Wir kennen die Idee vor allem aus dem Film „Matrix“: die wahrgenommene Realität ist gar nicht die Wirklichkeit, sondern nur eine künstlich hergestellte Illusion. Trotzdem aber sieht alles echt aus, wir können die Dinge sehen, schmecken und riechen. Die dadurch aufgeworfenen philosophischen Fragen („Wie wirklich ist die Wirklichkeit?“) und die scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten einer solchen virtuellen Realität haben schon immer eine große Anzahl von Menschen fasziniert. Der Informatik-Professor Mel Slater beschäftigt sich mit den realen Einsatzmöglichkeiten der künstlichen Welt und deren Auswirkungen auf die menschliche Psyche.
In einem seiner Experimente tragen die männlichen Versuchspersonen eine Brille, über die ein Zimmer simuliert wird. Das Gerät reagiert dabei auf die Kopfbewegung des Teilnehmers: blickt er nach links, sieht er sich im Spiegel als junges Mädchen, schaut er an sich herunter, erblickt er ebenfalls den Körper des künstlichen Kindes. Während eine computergenerierte Frau das Mädchen am Arm berührt, geschieht in der Realität dasselbe mit dem Freiwilligen. Durch diese Berührung wird auf emotionaler Ebene eine Verbindung mit dem virtuellen Körper hergestellt.
In einem früheren Experiment nahmen die Teilnehmer eine Plastikhand als Teil ihres Körpers wahr. In dem „rubber hand“-Experiment (PDF) wurde die Hand der Probanden verdeckt. Stattdessen bekamen sie eine künstliche Nachbildung zu sehen. Berührte der Versuchsleiter dann gleichzeitig die Prothese und das echte Körperteil, hatten zwei Drittel der Freiwilligen nach kurzer Zeit das Gefühl, das Plastikteil gehöre zu ihnen (siehe Video). In der simulierten Wirklichkeit hat das gleichzeitige Anfassen am Arm in beiden Welten denselben Effekt.
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Nach diesem Kontakt wechselt in der künstlichen Welt die Perspektive der Darstellung. Der Teilnehmer sieht nun als Beobachter, wie die Frau das Mädchen schlägt. Durch die zeitweilige virtuelle Identifikation mit dem Opfer der Attacke fühlten sich die Versuchspersonen durch die Gewalt mehr betroffen, als wenn sie eine ähnliche Szene im echten Leben beobachtet hätten. Obwohl die grafische Qualität der Simulation nicht sehr überzeugend ist, funktioniert die Illusion. „Viel wichtiger ist, dass die virtuelle Realität so reagiert, wie man es erwartet“, erläutert Professor Slater. Er betont auch, dass bei dem Experiment niemand wirklich glaubte, der künstliche Körper sei sein eigener. Die Illusion geschieht auf der Ebene des unbewussten Fühlens, sie manipuliert nicht den Verstand. „Man weiß sicher, dass es nicht der eigenen Körper ist, aber trotzdem fühlt es sich genauso an“, schreibt Slater in seinem Blog.
Er glaubt, dass mit dieser Technik Tätern die Auswirkungen ihrer Taten auf die Opfer vermittelt werden kann. Die virtuelle Realität lässt sich seines Erachtens aber auch für Experimente nutzen, die in Wirklichkeit aus ethischen Gründen nicht durchführbar wären. So hat er per Computer das berühmte Milgram-Experiment nachgestellt, bei dem die unwissenden Freiwilligen auf Geheiß des Versuchsleiters ihren Opfern immer stärkere Stromstöße versetzten, obwohl sie die Schmerzensschreie hörten. Zwar standen die meisten der „Täter“ aufgrund ihrer Handlungen unter starkem psychischem Stress, trotzdem entschieden nur die wenigsten, sich den Anordnungen des Leiters zu widersetzen. Im nachgestellten Versuch quälten die Pobanden nur fiktive Personen, doch auch hier reagierten die Teilnehmer verstärktem Stress, wenn auch in geringerem Maße als im ursprünglichen Experiment.
Die Verlegung des Experiments in den virtuellen Raum löst also nicht das moralische Dilemma, es wird nur abgeschwächt. Beide Versuche zeigen somit, dass auch das künstlich erzeugte Erleben Einfluss auf die Gefühlswelt des Menschen hat, obwohl er rational genau weiß, dass das Geschehen nur simuliert ist.
(Nils Baer)