Man könnte scherzen, dass Facebooks Wert heute auf 30 Milliarden Dollar gesunken sei, nachdem „Bild“ die Schlagzeile „Todesfalle Facebook“ brachte. Das internetfeindliche Deutschland mal wieder. Auf Twitter und Facebook brach natürlich ein Sturm gegen die „Bild“ los. Aber ganz ehrlich: Wir sind selber Schuld, wenn solche Schlagzeilen kommen. Da treffen sich 3.000 Blogger und andere Social-Media-Experten in Berlin, diskutieren und lachen mal wieder über die Ignoranz der Holzmedien.
Die Geschichte wiederholt sich regelmäßig: Von Zeit zu Zeit offenbaren Politiker, Unternehmenschefs, Künstler, Journalisten, Personen des öffentlichen Lebens oft unfreiwillig, dass sie keine Ahnung vom Internet, von Social Media und diesem ganzen Twitter- und Blogdings haben. Und unsere Reaktion darauf ist jedes Mal die gleiche: Spott und Hohn. Nach dem Motto: die Idioten da draußen kapieren’s einfach nicht. Mit dieser Einstellung verbessert man aber nichts.
Versagen der Internetexperten
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Wenn altgediente Printjournalisten sich nicht auf den Medienwandel einstellen wollen und dem Internet mit Angst begegnen, dann ist das zwar nicht direkt unsere Schuld, aber es ist das Ende eines Rattenschwanzes, an dessen Anfang wir stehen. Die Bürger haben Angst vor dem Internet, weil Journalisten wissen, dass sie mit Themen über Angst mehr Aufmerksamkeit erreichen. Mehr Aufmerksamkeit müssen sie erreichen, damit die Auflage stabil bleibt, wie von ihren Verlegern gefordert, die wiederum Wirtschaft und Politik oft nahe stehen. Und letztere haben etwa selbst Angst vor dem Social Web oder haben ein wirtschaftliches oder politisches Interesse an der Furcht der Leute. Vielleicht leistet der Arbeiter ja mehr, wenn er Angst um seinen Arbeitsplatz hat. Oder vielleicht wählen mich die Leute ja eher, wenn ich ihnen sage, dass das Netz nicht sicher ist.
Und das ist wiederum das Versagen der Internetexperten. Ja, ihr Blogger und Social Medians da drüben in Berlin und wir anderen, die diesmal leider nicht vor Ort sein können: Wir alle haben es noch nicht geschafft, den Leuten zu verkaufen, dass man vor dem Netz keine Angst haben muss. Dass die Wirtschaft mehr Geld verdienen kann, wenn sie Social Media begrüßt, und dass man vielleicht sogar eher gewählt wird, wenn man am Netz in erster Linie die Chancen begrüßt, statt sich auf die Gefahren zu konzentrieren.
Aufhören draufzuhauen
Von daher scheint mir das Beste, was die diesjährige Re:publica (respektive Markus Beckedahl von Netzpolitik) hervorgebracht hat, die „Digitale Gesellschaft“ zu sein. Die Bürgerrechts- und Lobby-Organisation nach dem Vorbild von NGOs wie Greenpeace und Amnesty International will die Bürger vor allem aufklären. Über Themen wie Datenschutz, Netzneutralität und Urheberrecht. Das geht mir persönlich noch nicht einmal weit genug. Denn auch bei der Digitalen Gesellschaft stehen wieder die typischen Angstthemen im Vordergrund. Es scheint weniger um die Chancen zu gehen, die das Internet bietet, weniger um das, wie das Web unsere Gesellschaft verbessern kann und schon verbessert hat.
Dennoch ist die „Digitale Gesellschaft“ der Erfolg versprechendste Ansatz, den ich in dieser Hinsicht in den letzten Jahren gesehen habe. Und das schließt auch die Piratenpartei mit ein. Man hat jetzt wirklich die Chance, etwas in den Köpfen der Bürger, der Wirtschaftsbosse und der Politiker zu verändern, sogar ohne eine völlig neue Splitterpartei wählen zu müssen. Doch auch für die Mitglieder der Digitalen Gesellschaft gilt, was für uns alle gelten sollte: Hören wir auf draufzuhauen, auf die, die das Internet nicht verstehen. Seien wir konstruktiver und klären sie auf! Dann kann das hier vielleicht doch noch ein internetfreundliches Land werden.
(Jürgen Vielmeier)