobahnen Android und iOS. Und mit grober Verachtung des kaum schlechter gestellten, ebenfalls mit Problemen kämpfenden Nebenbuhlers RIM (Blackberry).
Ende dieses Jahres sollte es auf den Markt kommen, das erste Windows Phone aus dem Hause Nokia. Warum so spät? Weil es mehr sein sollte als bloß eine neue Hardware für das bereits von Samsung, LG und HTC erprobte Windows-Phone-System. Es sollte ein ganz neues Ökosystem sein. Das würde bedeuten: Software, die sonst keiner hat, Betriebssystem und Hardware aus einem Guss wie bei Apples iPhone. Und beim Termin hielt Nokia Wort: Das Lumia 800 ist seit dieser Woche auf dem deutschen Markt. Zwei Wochen hatte ich es als Testgerät hier und wollte es auf Herz und Nieren prüfen, auch im Hinblick darauf, ob es als Alternative für ein iPhone taugt. Nach dem Test muss ich sagen: Das tut es durchaus, doch es gibt ein großes Aber.
Gute Verarbeitung, was ist mit NFC?
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Zunächst die Hardware. Das gewölbte Display aus Gorilla-Glas, das praktisch mit dem Gehäuse aus hochwertigem Plastik verschmilzt, ist ungewöhnlich. Mit 142 Gramm ist das Lumia 800 bei der eher geringen Display-Größe von 3,7 Zoll allerdings ungewöhnlich schwer. Clever gelöst ist der Einschub für die micro-SIM-Karte am Gehäusekopf. Bis auf die drei für Windows Phone üblichen Tasten (Home, Suche, Zurück) am Fuße des Displays ist das Luma 800 damit fast baugleich mit dem viel umjubelten N9, das mit dem auslaufenden Betriebssystem MeeGo bestückt ist und in Deutschland nicht auf den Markt kommen soll. Die 8-Megapixel-Kamera mit Doppel-LED-Blitz auf der Rückseite rundet die Hardware ab, die insgesamt einen sehr guten Eindruck macht. Der Akku hielt bei mir selbst bei intensiver Nutzung gut 24 Stunden durch, wodurch sich das Telefon kaum von der Smartphone-Masse abhebt.
Nachteile bei der Hardware sind die fehlende Frontkamera und ein nicht erweiterbarer Speicher von 16 GByte. Und was ist eigentlich mit der Technik NFC, auf die Nokia doch so stolz war? Die ist in schlechter ausgestatteten Smartphones wie den Symbian-Modellen 700 und 701 integriert, aber nicht im Lumia 800. Die nur geringe Auflösung des Displays von 800 mal 480 Pixeln und die Tatsache, dass der verbaute Snapdragon-Prozessor mit 1,4 GHz nur ein Single Core ist, sind den Vorgaben Microsofts für Windows Phone geschuldet. Da letztendlich ohnehin entscheidet, wie schnell ich mit dem Gerät das machen kann, was ich will, fällt das aber kaum ins Gewicht: im System springt man schnell zwischen den einzelnen Bildschirmen hin und her, Apps laden ohne Verzögerung und sind danach sofort „ansprechbar“. Der Unterschied wird hier beim Vergleich mit meinem zugegeben etwas in die Jahre gekommenen iPhone 3GS mit iOS 5 deutlich, wo Apps in letzter Zeit sehr langsam starten und oft für Sekunden nicht reagieren.
Windows Phone: Oft einen Schritt zu viel
Die Arbeit mit dem installierten Windows Phone 7.5 hat mir Spaß gemacht. Allerdings habe ich mich schon lange als Fan dieses ungewöhnlichen Kachelsystems geoutet. Hier muss letztendlich jeder selbst entscheiden, ob Android, iOS, WP7 oder etwas anderes ihm von der Optik her am besten gefällt. Microsoft stellt die Metro-Oberfläche mit den beweglichen Kacheln als Highlight dar. Treffen neue Nachrichten oder Mails ein, zeigen die Apps das an, Fotos aus dem Archiv werden nach dem Zufallsprinzip auf dem Hauptbildschirm animiert. Die Kontakte-Kachel, die eng mit Facebook verzahnt ist, bewegt sich eigentlich ständig – selbst wenn bei den Kontakten nichts Neues passiert. Viele Kacheln wie eine offizielle Wetter-App aus dem Market Place müssen dafür erst geöffnet werden, bis sie das aktuelle Wetter anzeigen. Hier sind viele Entwicklungen offenbar noch nicht so weit, wie Microsoft sie gerne hätte.
Fragwürdig ist die enge Kopplung der Kontakte mit Facebook. Will ich einem vorhandenen Kontakt eine Telefonnummer hinzufügen, verlangt das Gerät von mir, sie entweder in Windows Live oder in meinem Google-Account zu speichern. Ein eigenes Telefonbuch scheint es nicht zu geben. Als iOS-erprobter Nutzer erscheinen mir außerdem viele Funktionen der Windows-Phone-Oberfläche natürlich ungewohnt, einige aber auch fraglich. So habe ich am zweiten Tag meines Tests (zum Glück an einem Urlaubstag) prompt verschlafen, weil ich den Wecker zwar gestellt, aber das sehr klein geratene Speicher-Symbol wohl nicht gedrückt habe.
Wo ist dieses Ökosystem, von dem Elop sprach?
Oft muss man also gefühlt einen Schritt zu viel gehen. Etwa wenn man bei der Annahme eines Telefonats den Bildschirm nach oben schieben muss und dann erst auf „Annehmen“ drücken kann. Nach einem längeren Telefonat war das Lumia 800 bei mir trotz vollen Akkus plötzlich gar nicht mehr ansprechbar. Ich konnte das Gerät nicht mehr einschalten und musste hoffen, dass mein Gesprächspartner das Telefonat schon von sich aus beenden würde. Einen guten Eindruck macht dafür der Sperrbildschirm, bei dem man etwa beim Musikhören direkt einen Titel vor oder zurück springen kann. Für einen iPhone-Nutzer eine erfreuliche Überraschung: das Lumia 800 hat ein eingebautes FM-Radio mit extrem schneller Sendersuche.
Die Auswahl der Apps ist in Ordnung. Standard-Apps wie Twitter, eine (schlechte) Facebook-Version, WhatsApp, DB Navigator oder Foursquare findet man im Windows Marketplace, der inzwischen immerhin 40.000 Apps zählen soll. Jeden Monat kommen im Schnitt über 3.000 hinzu. Und so findet sich dort vieles für den täglichen Gebrauch vom Feedreader bis zum Taskmanager. Bereits vorinstalliert ist eine gute Version von Microsoft Office. Unschön allerdings: Musik- und Datentransfer verlangen zwingend einen Zune-Account für die Synchronisation mit Windows-PCs. Auf dem Mac empfiehlt sich der Windows-Phone-Connector.
Und was ist nun mit dem eigenen Ökosystem, dem Grund, warum wir so lange auf Windows Phone warten mussten? Das Highlight ist zweifellos Nokia Navigation, ein vollständiges Navi für das Auto, das Nokia dem Lumia 800 kostenlos spendiert hat und das mit Kartenmaterial von ganz Europa auch offline funktioniert. Gab es allerdings auch schon auf früheren Nokia-Geräten. Die Finnen heben eine Kooperation und eine eigene App mit dem englischsprachigen und US-fokussierten Sportsender ESPN hervor, was dem deutschen Anwender aber nur wenig bringt. Gleiches gilt für Nokia Musik, das aufgrund fehlender Rechte für Streaming hierzulande bis auf den Konzertefinder nicht viel mehr bietet als Microsofts vorinstallierte Zune-App.
„Wir warten erstmal ab, wie sich der Marktanteil entwickelt“
Und um mich selbst als Beispiel zu verwenden: Letztendlich ist die App-Frage der Hauptgrund, der mich derzeit noch von einem Wechsel zu Windows Phone abhält. Ich bin in den letzten Wochen fast komplett vom Musikkauf auf Musikabo umgestiegen. In meinem Falle ist es Simfy – ihr könntet auch Napster, Juke oder andere nehmen. Simfy jedenfalls hat derzeit eine App für iOS, für Android und für Blackberry – aber nicht für Windows Phone. Und wie mir Simfy-Pressesprecher Marcus von Husen bestätigte, wird sich das auch nicht all zu bald ändern. In Hinblick auf die Geschäftsentscheidung im eigenen Hause schrieb er mir: „Aktuell wird nicht an einer App für Windows gearbeitet. Man wird hier noch eine Weile den Marktanteil beobachten, ehe es wirklich an die Planung geht.“
Ein Zitat, das derzeit vermutlich bei vielen Unternehmen geäußert wird und das ein Henne-Ei-Problem offenbart. Der Marktanteil von Windows Phone liegt noch bei unter 5 Prozent, also lohnt sich für viele Entwickler die kostspielige Entwicklung einer App nicht. Ohne die wichtigsten Apps wird sich der Marktanteil aber nicht signifikant erhöhen, weil dann die Kunden nicht wechseln. Fragt euch selbst: Würdet ihr auf ein neues System umsteigen, wenn ihr die Apps dort nicht hättet, die ihr jeden Tag nutzt?
War es das lange Warten wert?
Und so halte ich das Lumia 800 und Windows Phone für eine gute Wahl für Menschen, die jetzt ihr allererstes Smartphone kaufen wollen. Und da wirkt Windows Phone in der Tat lebendiger und bunter als das etwas in die Jahre gekommene iOS. Für Menschen, die gewillt sind, umzusteigen, könnten die letzten 10, 20 Prozent aber einfach noch fehlen. Der Gesamteindruck des Lumia 800 ist jedoch eindeutig positiv. Es ist zweifellos das beste Nokia-Smartphone, das es jemals gab, es ist wohl auch das beste Windows Phone, das es auf dem Markt gibt und es trifft sich bei der Verarbeitung, der technischen Ausstattung und der so wichtig gewordenen Benutzerfreundlichkeit (User Experience) auf Augenhöhe mit aktuellen Android-Geräten der Konkurrenz und auch dem iPhone 4S.
Aber hat es Alleinstellungsmerkmale, die rechtfertigen, dass wir ein Dreivierteljahr darauf warten mussten? Dass sich Nokias Marktanteil in der schnelllebigen Zeit der Mobilfunkwelt nahezu halbiert hat? Die Erwartungshaltung war durch die lange Wartezeit so hoch, dass das Lumia 800 vergleichbare Konkurrenten wie das HTC Radar nicht nur schlagen, sondern eigentlich gleich um mehrere Bootslängen abhängen müsste. Tut es das? Ich denke nicht. Nokia dürfte viele alte Kunden verlieren und ganz neue dazu gewinnen, gerade in den künftig hauptsächlich anvisierten Schwellenmärkten in Asien, Afrika und Lateinamerika (wo Lumia umgangssprachlich so viel heißt wie Prostituierte). Nokia wird zu alter Stärke wohl nicht mehr zurückfinden können, aber der Verfall ist jetzt gestoppt. Am Ende wird es eine Geschmacksfrage sein: Man muss Windows Phone wollen, wenn man Nokia kauft. Mit dem System sind die Finnen jetzt auf Gedeih und Verderb verbunden. Einen Plan B gibt es nicht. Eine Alternative für euch?
Update: Ben Lampe von Nokia schrieb mir noch ein paar Zeilen, in denen er erklärt, warum das mit dem Wechsel auf Windows Phone so lange gedauert hat:
Normalerweise dauert es 12-18 Monate ein neues Smartphone zu entwickeln. Wir haben das in unter 8 Monaten geschafft. Das Ganze auf einem Prozessor mit dem wir noch nie gearbeitet haben (Qualcomm) sowie einem für uns komplett neuen OS. Von daher sind wir im Rennen ganz klar nach dem HTC Titan und Radar gestartet, denn die hatten Prozessor als auch WP als OS bereits in Geräten integriert.
(Jürgen Vielmeier, Bilder: Nokia, BT)