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Aus für 9Live – das Ende einer Ära. Ein bestürzter Nachruf.

Ja, ich weiß: Ihr alle seid furchtbar traurig, dass nun tatsächlich Schluss ist beim einstigen Intellektuellen-Sprachrohr 9Live. Eure Kommentare unter Hayos gestrigem Abschiedsgruß sind da eindeutig, ach was sag ich, eineindeutig. Aber wisst ihr was: Man soll eben aufhören, wenn es am schönsten ist. Und dass es schön war, daran besteht nun wirklich kein Zweifel. Daran konnten auch ewige Nörgler wie Oliver Kalkofe nichts ändern. Dieser schrieb 2006 in einem unerträglich zynischen Spiegel-Kommentar:

Ein Großteil der Sendestrecken im Privatfernsehen wird inzwischen gefüllt von schlechtausgebildeten Trickbetrügern und mäßig begabten Hütchenspielern, die auf der Straße keine zehn Minuten überstehen würden, ohne verhaftet oder von der Kundschaft niedergeschlagen zu werden. Debil grinsende Moderations-Amöben auf Neun Live oder DSF, die stundenlang vor einem vollgeschmierten Flipchart stehen und sich den kargen Restverstand aus dem Haarständer labern, um die zuschauenden Nieten im Loseimer der Glotzmasse zum Anrufen und Bezahlen der dreisten Dämlichkeit zu animieren.

Ach was, sage ich da, alles nur purer Neid, weil die 9Live-Moderatoren selbst ihre beste Karikatur waren. Wer braucht da noch einen Kalkofe. Trotzdem legte der im nächsten Atemzug noch einen oben drauf und zog auch den Bildungsanspruch des Senders in den Schmutz:

Frech getarnt wird derlei auch gern als Quizshow, denn gesucht werden beispielsweise zusammengesetzte Wörter aus dem Substantiv „Fußball …“ – ganz gebräuchlich, kennt jeder. Fußballspiel, richtig. Fußballverein, auch dabei. Fußballfeld, natürlich … nur das letzte Wort macht über eine Stunde lang Schwierigkeiten, total einfach, aber die Leute scheinen wie vernagelt. Schade, Zeit ist um, die 500 Euro bleiben in der Hose – „Fußballmensch“ wäre es gewesen! Eines der bekanntesten Nominalkomposita unserer Sprache, gleich nach dem „Fußballbaum“ oder „Fußballball“.

Ich habe mich daher entschlossen, derlei schändlicher Niedertracht etwas entgegenzusetzen und in Stunden emotional-qualvoller Suche einige Höhepunkte aus vielen Jahren 9Live aufgetan, um die unvergesslichen Momente dieses Juwels der Fernsehunterhaltung noch einmal würdig Revue passieren zu lassen. Denn, seien wir ehrlich, solche Vielfalt, wie es einst dort gab, hat doch in der deutschen TV-Landschaft mittlerweile Exotenstatus.

Zum Glück ist auf YouTube und Co noch einiges für die Nachwelt erhalten geblieben. Dort findet man zahlreiche Perlen der viel zu kurzen Sendergeschichte, die ja bereits im Mai ihr vorläufiges Ende fand. Aber Schluss mit langen Trauerreden. Ein bewundernder Rückblick auf 10 Jahre 9Live.

Besonders vermissen werde ich…

…all die professionellen Moderatoren, die nicht nur steif vom Teleprompter ablasen, sondern spontan aus sich herausgingen:

…den warmen und herzlichen Umgangston, bei dem sich jeder Anrufer sofort wohlfühlen durfte:

…die verantwortungsvolle und sensible Lebenshilfe für in Not geratene Anrufer:

…die fairen Gewinnspiele, bei denen wirklich jeder die Chance hatte, zu gewinnen und bei denen man immer etwas lernen konnte:

…und den pädagogisch so wertvollen, behutsamen Umgang mit Kindern:

Na, habt ihr eine Gänsehaut bekommen? Ich auch. Und wir sind nicht allein. Viele TV-Größen, die bei Sendern wie 9Live begonnen haben, sind natürlich persönlich genauso bestürzt.

Tja, und wie soll es nun weitergehen? Vielleicht so – auch wenn das ein wenig blasphemisch ist: Allen geschockten 9Live-Süchtigen, die nun die erste Taste der Fernbedienung neu programmieren müssen, sei Telemedial als ein möglicherweise passender Ersatz empfohlen. Auch MTV, RTL2 oder das nächtliche DSF-Programm können Teile der gerissenen Lücke vielleicht füllen.

Ansonsten bleibt uns wohl nur noch die Hoffnung, dass der nun so kläglich erloschene Stern im Universum der anspruchsvollen TV-Unterhaltung irgendwann in der Zukunft wieder zu leuchten anfängt. Mach’s gut 9Live und danke für den Fisch.

(Christian Wolf)

Über den Autor

Christian Wolf

Christian Wolf wird am Telefon oft mit "Wulff" angesprochen, obwohl er niemals Bundespräsident war und rast gerne mit seinem Fahrrad durch Köln. Er hat von 2011 bis 2014 für BASIC thinking geschrieben.

21 Kommentare

  • In Sender den die Welt nicht braucht. Leider wird der Sendeplatz für keinen produktiven Sender genutzt. Aber was will man erwarten…

  • Mein Sarkasmussensor schlägt ungewöhnlich stark aus.. 😀
    Glaube den Kommentaren zu Hayos Artikel gestern ist wirklich nicht mehr viel hinzuzufügen 😉

  • Warum berichten eigentlich soviel „Technik und INternet“ Seiten über die Abschaltung von 9Live? Ist das nicht ein Fernsehsender? Der so rein garnichts mit Technik oder Internet zutun hatte?

  • Der Beitrag von Christian Wolf ist doch wohl hoffentlich ironisch gemeint oder? Ich meine – Kalkofe übertreibt immer ganz schön, dafür ist er aber bekannt! – aber 9live so gut darzustellen….. ist doch wohl nicht ernst gemeint??????

  • Ist doch erstaunlich, dass sich der ehemalige Frauensender zu so etwas entwickelte, wogegen der Männersender DMAX weiterhin für seine Geschlechtergruppe funktioniert.

  • Also abzockerisch ist schon ein hartes Wort. generell finde ich, dass man es dem Sender doch auf alle Fälle schon frühzeitig angemekrt hat, dass man mit vernünftigem Programm scheinbar nichtmehr überzeugen konnte, oder kein Geld mehr dafür hatte….

  • Welchen Kanal wird’s wohl als nächsten treffen? Einen von den „Sportsendern“ mit Baumfällen und Poker? Einen von den Shopping-Kanälen, mit Topfsets und total tollen Juwelen?

  • Auf meiner Senderliste war der eh nicht, aber es gab interessante Berichte im ÖR über den Verein.

    Früher fragte ich mich, wieso dieser Abzockverein nicht verboten wird. Dann dachte ich mir, wer so hohl ist dort anzurufen, hats nicht anders verdient. 😉

  • Super Zusammenstellung der besten Clips 🙂

    Einen der besten Clips aus Call-In-TV ist mir noch in Erinnerung … zwar kein 9Live, dafür aber erschütternd … der BlackJack – 17+4 – Beschiss bei RTL Nachtquiz:

  • Muhaha, gerade der letzte Clip ist ja gleich doppelt entlarvend. Zeigt er doch wunderbar, aus was für Worthülsengeschwafel die Absonderungen der Z-Prominenz heutzutage besteht. Arsch auf Eimer, sag ich.

    Ansonsten: 3× „Sorry, an error occured! Please try again later…“ Und was soll ich sagen – das tut mir gar nicht weh.

    Hoch lebe Kalkofe; wenigstens einer der nen Weg gefunden haben, mit dem Stumpfsinn der Neuzeit umgehen zu können.