Basic Thinking ist kein politisches Blog, aber manchmal streift das Netz eben doch das eine oder andere politische Thema. So im Moment erneut das Thema Wikileaks. Die Organisation hat nach der Veröffentlichung der Afghanistan-Protokolle im Juli an diesem Wochenende einen neuen Knüller gelandet und fast 400.000 geheime Dokumente des Pentagon über den Irak-Krieg veröffentlicht. Die Dokumente wurden neben weiteren Medien erneut exklusiv dem britischen „Guardian“, der „New York Times“ und dem „Spiegel“ überlassen. Wikileaks hatte die Veröffentlichung der Dokumente bereits im Vorfeld angekündigt und dafür massive Drohungen von Seiten der US-Streitkräfte einstecken müssen. Die nationale Sicherheit würde dadurch gefährdet, beklagt das Pentagon.
Bei genauer Abwägung des Für und Wieder zeigt sich aber, dass eine Veröffentlichung der Kriegsgräuel Vorrang gegenüber den Bedenken hat. Es ging Wikileaks darum zu dokumentieren, in welches Elend und Chaos der Einmarsch der „Koalition der Willigen“ die irakische Bevölkerung und die beteiligten Soldaten gestürzt hat. Für dieses Verbrechen wird nie irgend jemand zur Rechenschaft gezogen werden. Die nun unter anderem im aktuellen „Spiegel“ und auf „Spiegel Online“ veröffentlichten Protokolle können der Katastrophe zumindest ein Gesicht geben. Sie zeigen die Vorkommnisse aus Sicht der Soldaten. Schade allerdings ist, wie Spiegel Online damit umgeht. Die Redaktion hat die Protokolle in einer interaktiven Karte mit Art des Einsatzes und einer Zeitleiste versehen. Angeblich aus Sicherheitsgründen und Personenschutz hat SpOn die Summaries, also die Tathergänge standardmäßig entfernt. So kann sich der Leser kein eigenes Bild darüber machen, was genau vorgefallen ist. Die übrigen Informationen geben wenig Aufschluss darüber, was tatsächlich passiert ist.
Der britische „Guardian“ handhabt es ähnlich. So immerhin handelt man sich keinen Ärger mit der US-Regierung ein und setzt das Leben von Soldaten und Zivilisten nicht aufs Spiel. Einzelne Dokumente sind dafür genau beschrieben. Hervorgehoben wird der 20. Dezember 2006, ein besonders blutiger Tag in Bagdad mit über 160 Toten. Laut dem „Spiegel“ handelt es sich bei den Dokumenten um keine mit der Klassifizierung „streng geheim“, sondern nur „geheim“ und darunter. Schwerwiegende Ereignisse wie die Vorfälle im Foltergefängnis Abu Ghraib kommen in der Sammlung also nicht einmal vor. Trotzdem zählen die Medien alleine anhand dieser Dokumente fast 110.000 Tote, 60 Prozent davon Zivilisten.
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Zwielichtgestalt Julian Assange
Für Wikileaks-Gründer Julian Assange, der sich nach der Veröffentlichung der Afghanistan-Protokolle massivem Druck des Pentagons ausgesetzt sah, ist diese neue Veröffentlichung auch ein persönlicher Triumph. Die „Süddeutsche“ vermutet, es gehe Assange auch um seinen Ruhm. Noch immer kann er der Weltpresse Knüller liefern, die Herausforderung mit der US-Regierung scheut er nicht. Größere Probleme scheint Assange dafür an der „Heimatfront“ zu haben. Vorwürfe, er habe seinen Adjutanten, den Deutschen Daniel Domscheit-Berg, nach Meinungsverschiedenheiten über zu veröffentlichende Dokumente hinaus geekelt, hört er eben so ungern wie Vorwürfe über sexuelle Belästigungen, denen er sich in Schweden ausgesetzt sieht. Wie lange sich der Australier deswegen noch in seiner aktuellen Wahlheimat Schweden aufhalten darf, ist ungewiss.
Am vergangenen Wochenende brach Assange ein Interview mit dem US-Nachrichtensender CNN ab, als die Reporterin auf Domscheit-Berg und die Vorwürfe gegen Assange wegen sexueller Belästigung zu sprechen kommt (siehe oben). Assange offenbart darin fast zuckerbergsche Charakterzüge: introvertiert, phlegmatisch und doch unbeirrt, was den eigenen Kurs angeht, und mit dem Wunsch nach Anerkennung. Er bleibt eine zwielichtige Gestalt. Über die Richtigkeit, die Dokumente zu veröffentlichen, besteht meines Erachtens jedoch kein Zweifel. Gerade in Zeiten des Krieges, in denen der Welt suggeriert werden soll, dass alles sauber und mit rechten Dinge zugeht, leidet die Wahrheit. Es sollte das Bestreben eines jeden sein, ans Licht zu bringen, was wirklich passiert ist. Nichts anderes hat Assange getan. Er hat dafür persönliche Nachteile in Kauf genommen und deswegen Mut bewiesen. Und damit gewinnt er auch bei der Abwägung, ob das Veröffentlichen von Geheimnissen eine Berechtigung hat. Wenn es um den Tod vieler tausend Menschen geht, der schön geredet werden soll, kann es keine Alternative geben.
(Jürgen Vielmeier, Screenshot: Spiegel Online)