Als Nerdcore im Januar nach Abmahnung durch Euroweb plötzlich nicht mehr erreichbar war, folgte im Netz ein Aufschrei der Entrüstung. Zahlreiche Online-Medien und Blogs nahmen das Thema auf und berichteten über den Schlagabtausch zwischen Nerdcore-Betreiber René Walter und der Düsseldorfer Firma. Auch Jürgen schrieb damals hier auf Basic Thinking darüber. Doch dieser Grad an Aufmerksamkeit ist eher die Ausnahme. Die meisten Blogs können sich kaum auf die Unterstützung einer breiten Netzöffentlichkeit berufen, wenn wieder einmal ein Anwalt mit scharf formulierten Abmahnforderungen auf den Plan tritt. Schnell kommen dabei vierstellige Summen zusammen, die sogar die persönliche Existenz gefährden können. Gleichzeitig wird es für Betreiber kleiner wie großer Blogs immer schwieriger, die unzähligen Fallstricke im Minenfeld von Urheberrecht, Persönlichkeitsrechten, Meinungsfreiheit und korrekter Zitierweise zu überblicken. Bloggen, so scheint es, ist mittlerweile juristisches Minesweeper.
Was im Zuge dessen oft als erstes auf der Strecke bleibt, sind Spaß, Schreibfreude und Unbeschwertheit – Motive, die für viele private Autoren aber weiterhin der Hauptantrieb für das regelmäßige Publizieren im Netz sind. Vor wenigen Tagen warf daher wieder einer von ihnen das Handtuch – allerdings nicht ohne seinem Ärger über die offenbar immer mehr um sich greifende „Abmahneritis“ in einem letzten Blog-Beitrag zuvor gehörig Luft zu machen.
So schrieb Oliver Stör auf Stör-Signale:
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Ich verfüge nicht über die Zeit, die Mittel und die Ausdauer ständig mit Rechtsanwälten zu korrespondieren, die absurde Forderungen für geringste Verstöße erheben. Solange die Rechtslage in Deutschland einen Privatmann in Existenzgefahr bringt, sobald er eine anwaltliche Abmahnung mit einer nicht ganz perfekten Formulierung beantwortet, sehe ich keine Möglichkeit diese Seiten weiter im Netz zu belassen.
Zugleich gab er seinen Abschied vom Bloggen bekannt. So schnell wollten wir Oliver aber dann doch nicht ziehen lassen und haben ihn gebeten, in einem Interview etwas mehr über seine Beweggründe zu erzählen.
Basic Thinking: Oliver, erst einmal vielen Dank, dass Du dir Zeit für uns genommen hast. Dein erstes Blog-Posting stammt von 2002. Du gehörst also durchaus noch zu den Early Adoptern des späteren Web-2.0-Booms. Wie bist Du zum Bloggen gekommen?
Oliver Stör: Ich hatte damals bereits seit zwei Jahren eine eigene Webseite. Die habe ich noch mit der „Hand am Arm“, also mit Notepad auf Windows editiert. Damals entstanden die ersten Software-Werkzeuge, die das Bloggen möglich machten. Mich hat die Möglichkeit fasziniert, mit diesen Werkzeugen, eine Webseite sehr einfach und schnell auf dem aktuellen Stand zu bringen. Ich war überzeugt, dass ist der richtige Weg, da die herkömmlichen Webseiteneditoren für „normale“ Menschen zu technisch waren.
Ob ich wirklich zum Urgestein zähle, na ich weiß nicht. Inspiriert haben mich damals hauptsächlich Jörg Kantel (Der Schockwellenreiter), Dave Winer (Scripting News), Ralf Zeigermann (The Cartoonist) und majo (Industrial Technology and Witchcraft). Bis auf majo, der letztes Jahr leider verstorben ist, sind alle noch aktiv.
Worüber hast du geschrieben? Gab es spezielle Themen, die dir besonders am Herzen lagen?
Am Anfang habe ich über alles und nichts geschrieben. Die Stör-Signale waren ein buntes Sammelsurium von Netzfundstücken, Witzen, Verweisen auf interessante Artikel und Meldungen aus Wissenschaft, Technik und EDV.
Im Laufe der Zeit haben sich dann drei Ableger der Stör-Signale entwickelt, die schärfer fokussiert waren. Die Apfel-Signale, in denen ich mich fast ausschließlich mit dem iPhone befasst habe, dann Christians Bücherkiste, in dem mein Bruder hauptsächlich über klassische Literatur schreibt und die Sport-Signale, die mein Vater – Sportjournalist im Unruhestand – betreut hat.
Und nun hörst du nach 9 Jahren schlagartig auf. Du hast, wenn ich das richtig gesehen habe, alle alten Beiträge bis auf dein allererstes Posting entfernt. Dein letzter Beitrag schwankt zwischen Wehmut und einer Menge Wut im Bauch. Du schreibst, du hättest in weniger als einem Jahr drei Abmahnungen bekommen. Worum ging es da und was hat das Fass am Ende für dich persönlich zum Überlaufen gebracht?
Genau genommen waren es nur zwei Abmahnungen. Dazu kam noch eine Schadenersatzforderung. Die Schadenersatzforderung und die zweite Abmahnung sind innerhalb einer Woche bei mir eingetroffen. Besonders die letzte Abmahnung hat mich veranlasst, die Weblogs aufzugeben. Erstens hatte mir der Gegner nur eine Frist von einem Tag zur Antwort gegeben. Zweitens war sie unbegründet. Und obwohl diese Forderung nach Auskunft meines Anwalts jetzt vom Tisch ist, bleibe ich zumindest auf meinen eigenen Anwaltskosten sitzen.
Wie hoch war dein gesamter finanzieller Schaden – Stichwort Anwalts- und Abmahngebühren?
Bisher hat mich das Ganze etwa 1800 Euro gekostet. Die Forderung nach Schadenersatz ist aber noch offen. Da können nochmal über 1000 Euro dazukommen.
Waren Abmahnungen für dich früher tatsächlich weniger ein Thema als heute? Hat das Problem deiner Ansicht nach zugenommen? Wie sieht es in deinem Umfeld aus?
Von 2002 bis 2010 hatte ich überhaupt kein Problem mit Abmahnungen. Inzwischen scheint das aber ein sehr lukratives Betätigungsfeld – besonders für Anwälte – zu sein. Wenn man im Netz nach einem Anwalt sucht, der einen im Fall einer Abmahnung vertritt, ist es relativ leicht jemanden zu finden. Also scheint die Nachfrage sehr groß zu sein.
Was sagst du Bloggern, die Abmahnungen vermeiden wollen. Gibt es ein paar goldene Regeln oder ist man den Forderungen der Anwälte eigentlich schutzlos ausgeliefert?
Eine goldene Regel Abmahnungen zu vermeiden gibt es meines Erachtens nicht. Dazu sind die „Verfehlungen“ für die man abgemahnt werden kann, zu zahlreich und für den juristischen Laien nicht zu durchschauen. Was für Tipps kann ich geben? Also: 1. Keine Bilder aus dem Netz verwenden. Es ist praktisch unmöglich, nachzuvollziehen, wer welche Rechte an welchem Bild hält. 2. Keine Zitate. Hier gilt das gleich wie für Bilder. Selbst wenn ich eine Tageszeitung zitiere, kann es passieren, dass der Autor trotzdem abmahnen lässt. 3. Vorsicht bei Linksetzungen. Es gibt Seiten, bei denen in den Nutzungsbedingungen steht, dass ein Link nur nach ausdrücklicher schriftlicher Genehmigung erlaubt ist. Das war eine Zeitlang z.B. beim ADAC der Fall, obwohl dessen Bedingungen etwas entschärft wurden.
Am besten verwendet man nur eigene Texte und eigene Bilder. Von Blogs mit Schwerpunkt auf Zitaten und Links wie z.B. beim Schockwellenreiter würde ich Neulingen zumindest abraten.
Und eines noch: Das Blog bei einem Webhoster und mit einer Software betreiben, bei der man immer Zugriff auf alle Dateien hat. Als ich die erste Abmahnung bekommen habe, liefen die Blogs auf Typepad. Ich konnte dort an die – von mir hochgeladenen – Bilddateien nicht mehr herankommen. Das ist von Bedeutung, weil bei einer Abmahnung immer eine Unterlassungserklärung dabei ist, in der man sich verpflichtet, die beanstandeten Bilder oder Texte gegen Zahlung einer Vertragsstrafe nicht mehr zu nutzen. Ich hatte jedoch große Schwierigkeiten, die Fotos vom Server zu löschen. Schließlich musste der Support von Typepad alle Bilddateien löschen, was dort drei Tage gedauert hat.
Was würdest du raten, wenn die erste Abmahnung trotz aller Vorsicht im Briefkasten liegt? Wie sollte man sich verhalten? Welche Strategien haben dir geholfen beziehungsweise nicht geholfen?
Das wichtigste ist hier: Keine Panik. Die Schreiben sind relativ scharf formuliert, die Fristen, die einem zur Reaktion gesetzt werden, extrem kurz. Also erstens tief durchatmen. Zweitens, die beanstandeten Bilder und/oder Texte unverzüglich entfernen. Drittens einen Anwalt besorgen. Inzwischen gibt es schon Notdienste für Abmahnungen, wobei die sich meist auf Filesharing-Abmahnungen beziehen. Dieser Anwalt übernimmt dann die Korrespondenz mit der gegnerischen Seite.
Man kann sich auch bei den Verbraucherzentralen beraten lassen. Da kommt es dann drauf an, wann die einen Termin freihaben und welche Frist man selbst gesetzt bekam. Auf keinen Fall sollte man dem gegnerischen Anwalt selbst antworten oder eine vorgefertigte Unterlassungserklärung unterschreiben. Das hat mir auch die Verbraucherzentrale geraten.
Wenn wir uns mit deinem heutigen Wissen wieder im Jahr 2002 befänden – würdest du angesichts dessen, was du erlebt hast, noch einmal mit dem Bloggen beginnen?
Schwer zu sagen. Hinterher ist man immer schlauer. Im Moment, nein.
Was entgegnest du jemandem, der heute sein eigenes Blog starten will? Machen oder doch lieber lassen?
Wenn es ein rein persönliches Blog ist, rate ich jedem dazu. Aber ich denke die Zeit der Blogs läuft über kurz oder lang ohnehin ab. Heute sind Twitter, Facebook und Google+ die Werkzeuge der Wahl. In fünf Jahren – wer weiß.
Wie geht’s nun bei dir weiter? Wirst du dem Netz als Autor erhalten bleiben oder hast du die Nase für immer voll?
Wahrscheinlich kann ich meine Klappe nicht so lange halten. Das Schreiben liegt bei mir gewissermaßen in der Familie. Als nächstes werde ich wohl meine alte Webseite wiederbeleben und mit meinen Fotos füllen. Ob ich nochmal ein Blog betreibe, das weiß ich nicht.
(Christian Wolf; Karikatur: Oliver Stör)