Muammar al Gaddafi war fast schon so etwas wie ein Popstar. So verrückt, dass er prima in diese verrückte Zeit gepasst hatte. Ein Politclown, der etwa bei der Uno beantragt hatte, die Schweiz aufzulösen und an die Nachbarstaaten verteilen zu lassen. Dem italienischen Ministerpräsidenten empfahl er, eine Demokratie ohne Parteien zu führen. Über solche absurden Ideen musste man fast lachen. Aber auch nicht mehr als über einen Silvio Berlusconi, dem vorgeworfen wird, mit einer 17-Jährigen Prostituierten käuflichen Sex gehabt zu haben. Und statt den Sex-Vorwurf mit einer Minderjährigen von sich zu weisen, verteidigt Berlusconi seinen Ruf nur in so weit, dass er sich echauffiert, er hätte es ja wohl nicht nötig, für Sex zu bezahlen.
Das passt in eine Linie mit den Eskapaden eines Charlie Sheen oder den Exzessen einer Lindsay Lohan. Unsere Gesellschaft ist ein Zirkus geworden und hat vor der Politik keinen Halt gemacht. Da fiel ein Gaddafi kaum noch auf. Nun hat sich leider bewahrheitet, was ihm immer schon vorgeworfen wurde: dass er nicht nur wirklich verrückt ist, sondern auch gefährlich und mörderisch. Und wir? Wir schreiben darüber auf Twitter und Facebook und tweeten als nächstes, dass das iPad 2 noch vor dem HP TouchPad auf den Markt kommt. Heißt das, dass es uns egal ist, was im Rest der Welt passiert? Nein, wir haben nur gar keine andere Wahl und trösten uns mit Social Media und Gadgets.
Heikle Angelegenheit
Neue Stellenangebote
Social Media und Brand Manager (m/w/d NEXTREND GmbH in Flörsheim am Main |
||
Praktikum Social Media (m/w/d) NILO in Meerbusch |
||
Praktikum im Bereich interne Kommunikation und Social Media BOS GmbH & Co. KG in Ostfildern bei Stuttgart |
Wir können auf Facebook Nachrichten über den Bürgerkrieg in Libyen weiter verbreiten oder das Erdbeben in Japan. Aber all das wird nichts daran ändern, dass dort weiter Menschen sterben. Wenn am Ende wieder jemand Facebook oder Twitter als die Helfer der Demokratiebewegung feiert, klopfen wir uns am Ende gar selbst auf die Schulter. Als hätten wir unseren Teil dazu beigetragen, weil wir ja auch mal geschrieben haben, dass Gaddafi ein Monster ist.
Andererseits: Was sollen und was können wir denn sonst machen? Wir können darauf aufmerksam machen, damit erst die Presse und dann unsere Volksvertreter unsere Stimme hören. Der Rest ist Sache der Politik, aber die hat es nicht einfach. Ein militärisches Eingreifen? In der Tat heikel. Wirtschaftssanktionen? Würden das Volk gänzlich ins Chaos stürzen. In dieser Phase macht die Politik schon erstaunlich viel besser als sonst. Die EU friert die Konten des Gaddafi-Clans ein und fordert ihn zum Rücktritt auf. Dass er das in nächster Zeit tun wird, halte ich aber für unwahrscheinlich. Das schlimme Erdbeben in Japan hat den Fokus der Welt erst einmal von Libyen weggerückt, und der dürfte nicht so schnell zurückschwenken.
Und wir einzelnen? Wir müssen wieder einmal einsehen, dass wir an den wirklich wichtigen Problemen dieses Planeten nichts ändern können, wenn man mal ehrlich ist. Tsunamis, weltweiter Terrorismus, Afghanistan, Hunger in der Welt oder auch unsere eigenen Probleme wie Hartz IV und Überschuldung der öffentlichen Kassen. Daran ändern Facebook, Twitter oder Gadgets doch nicht das Geringste, egal wie viele Menschen sie erreichen und wie hoch Unternehmen wie Facebook oder Zynga bewertet werden. Es sind Spielzeuge, mehr nicht.
Mit Spielzeugen gegen Despoten?
Also trösten wir uns mit diesen Freizeitvergnügen: das neueste iPad, neue Spiele auf Facebook, neue Apps, Dual-Core-Smartphones. Ganze US-Bundesstaaten stehen kurz vor dem Bankrott, Straßen und Brücken sind marode, aber man feiert sich jährlich im Januar in Las Vegas auf der CES als die Könige der Technik. Spanien klagt über 20 Prozent Arbeitslosigkeit und beheimatet doch jeden Februar die wichtigste Mobilfunkmesse der Welt. In Deutschland sind die öffentlichen Kassen leer und doch feiert man jedes Jahr Anfang März die größte Hightech- und IT-Messe der Welt. Gadgets boomen, Social Media begeistert die Massen, die Menschheit ist technisiert wie nie zuvor in der Geschichte. Aber was ändert das an den größten Problemen der Welt? Nichts.
Einige würden es „Verdrängen“ nennen. Als gäbe es auf der Welt nichts Wichtigeres. Ich sehe das weniger drastisch: Es ist eine Art Ohnmacht. Und es macht keinen Unterschied. Nützt es der libyschen Opposition auch nur einen Deut etwas, wenn ich mich nicht dafür interessiere, zu welchem Preis das Motorola Xoom in Deutschland erscheint? Oder fülle ich die öffentlichen Kassen damit, wenn ich auf eine Boxee Box verzichte? Und so machen wir einfach beides. Wir nehmen die Probleme der Welt wahr, tun dafür das kleine Bisschen, was wir können, und wir nutzen Gadgets und Social Media. Wir können das gleichzeitig tun. Das ändert nichts, aber es tut auch keinem weh.
Es war ein interessanter Gedanke von Sascha Lobo in dieser Woche, weltumspannende Unternehmen wie Apple mit Regierungen zu vergleichen. Denn die Unternehmen bewegen in unseren Augen mehr, müssen sich nicht erst mit anderen auf eine gemeinsame Linie einigen, sondern bringen das nächste Produkt zu einem genannten Termin auf den Markt. Gute Smartphones, makellose Smartphones. Keine Straßen mit Schlaglöchern. Keine am Boden liegenden Nationen. Ein wenig Schönheit, um das Übel der Welt überhaupt erträglich zu machen. Nur sollten wir ob des schönen Scheins nicht vergessen, dass die Welt Probleme hat – und dass wir Mittel finden müssen, sie zu bekämpfen. Idealerweise mit Gadgets und Social Media. Aber bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Lassen wir uns etwas einfallen!
(Jürgen Vielmeier)