Ich mochte diese Stadt nicht. Sehr schroff wirken ihre Bewohner auf den ersten Blick im Vergleich zum Rheinländer. Hier ist es sehr kalt im Winter, und damit meine ich nicht nur die Luft. Und jedes Mal, wenn ich dort hinreise, bin ich am Ende des ersten Tages geknickt. Unwirsche Busfahrer, denen man bloß keine Frage stellen darf. Und Fahrgäste, die kein Deutsch sprechen, erhalten gleich einen Eindruck davon, was es heißt, in Deutschland zu sein. Weil ihnen niemand hilft, sich zurecht zu finden: Das Personal nicht, die Beschilderung nicht und andere Reisende auch nicht.
Die Hinweisschilder in den U-Bahn-Stationen scheinen mal hier- mal dorthin zu zeigen. Die Namen der Bushaltestellen sind mit dem bloßen Auge praktisch nicht zu erkennen. Wehe, die Durchsage ist defekt. Hunderte Eindrücke prasseln auf einen ein, die man mit niemandem der dreieinhalb Millionen Einwohner teilen kann, die wie wild um einen herumwuseln. Weil man mit ihnen nicht ins Gespräch kommt, weil jeder sein eigenes Ding dreht und sich nur für seinen eigenen Mikrokosmos zu interessieren scheint. Weil man mit anderen Passanten nichtmal ein kurzes Schwätzchen halten kann, wie in anderen Metropolen der Welt wie New York oder London. Die Menschen wirken so, als möge man sie bloß in Ruhe lassen.
Doch dann hat diese Stadt noch eine andere Seite. Big Bands, die mit einmal vor einem x-beliebigen Straßencafé auftauchen und ein kleines Konzert geben – ohne danach mit dem Hut durch die Reihen zu gehen. Schleichwege und Seitenstraßen, in denen man unvermittelt auf eine Boutique oder ein hübsch eingerichtetes Café stößt. Junge Reiche in Designerklamotten, die am Samstagabend in Prenzlauer Berg an öffentlichen Tischtennisplatten Ping-Pong spielen. Kultiges an allen Ecken und Enden. Sprachen aus allen Ländern der Welt, und längst nicht alle dieser Leute sehen wie Touris aus.
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Fokus auf das Wesentliche
Die Stadt zwingt einen, für sich selbst einzutreten
Am zweiten Tag hat man eine Entscheidung zu treffen. Man kann sich einigeln, das Hotelzimmer nicht mehr verlassen oder höchstens noch Schloss Bellevue und das Brandenburger Tor abklappern, mit Trotz und Sarkasmus auf jede Bemerkung der Einheimischen reagieren. Oder man kann sich darauf einlassen und dann nach und nach in diesem seltsamen Spiel Zug um Zug aufholen. Und verstehen lernen. Dass der Verkäufer es gar nicht böse meint, wenn er zum unschlüssig dreinschauenden Kunden blökt: „Junger Mann, se wissen aber auch nich, wat se woll’n!“. Oder die Kellnerin beim Abräumen nörgelt: „Dit Stück Käse hättense aber auch noch essen können“. Es scheint gar keine Kritik zu sein, sondern eine Einladung zum Dialog. Und mehr als das. Es ist die Aufforderung, mal tough zu sein, für seine Wünsche einzutreten, sich selbst mal in den Mittelpunkt zu stellen.
Und das, so hat man den Eindruck, tut der Berliner für sein Leben gerne. Vielleicht muss er das aber auch einfach nur. Denn die anderen Leute um ihn herum sind ja genauso. Hier ist man, wie man ist, auch wenn man ganz anders ist. Hier macht man einfach mal und schert sich nicht darum, was die anderen tun oder denken. Ich kann schon verstehen, warum die US-Technikpresse begeistert von dieser Stadt und seinen kreativen Startups ist. Sie hat etwas Ehrliches, und sie wirkt deutlich freundlicher, wenn man sie ein Stück weit versteht. Aber Sensibelchen sind hier nach wie vor nicht gefragt. Ist man ein solches, zwingt Berlin einen dazu, sich mit sich selbst auseinander zu setzen. Und dann findet man Antworten. Warum sensibel sein? Das hätte diese kalte Welt doch gar nicht verdient! Und geholfen wäre damit auch niemandem. Ich fange an, diese Stadt zu mögen.
(Jürgen Vielmeier)