Sie kommen, sie kommen! Heute beginnt tatsächlich die Volkszählung, diesmal genannt: Zensus 2011. Und gerade in den bekannten „Aufmerksamkeits-Blogs“ von Netzpolitik über Fefe bis Spreeblick ist praktisch nichts dazu zu lesen. Kein Protest, kein Aufschrei, kein Aufruf, auf die Straße zu gehen oder zumindest Türen und Fenster zu verrammeln. Also wollen zumindest wir hier ein wenig warnendes Geröll lostreten. Warum ist es diesmal so ruhig?
Zum einen wahrscheinlich, weil die abgefragten Daten nicht hochsensibel sind. Hier ein Muster des Fragebogens (PDF) der Haushaltsbefragung auf Stichprobenbasis. Es gibt keine Fragen nach dem Motto „Mit wem sinn‘ se denn verheiratet?“, „Ham se jedient?“ oder „Wo ham se jedient?“, aber doch einige Fragen, bei denen ich mich wiederum frage, ob der Staat das so genau wissen muss. Ob jemand, auf dessen Beschreibung ich passe, verheiratet, ledig, verwitwet oder geschieden ist, sollen die Statistiker meinetwegen wissen, wenn sich nicht nachvollziehen lässt, dass ich derjenige welche bin. Aber muss der Staat zwingend wissen, ob ich in wilder Ehe lebe (Frage 10)? Was die Behörden auch wissen wollen: Welche Schul- und Berufsbildung habe ich, oder welcher Religionsgesellschaft gehöre ich an. Letzteres muss anders als die freiwillige, verwandte Frage nach der Glaubensrichtung/Weltanschauung beantwortet werden.
Ebenfalls zu beantworten sind für rund ein Zehntel zufällig ausgesuchter Bürger detaillierte Fragen über die Herkunft und die Erwerbstätigkeit. Arbeiten Sie? Und wenn nicht: Haben Sie in den letzten vier Wochen eigentlich etwas unternommen, um Arbeit zu finden? Bekommen Sie Geld vom Staat? Ruft man sich in Erinnerung, dass die Daten aus dem Zensus mit den Datenbeständen der Bundesagentur für Arbeit zusammengeführt werden, bekommen solche Fragen einen bitteren Beigeschmack. Dann hat es der Staat also künftig Schwarz auf Weiß, wie viele Menschen zu faul zum Arbeiten sind und wie viele Schmarotzer diese Gesellschaft hat.
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Der Staat argumentiert, es gehe darum, Gelder besser zu verteilen, zukünftig etwa zu wissen, wie viele Schulen in den einzelnen Kommunen benötigt werden, allgemein eine bessere Infrastrukturplanung. Kritiker bemängeln, dass alle Daten an einer zentralen Datenbank und nicht anonym gespeichert würden. Durch eine Prüfziffer etwa lasse sich herausfinden, wer welche Angaben gemacht hat. Zum jetzigen Zeitpunkt sollen Ministerien und andere Bundesämter keinen Zugriff auf die Daten haben, die beim Statistischen Bundesamt gespeichert werden. Aber wer traut dem Staat nicht zu, dass er diese Regelung nach und nach aufweicht? Außerdem bieten gerade die detaillierten Informationen über die Arbeitssituation für die Regierung eine wunderbare Argumentationsgrundlage.
Und wer glaubt nach dem Hacking-Skandal bei Sony ernsthaft noch, dass derart große Datenbestände sicher verwahrt werden können? Steht dann vielleicht irgendwann im Netz, wer keinen Hauptschulabschluss oder wer sein Studium nicht geschafft hat? Betroffen vom Zensus 2011 ist insgesamt rund ein Drittel der Bevölkerung, schätzt der Arbeitskreis Zensus11, der vor „Vollerfassung“ warnt. Rund 80.000 Interviewer, die sich schriftlich angekündigt haben, werden in den nächsten Tagen durch die Lande ziehen. Darunter sind voraussichtlich viele Mitglieder der rechtsextremen NPD, die ihre Anhänger und Sympathisanten dazu aufgerufen hatte, als Interviewer an der Zählung teilzunehmen. Auch das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen.
Heute Vormittag im ARD Morgenmagazin (Video-Link) nannte Markus Harbig vom Statistischen Bundesamt in Bremen den Protest gering: „Heute durch Facebook und elektronische Medien ist die Wahrnehmung doch schon eine ganz andere.“ In der Tat haben wahrscheinlich mehr von euch Intimes bei Facebook Preis gegeben, als sie es in dem Fragebogen des Zensus müssen. Das wird oft argumentiert, und doch bleibt ein Unterschied: Bei Facebook kann jeder einstellen, wer Persönliches über einen wissen soll. Der Staat gehört da mit Sicherheit bei den meisten nicht zu. Die Befragungen jetzt noch aufzuhalten, dürfte zu spät sein, zumal hohe Geldbußen drohen, wenn man die Auskunft verweigert. Ins Haus lassen müsst ihr allerdings niemanden, und von diesem Recht empfehle ich Gebrauch zu machen.
(Jürgen Vielmeier)