Berlin-Neukölln. An der Haltestelle Herrmannplatz herrscht gereizte Stimmung unter rund zwei Dutzend Jugendlichen, als ich die Bahn verlasse. Polizisten stehen Schlagstock bei Fuß daneben. Ich muss nicht zwingend erfahren, was als nächstes passiert, und verdrücke mich schnell auf den angrenzenden Markt, auf dem ein Mann mit einer Bibel in der Hand die Passanten dazu aufruft, Gott zu suchen. Niemand schenkt ihm Beachtung, bis auf die wenigen Touristen, die sich dorthin verirrt haben. Eine muntere Gegend also, und ausgerechnet hier, nur wenige Straßen weiter, hat das wohl interessanteste Startup, das Deutschland derzeit zu bieten hat, sein Hauptquartier aufgeschlagen: Wahwah.fm.
Das Büro der Berliner liegt unweit eines kleinen Parks in der Reuterstraße, nahe dem Landwehrkanal. Links daneben sitzen Studenten vor einem sudanesischen Restaurant, schräg gegenüber ist ein Spielplatz. Zwei junge Väter unterhalten sich entspannt mit der Zigarette in der Hand, während sie ihre Kinderwägen durch die Gegend schieben. Die Häuser sind mit viel Graffiti verziert – eigentlich nichts, was auch nur einen Hauch eines Silicon-Valley-Gefühls aufkommen lässt. Und als wäre das noch nicht genug, hat jemand vor dem Wahwah-Büro „Aufstand! Meuterei!“ an die Fassade gesprüht. Eins der vielen Dinge, zu denen mir Wahwah-Gründer Philipp Eibach in einem Videointerview Rede und Antwort stand.
Unser Interview verlegen wir in den angrenzenden Park. Philipp ist ein charismatischer, offener und gelassen wirkender Typ. Seine Karriere nennt er selbst „ungewöhnlich“. Er hat in Berlin Kunst und in St. Gallen Management studiert. Und so einer gründet ein Musik-Startup? Noch dazu in Neukölln? Gegenfrage: Wenn nicht so ein Typ, wer dann? Und so wundert sich Eibach auch über den unterschiedlichen Umgang mit Startups in den USA und in Deutschland: „Auf der NEXT-Konferenz wollten die deutschen Vertreter erst einmal wissen, ob das rechtlich alles in Ordnung ist. Die aus den USA haben eher die Möglichkeiten gesehen und kamen sofort mit weiteren Ideen, nach dem Motto: Wie wäre es, wenn ihr noch…“
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Kein Silicon Valley, dafür ein ganz eigener Charme
Mit der Wahwah-App für iOS, die gerade den Genehmigungsprozess bei Apple durchläuft und auf Soundcloud basiert, soll es in Kürze losgehen. Das Prinzip: Man hört Musik auf dem Smartphone und stellt sie Menschen in der Umgebung als eine Art Radiostation zur Verfügung. Social Music, wie auch Facebook nach der geplanten Kooperation mit Spotify aussehen könnte, und doch viel mehr als das. Philipp erklärt mir die Möglichkeiten, die sich dadurch ergeben: Es kann Radio-Stationen für Jogger geben, Audioguides, die an einem ganz bestimmten Ort abgerufen werden können. Popstars können ihre Tour mit lokal basierter Musik promoten, Kaufhäuser ihren Kunden Musik anbieten, wenn sie ihre Station einschalten. Er sprüht vor Ideen. „Tune-in ist das neue Check-in“, bringt Philipp es auf den Punkt.
Nach dem Interview zeigt er mir das Wahwah-Hauptquartier – und endlich gibt es doch noch ein wenig Startup-Feeling. Einige Mitarbeiter des jungen Teams sitzen gerade bei einer Besprechung. Allerdings nicht am Tisch; man hat sich direkt am Eingang auf mehreren Stühlen etwa kreisförmig verteilt, während einer an einem MacBook etwas erklärt. Einige Mitarbeiter des neunköpfigen Teams kommen aus dem Ausland. Mehrmals bietet man mir einen Kaffee aus der stilechten neuen Maschine an. Dem Tisch, auf dem sie steht, dienen Club-Mate-Kästen als Beine. Doch, vielleicht ist genau das der Ort für ein viel versprechendes Startup mit einem ganz eigenen Charakter. Ich bin mir sicher, dass wir noch viel von Wahwah.fm hören werden.
Unser App-Test folgt in Kürze.
(Jürgen Vielmeier)