Ich muss mal was loswerden. Es hatte sich in den letzten Tagen angestaut und mich ein wenig verblüfft zurückgelassen. Und ich musste noch nicht einmal breit dafür recherchieren, um auf ein paar unrühmliche Beispiele zu stoßen: Traditionelle Medien haben nach wie vor keinen Bock auf Blogs, lesen sie aber trotzdem, saugen die Informationen dort heraus und nennen oft nicht einmal die Quelle. Das hat eine neue Qualität im Vergleich zu der Zeit, als sie Blogs bloß ignoriert haben. Viel besser fühlt es sich aber nicht an.
Ein erstes Beispiel habe ich bereits am Montag kurz aufgegriffen: „Focus Online“ und der „Focus“ haben auf eine, wie ich finde, besonders herablassende Art bewiesen, wie man mit Bloggern umgehen kann. In einer Meldung auf „Focus Online“ über lange YouTube-Ladezeiten bei Telekom-DSL-Anschlüssen von Ressortleiterin Angelika Sanktjohanser liest man folgenden Satz:
Ein IT-Blog fand unter der Überschrift „YouTube ist bei der Telekom langsam“ vor einigen Tagen binnen kürzester Zeit eine dreistellige Zahl zustimmender Kommentare.
Ist ja toll. Aber welches IT-Blog ist das? Wer ist der Autor und warum verlinkt man nicht darauf? Das ist nur eins von einigen erstaunlichen Beispielen der vergangenen Tage.
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„… schreibt ein Internet-Blogger“
„Focus Online“ zeigt also, dass man IT-Blogs liest, zitiert sogar die Überschrift. Aber den Urheber, der das ganze Thema angestoßen hat, lässt man links liegen. Warum nur? Hat es daran gelegen, dass das genannte Blog von Carsten Knobloch („Caschy“) den eigenwilligen Namen „Stadt Bremerhaven“ trägt, der so gar nicht nach IT-Blog klingt? Hatte das vielleicht den Geschmack eines Provinzblogs, obwohl es inzwischen die Nummer eins der Deutschen Blogcharts ist? Mittlerweile hat die genannte Textstelle bei „Focus Online“ übrigens einen Link erhalten: das Wort „YouTube“ ist nun mit der eigenen Netzvideoschau verknüpft.
[Update, 27.5.: Focus Online hat inzwischen nachverlinkt, wie Björn Sievers von „Focus Online“ in einem Kommentar unten schreibt. Im Beitrag dort sind nun gleich zwei Links zu Stadt-Bremerhaven.de gesetzt und es heißt jetzt:
Das IT-Blog stadt-bremerhaven.de fand unter der Überschrift „YouTube ist bei der Telekom langsam“ vor einigen Tagen binnen kürzester Zeit eine dreistellige Zahl zustimmender Kommentare.
Hätte man nun auch noch Caschy dort erwähnt, wäre das eine 1+ mit Sternchen, aber ich denke, das geht auch so in Ordnung.]
Am Dienstag las ich im gedruckten „Focus“ die gleiche Geschichte. Natürlich auch hier ohne Quellenangabe, dafür mit dem Kürzel „jph“ und der zitierten Überschrift aus dem Blog in fetter Schrift. Es wäre vielleicht alles nicht so schlimm, wenn das ein Einzelfall wäre. Aber noch in derselben „Focus“-Ausgabe fand ich ein weiteres Negativbeispiel. Insgesamt sieben (!) Autoren haben an der etwas längeren Geschichte „Mr. Google zieht in den Krieg – gegen Apple“ gewerkelt. Die Story gefiel mir eigentlich ziemlich gut, bis auf das Ende, an dem es heißt: „Auch die Smartphone-Revolution war nicht absehbar.“ Wirklich nicht? Aber das ist ein anderes Thema. Oben auf Seite 108 schreiben die sieben Autoren nämlich folgenden deutungsschwangeren Satz in Bezug auf Microsoft und Nokia:
Dass man den finnischen Partner übernehmen wolle, wie ein Internet-Blogger spekuliert, sei allerdings „Schwachsinn“.
Das ist inhaltlich richtig, formal leider wieder nicht. Wer bitte ist denn nun der Blogger, der das gesagt hat? Es verwundert, dass er nicht genannt wird, alle anderen Zitatgeber aber schon. Zum Beispiel ein paar Absätze davor sehr genau: „…prophezeit Wafa Moussavi-Amin, Deutschland-Geschäftsführer der Marktforschungsfirma IDC“. In der Online-Kurzfassung dazu, in dem der „Focus“ gerne mal „das Nachrichtenmagazin FOCUS“ zitiert, ist zumindest von einem „amerikanischen Internet-Blogger“ die Rede, was das ganze wenigstens etwas weiter eingrenzt. Wer das nun gesagt hat, ist nur noch schwer nachzuvollziehen, weil es für „schwachsinnig“ mindestens zehn Übersetzungen ins Deutsche gibt und jeder anders übersetzt.
Ein jeder übersetzt anders, oder? Nicht die dpa
A propos Übersetzungen: Jetzt habe ich noch ein aktuelles Beispiel aus eigener Erfahrung. Gestern erfuhr ich, dass Samsung dem Nebenbuhler Apple einige seiner Prototypen zeigen muss. Ich ging der Sache auf den Grund und fand schließlich eine Quelle, in der die zuständige Richterin zitiert wird. Weil ich ihre Aussage so interessant fand, übersetzte ich sie ins Deutsche und baute das Zitat in meinen Beitrag ein. Das war nicht leicht, denn das Zitat der Richterin bestand aus einem ellenlangen Satz im besten Juristensprech. Ich übersetzte ihn so (Hervorhebung von mir):
„Obwohl das Gericht in der Sache keine Meinung zu Gunsten von Apples Klage vertritt, stellt das Gericht fest, dass Apple Abbildungen von Samsung-Produkten und anderen Beweisen vorgelegt hat, die eine annehmbare Grundlage für Apples Überzeugung bieten, dass Samsungs neue Produkte entworfen sind, um Apples Produkte zu imitieren.“
Als ich heute einen Beitrag zum gleichen Thema auf FAZ.net las, kam mir irgend etwas seltsam bekannt vor. Und es war nicht nur der sehr ähnlich klingende Inhalt. Dort heißt es:
Dennoch stelle „das Gericht fest, dass Apple Abbildungen von Samsung-Produkten und anderen Beweisen vorgelegt hat, die eine annehmbare Grundlage für Apples Überzeugung bieten, dass Samsungs neue Produkte entworfen sind, um Apples Produkte zu imitieren“.
Eine Textpassage mit dem gleichen Wortlaut findet sich auch auf Sueddeutsche.de. Geschenkt, denn der Beitrag stammt von der dpa. Ich will niemanden hier irgend etwas bezichtigen, aber die Ähnlichkeiten sind schon erstaunlich, bedenkt man, dass jeder einen Text aus einer fremden Sprache anders übersetzt.
[Update, 27.5.: Christoph Dernbach, Leiter Redaktion dpa-Netzwelt, erklärt in einem Kommentar unten, dass man via Bloomberg auf die Geschichte aufmerksam geworden sei und eigentlich gerne Blogs zitiere und dann auch verlinke.]
Einen Hinweis auf Basic Thinking gibt es in dem dpa-Beitrag natürlich nicht. Auch geschenkt, von mir aus fühle ich mich sogar geehrt, der dpa indirekt geholfen zu haben. Nur verstehen kann ich es nicht so ganz, auch nicht in Hinblick auf den „Focus“. Nachrichtenmagazine und -agenturen lesen also Blogs und holen sich Meinungen von Bloggern ein. Das ist schön! Und auf der anderen Seite behandelt man sie doch wie das Fußvolk, dessen Arbeit man nutzen kann, ohne sie zu honorieren. „Quelle: Internet“ scheint zwar endlich aus der Mode zu kommen, aber bis zum „Web-Experten und Blogger Carsten Knobloch“ ist es wohl noch ein weiter Weg. Es ist und bleibt ein Trauerspiel.
(Jürgen Vielmeier, Bild: Maria Reyes-McDavis)