Das kann ich mir jetzt nicht verkneifen: Willkommen im Rollentausch, Thomas Knüwer! Der Blogger, Journalist und Berater hat sich in den letzten Jahren zu einem der größten Kritiker der alten Holzmedien aufgeschwungen. Und jetzt? Jetzt macht er selber Print: Er leitet die Entwicklungsredaktion der ersten deutschen Ausgabe des Magazins „Wired“. Ich bin übrigens sehr zuversichtlich, dass er das ganz hervorragend machen wird und werde die Ausgabe kaufen, die im September als Beilage der Zeitschrift „GQ“ erscheint. Aber ein paar gemeine Fragen muss wohl trotzdem jemand stellen. Ich mach dann mal:
- Warum noch ein Print-Magazin, wenn Knüwer selbst immer wieder gerne die Verlage kritisiert?
- Warum macht ausgerechnet ein etablierter Blogger jetzt eine Zeitschrift, obwohl er zahlreiche Alternativen hätte?
- Warum nur ein Redaktionsblog zur Entstehungsgeschichte? Warum verlegt man die Entwicklung im digitalen und mobilen Jahr 2011 nicht ins Web und macht ein Techblog daraus?
- Warum überhaupt „Wired“, wenn doch in diesem Jahrzehnt alles kabellos wird?
Der letzte Punkt ist polemischer Schwachfug, werdet ihr sagen, die Zeitschrift heißt nun einmal so. Ich halte die Frage trotzdem für berechtigt. „Wired“ ist ein Magazin, das im Januar 1993 zum ersten Mal auf dem US-Markt erschien. Damals war das Internet mit dem World Wide Web gerade kommerziell geworden und die Welt war mittendrin im Internet- und PC-Boom. Das Magazin hat den Sprung in die heutige Zeit mühelos gemeistert, ist noch heute eine der Quellen, die ich in Sachen Technik, IT und Web am liebsten heran ziehe. „Wired“-Redakteure sind nicht die allerschnellsten, aber meist die hintergründigsten und bestinformierten ihrer Zunft, und sie verstehen es dank ihrer langjährigen Erfahrungen, neue Entwicklungen einzuordnen.
Ist ein Heft noch zeitgemäß?
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Allerdings: Die Zeitschrift, die man sowohl in der US- als auch in der UK-Version selbst in Bonn in der Bahnhofsbuchhandlung bekommt, habe ich mir schon seit Jahren nicht mehr gekauft. Denn man findet alles darin online: Wired.com bietet mehrere fanstastische RSS-Kanäle, die praktisch alles davon liefern, was auch im Heft steht. Nur früher. Es gibt jede „Wired“-Ausgabe in einer deutlich preiswerteren iPad-Version. Links zu „Wired“-Artikeln findet man auch auf der Facebook-Seite des Magazins und natürlich auf Twitter. Wie gesagt: Die Redaktion ist mit der Zeit gegangen, hat den Sprung in die heutige Zeit mühelos geschafft.
Wie sinnvoll ist es da, heute noch ein altes Print-Magazin neu auf den deutschen Zeitschriftenmarkt zu werfen? Wie viele Ressourcen werden da wieder verschwendet, und wie viele Bäume werden – um in der Rhetorik der Printkritiker zu bleiben – sinnlos geschlachtet? Wäre es nicht besser, es endlich einmal richtig anzupacken mit einem großen deutschen Technikmagazin im Web? Es gab doch neulich erst das Projekt eines deutschen Techcrunchs. Mir fällt leider überhaupt nicht mehr ein, wer das noch gleich war, der das machen wollte und wie es heißen sollte. Aber das Projekt schien mir im Prinzip ambitionierter als eine neue Zeitschrift.
Mutig ist das nicht
Was ZDF Online seit einiger Zeit wieder mit dem Blog „Hyperland“ versucht, ist im Grunde das, was ein deutsches „Wired“ heute sein sollte. Und doch fürchtet man, dass dieses zarte Pflänzchen bei jedem unaufmerksamen Schritt eines wütenden Verlegers wieder zertrampelt werden könnte. Weil es ja öffentlich-rechtlich ist. Auf dem Zeitschriftenmarkt inmitten der Hefte, die monatlich aus den 77 besten Tipps bestehen, um Windows möglichst schnell herunterzufahren, ist ein deutsches „Wired“ dennoch alternativlos bislang konkurrenzlos. Auf dem deutschen Pressemarkt gibt es keine Zeitschrift, die fundiert und hintergründig allgemein über Technik berichtet. Und das ist ganz nebenbei ein Armutszeugnis für die deutsche Technikpresse.
Wer dem Verleger Condé Nast deswegen „Mut“ bescheinigt, liegt trotzdem falsch. Vorerst nur eine Ausgabe des Heftes als Beilage zu planen und sie einem Männermagazin beizulegen, ist ein geringes und im Vergleich zum Start einer neuen Frauenzeitschrift lächerlich preiswertes Risiko. Zeitgemäß wäre es gewesen, Wired.de ganz papierlos auf den Markt zu bringen. Aber da fehlte dem Verlag wohl doch der Mut. Knüwer jedenfalls will sich mit der Leitung der Entwicklungsredaktion nach eigenen Worten einen Kindheitstraum erfüllen. Das gönne ich ihm. Aber er muss jetzt beweisen, dass er mehr kann, als Print zu kritisieren. Er muss jetzt zeigen, dass er selbst Print machen kann.
(Jürgen Vielmeier, Grafik: Condé Nast, leicht angepasst)