Sonstiges

Eure Gegenwart ist auch nur eine Software-Version

Ein Mensch ist ja keine Maschine. Obwohl – vergleichbar ist beides schon. Die Entwicklung, die unser Leben nimmt, von dem Tag an, an dem wir gezeugt werden, ließe sich mit dem Lebenszyklus einer Software vergleichen. Bereits in den Monaten vor der Geburt gäbe es erste Gerüchte über eine baldige „Veröffentlichung“. Unsere werdenden Eltern dementieren noch, aber Freunde und Familie ahnen bereits, dass da was im Anmarsch ist. Was wird es sein, ein Junge oder ein Mädchen? Das leaken erste Bilder der Ultraschalluntersuchung. Bei der Geburt bereits von einer Version 1.0 zu sprechen, wäre aber übertrieben – und würde die Erwartungen enttäuschen. Denn was da das Licht der Welt erblickt, kann weder laufen noch sprechen und ist nicht einmal alleine lebensfähig. Treffender wäre da eine Bezeichnung wie „frühe Alpha-Version“ oder 0.1.

Mit Hilfe geduldiger Eltern wächst man schließlich heran, zahnt, lernt laufen (Version 0.2), sprechen (0.3), selbständig essen (0.4) und kommt irgendwann in den Kindergarten und die Schule (0.5). Nach und nach nähert man sich der ersten stabilen Version an. Als Teenager spielt man sich in teils hitzigen Streitigkeiten mit den „Chef-Entwicklern“ bereits als „Release Candidate“ auf. Per Gesetz ab 18 oder zumindest dann, wenn man von zu Hause auszieht („released“ wird), dürfte man die Version 1.0 erreicht haben. Und dann geht es erst richtig los damit, die zahlreiche Fehler und Lücken im Code zu verbessern und sich ständig weiter zu entwickeln.

„2.7 war noch die beste Version“


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Das Szenario habe ich neulich mit meiner besten Freundin durchgespielt. Jede wichtige Erfahrung könnte eine neue Unterversion sein, jede große Veränderung ein glatter Versionssprung. Ein jedes Leben verläuft anders, aber es gibt Ereignisse, die jeder erlebt: Laufen lernen, der erste Schultag, sich zum ersten Mal verlieben, eine (Un-)Tätigkeit aufnehmen. Und es gibt einschneidende Erlebnisse, die uns verändern: der Tod eines Angehörigen, das Ende einer Beziehung, eine Veränderung im Job, vielleicht der Kauf des ersten Autos, ein Auslandsaufenthalt, die Hochzeit, vielleicht der Gewinn einer Lotto-Million. Und irgendwann, wenn es keine neuen Impulse mehr gibt, wird die Software aufgegeben, eingestampft, beerdigt.

Das Szenario einmal an sich selbst durchzuspielen, kann sehr interessante Ergebnisse zu Tage fördern. Oder würdet ihr behaupten, dass ihr euch in den letzten zehn Jahren nicht weiter entwickelt habt? Wüsstet ihr noch, wann ihr gelernt habt, Rad zu fahren, wann ihr das erste Mal gegen einen Fußball getreten habt, das erste Mal euer eigenes Geld verdient habt, das erste Mal auf jemanden getroffen seid, der eure Sprache nicht spricht? Bei welcher Version seid ihr jetzt, was waren die Meilensteine eurer Entwicklung? Welche Versionsnummer hat euch besonders gut gefallen, welche hättet ihr lieber übersprungen, worauf sollte bei der nächsten Version besonders Acht gegeben werden und wann ist mal wieder ein neuer „Major Release“ fällig?

Das ganze kann Schönes wie Unangenehmes zu Tage fördern. Probiert es einmal aus – wenn ihr euch traut.

(Jürgen Vielmeier, Bild: Joe Stump (CC))

Über den Autor

Jürgen Vielmeier

Jürgen Vielmeier ist Journalist und Blogger seit 2001. Er lebt in Bonn, liebt das Rheinland und hat von 2010 bis 2012 über 1.500 Artikel auf BASIC thinking geschrieben.

9 Kommentare

  • „[…] aufgegeben, eingestampft, beerdigt.“

    Beerdigen … das ist als würde man für die nicht mehr verwendbare Software eine riesen Gedenkwebsite erstellen, die Platz auf dem Webserver wegnimmt und regelmäßig gewartet werden will. Außerdem würde der Code der Software für jegliche Wieder- und Weiterverwendung und -verwertung gesperrt.

    Ne, ne. Was noch brauchbar ist in die public domain und der Rest darf in seine Einsen und Nullen aus denen er bestand zerfallen — nur eben so, dass es möglichst wenig und nur einmaligen Aufwand macht.

    ist etwas off topic … sorry ^_^‘

  • Sehr schöner Artikel. Hätte gern weiter und tiefgründiger gelesen.
    Ich kann leider meinem Lebensweg kaum Versionsnummern geben. Welche Versionsnummer gebe ich z.B. meinem ersten Mal? Oder die Teilnahme an einer Pokerweltmeisterschaft 2007? Diese 2 Dinge gehören sicher mit zur Top5 meiner schönsten Erlebnisse. Jedoch wüsste ich aus dem Stehgreif nicht welche Versionsnummern ich da hatte 😉 Wann ist denn zum Beispiel Version 36 erreicht? Bei Mozillas Firefox ja bereits in 2 Jahren laut offizieller Roadmap.

  • version 0.7x war ganz schön. da war das leben noch einfach und bequem – und die schwerste frage des tages war welche hose man morgens denn nun anzieht.

    wo stehen wir eigentlich so ab mitte 20, wenn es mit der körperlichen und geistigen leistungsfähigkeit nur noch steil nach unten geht? laufen die versionsnummern dann rückwärts ab? oder wird das programm mit zunehmender reife und komplexität einfach etwas überladen und verliert an effizienz?

  • nun ja.. noch kann man jedenfalls ungestraft sagen, dass ich über den Artikel sehr amüsiert b i n . (:

    Ganz ähnlich liest sich übrings auch ein Beitrag im Wiki vom eLancer-Team, dass zum Thema Computersprachen resümiert und unter anderem aufgibt, dass bei der Kommunikation mit Maschinen nicht so ganz unbedingt ein wirkliches Mitteilungsbedürfnis zugrunde liegt.

  • Ich weiß nicht bei welcher Version ich mittlerweile angekommen bin aber die meisten X.0 Versionen haben mir den größten Kummer bereitet. Das muss wohl an der großen Umstellung auf das nächste Jahrzehnt liegen. 🙂

    Schöne Idee dieser Artikel.

  • Muss hier mal lobend einschreiten. Das ist der coolste Blogeintrag, den ich seit einer ganzen Weile gelesen hab.
    Ließt sich wirklich toll. Allerdings ist mir dabei auch das erste mal aufgefallen, dass die mobile Version von BT keinen Flattr-Button aufweist.

  • @Bl0nki: Danke. 🙂 Hm, Flattr ist ja bei uns so ein bisschen aus der Mode gekommen. Dein Zuspruch ist mir aber mehr wert als Geld!