Noch immer ist die Schuldfrage rund um die Loveparade-Tragödie von Duisburg nicht geklärt und langsam bezweifle ich, dass sie es jemals wird. Wer die Alleinschuld auf Oberbürgermeister Adolf Sauerland schiebt, macht es sich dann wohl zu einfach. Das tut aber auch niemand. Er und seine Behörde aber haben die Veranstaltung ohne schlüssiges Sicherheitskonzept genehmigt und damit die Verantwortung getragen. Und wer bei einer hausgemachten Katastrophe die Verantwortung trägt, der muss die Konsequenzen ziehen.
Dass der Mann leidet, glaube ich ihm. Natürlich hat er die 21 Toten und über 500 Verletzten der Katastrophe nicht gewollt. Und dass sie nun auf seine Kappe gehen sollen – wer würde schon mit so einer Bürde leben wollen? Von allen Seiten prasselt derzeit Kritik auf Sauerland ein. Erst verschwand er für einige Tage in der Versenkung, dann tauchte er wieder auf und gab zwei Interviews, in denen er sich selbst als Opfer gerierte. Das erhöhte die Kritik noch umso mehr. In der WDR-Sondersendung „Kreuzverhör“ schließlich behauptete er, sich nicht bei den Angehörigen der Opfer melden zu können, weil deren Namen nicht bekannt seien. Diese liegen dem Duisburger Standesamt aber vor, einem Teil der Stadtverwaltung, dessen oberster Chef der Oberbürgermeister ist. Entweder also war Sauerland schlecht informiert oder er log ganz bewusst, um sich öffentlich reinzuwaschen. Die Folge war auf jeden Fall: noch mehr Kritik.
Was macht ein Mensch, wenn er in die Ecke gedrängt wird, wenn von allen Seiten Kritik und Beschimpfungen auf ihn einprasseln? Wenn er, ja, wenn er einen Fehler zugibt, dafür sogar strafrechtlich verfolgt werden könnte? Er macht das, was leider in der Menschen Natur liegt: Er lässt es an einem Schwächeren aus. Der Schwächere in diesem Fall: Das Duisburger Nachrichtenportal Xtranews. Es hatte in den vergangenen Tagen einen Bericht der Stadt Duisburg zur Loveparade vollständig ins Netz gestellt, während die Stadt das Dokument gleichzeitig ohne Anlagen veröffentlichte. Für die Verbreitung der Anlagen erwirkte die Stadt Duisburg gegen Xtranews vor dem Landgericht Köln eine einstweilige Verfügung. Begründung: Urheberrechtsverletzung.
Wiederholt sich die Geschichte? Es scheint anders zu kommen
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Es ist der älteste Fehler, den jemand im Web-2.0-Zeitalter begehen kann. JAKO, Nestlé und die Deutsche Bahn können ein Lied davon singen. Man weiß eigentlich schon, was jetzt normalerweise kommt: Wer jemanden für Haltlosigkeiten abmahnt, sieht sich einer Welle der Entrüstung aus dem Web ausgesetzt, stets gefolgt von einer erstaunlichen Solidarität mit dem Opfer. Er erlebt den Streisand-Effekt und muss sich am Ende dafür entschuldigen. Diesmal auch?
Diesmal offenbar nicht. Denn wer schon am Boden liegt, kann nicht noch tiefer fallen. Es brandete tatsächlich Protest auf. Netzpolitik.org, das Lawblog und der Deutsche Journalistenverband (DJV) schalteten sich ein. Alle wollten das fragwürdige Spiel der Stadt Duisburg nicht mitspielen: Der Zwischenbericht ohne Anlagen, erstellt von einer loyalen Kanzlei, spricht die Stadt von jeder Schuld frei. Die von ihr nicht veröffentlichten Anlagen wie Genehmigungen, Sitzungsprotokolle und vor allem das Ereignisprotokoll des Katastrophentages (hier leider unvollständig als PDF, hier nachverfolgt) zeichnen ein ganz anderes Bild. Der Verdacht der Manipulation lag nahe.
Stadt beharrt auf der einstweiligen Verfügung
Die Stadt Duisburg schien unter dem Protest zunächst einzulenken, änderte dann aber die Vorzeichen von Urheberrechtsverstoß in Datenschutzvergehen – und hält nun erstaunlicherweise an der einstweiligen Verfügung fest. Fast so, als wolle man im Sog der Schimpf und Schande nicht alleine untergehen, sondern unbedingt jemanden mit in den Abgrund reißen.
Die Klage wegen Verstoßes gegen das Datenschutzgesetz scheint sogar Sinn zu machen. In den veröffentlichten Dokumenten waren personenbezogene Daten von Mitarbeitern der Stadtverwaltung enthalten; Details, an denen die Öffentlichkeit kein Interesse haben könnte und Daten, die die Stadt gar nicht veröffentlichen darf. Dann hätte sich die Stadt aber anders behelfen müssen, als die – offenbar brisanten – Anhänge einfach wegzulassen. Man hätte die vertraulichen Stellen vor der Veröffentlichung schwärzen können. So musste nun zwangsweise der Eindruck entstehen, dass die Stadt etwas zu verbergen habe. Was, so fragt man sich, kann ein Oberbürgermeister eigentlich noch alles falsch machen?
Es klingt auch ein wenig nach einer trotzigen Machtdemonstration: „Wir sind nicht Schuld und wir lassen uns nicht beschimpfen. Gegen die anonyme Masse können wir nichts ausrichten, also lassen wir es an denen aus, deren Namen wir haben.“ Dieser Nebenkriegsschauplatz nutzt aber keinem. Adolf Sauerland kann nicht mehr tiefer fallen, seinen Ruf wiederherstellen aber genauso wenig. Die Leidtragenden sind die Angehörigen der Verstorbenen und die traumatisierten Überlebenden. Da hilft der Stadt selbst eine vielleicht berechtigte Verfügung gegen ein kleines Redaktionsportal nichts, denn im Angesicht der Katastrophe erscheint diese hoffnungslos überzogen und fehl am Platze. Am Ende gibt es bei dieser Geschichte nur Verlierer – und immer noch keinen Schuldigen.
Hinweis: Stefan Meiners von Xtranews will gegen die einstweilige Verfügung vorgehen und bittet nach wie vor um Spenden. Die beiden „Internetanwälte“ Udo Vetter und Dominik Boecker haben angekündigt, den Prozess für Xtranews zu führen.
Vielen Dank für diesen Artikel! Es ist in letzter Zeit viel zu ruhig um dieses Thema geworden 🙁
Ich wohne in Duisburg. Und überall sieht man eigentlich, dass diese Stadt von Amateuren verwaltet wird. Die Katastrophe der Love-Parade war da fast der logische, traurige Höhepunkt 🙁
[…] In dieser Woche sorgte die Stadt Duisburg für jede Menge Schlagzeilen, einstweilige Verfügungen gegen Blogger verhängt wurde. Es geht um Dokumente zur Katastrophe um die Loveparade, die von Bloggern im Web veröffentlich wurden. Trotz großem Medienrummel um die Aktion, hält die Stadt weiterhin an ihrer Verfahrensweise fest. […]
Also ehrlich gesagt kann ich die stadt einbischen verstehen. Ich mein Wenn ich mir so anschaue wie einige NAchrichten berichten, finde ich das manchmal mehr als durftig bsp. Google Street view und ich kann verstehen das die Stadt solche dokumente gern erst noch zurück hält, damit keine falschen aussagen und anschuldigungen ans tageslicht kommen. Aber ein Statement das diese später rausgegeben würden, wäre an dieser stelle nicht verkehrt.
AChja Jürgen ich find es manchmal einfach lächerlich, dass wenn etwas passiert ist die Deutschen sofort nach einem schuldigen suchen, als ob dann alles ungeschehen wird und die toten wieder auferstehen. Mal ganz ehrlich, dass hätte jedem passieren können auch uns! Nobody is perfect. Das fehler passiert sind wissen wir alle, aber wäre es nicht sinnvoller erst das Problem zu lösen, damit es nicht wieder passiert und erst danach nach einem SChuldigen zu suchen?
@frank:
Naja, die Schuld alleine auf den OB abzuwälzen halte ich auch für falsch. Da stecken mehr Leute drinnen, als uns derzeit bekannt ist!?
Aber was mich eher stört ist, der bittere Beigeschmack warum der OB sein Amt nicht niederlegen will: rein finanzielle Gründe für seine Pension. Also bitte! Ein Rücktritt kann die Toten nicht mehr lebendig machen, aber ein Schuldeingeständnis hätte eine symbolische Wirkung für den OB.
Dieser handelt nun vermutlich nach dem Spruch: „ist der Ruf erst ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert!“
@davidhrbrn
Bist du dir sicher das der Grund rein finanziell ist? Das ist wieder so ein ding die die Nachrichten verbreitet haben(die Menschen wollen sowas hören), er hat nie behauptet (sogar widersprochen) dass das nicht rein finanzieller natur ist.
Symbolik finde ich an dieser stelle einfach falsch, wir sind nicht in der Kirche, sondern es geht hier um Menschenleben.
Es sollte erstmal was gegen das Problenm gemacht werden, neue Richtlinien/Gesetze und Co. dann sollte man schauen, ob jemand schuld war oder es einfach sch***e gelaufen ist.
Und wenn er das mit zuverantworten hatte, muss er sein Amt niederlegen.
Aber jetzt schon? Das würde niemanden was bringen noch nicht mal denn Opfern!
Tschuldige das ich leicht hart ausformuliere, aber manchmal finde ich einfach das es wie zu NSDAP Zeit zu geht, wo man Juden die SChuld gegeben hat und die gejagt hat.
Ich mein jeder auch der OB hat es mit bestem GEwissen sein Job ausgeführt und ich glaub er ist schon genug damit gestraft, dass er wahrscheinlich für 21 tote mitverantwortlich ist!
Frank, natürlich hat er gesagt, das er wegen des Geldes nicht zurücktritt. GESAGT!
Mal ehrlich; würde es dir in grader so einer Situation um Geld gehen, würdest du dann nach einundzwanzig toten sagen, es ginge dir ums Geld??
Es geht heute leider fast immer nur ums Geld und vor allem um das der Veranstalter.
Es wird aufgeklärt werden und Schuld und politische Verantwortung wird ermittelt werden.
Für mich ist viel entscheidender wie es nun weiter geht.
Dazu habe ich einige Gedanken niedergeschrieben: http://blog.lutz-nelde.de/2010/08/21/dusburg-und-nun/
Kann mich einigen Vorrednern nur anschließen, die Schuldfrage ist gar nicht die wichtige.
Für mich ist es klar, dass es für die Stadt (inclusive OB Sauerland) und den Veranstalter eine Win-Win Situation war. Da geht man (LEIDER) Risiko’s ein bzw. diskutiert sie unter den Tisch. Dann macht die Polizei noch vielleicht paar Fehler, weil Sie das Konzept einfach schlecht findet, verweist auf Ordner usw..
Die Medien wollen nun ihrerseits Opfer sehen. Irgendwer muss büßen. Auf irgendwen soll Deutschland mit dem Finger zeigen: Du, warst es ! Für einige Monate soll Deutschland das Gefühl gegeben werden, dass dieses Unglück nicht in Vergessenheit geraten wird. Und doch das wird es.
Und warum ? Ganz einfach, wie es LuNeX geschrieben hat: Es geht immer nur ums Geld. Und ich möchte hinzufügen: Und um das eigene Leben. Was mich nicht betrifft, habe ich schnell vergessen.
In 2 Jahren erinnert/redet keiner mehr von den armen 21 Toten!
Also ich finde es gut dass er NICHT ZURÜCKTRITT
Denn würde er zurücktreten dann wäre er
a) für immer der Schuldige (und da gibts genug andere die wohl „mehr“ Schuld sind als er)
b) ist zurücktreten die einfachste Lösung zum Thema: Ist mir doch alles Wurst.
Nene, Politiker die in Problemsituationen zurücktreten sind das allerletzte.
Schönwetterpolitiker kann keiner gebrauchen.
Allerdings das Thema Dokumente…
Das hat ja wohl auch erst mal ein anderer verbockt, der OB wird ja kaum den ganzen Tag im Web surfen.
Aber ja: Das hätte man auch anders lösen können.
Aber das ist bei allen Abmahnungen so: Erst schiessen und dann denken.
[…] Duisburg vs. xtranews.de oder: Wie man mit dem Web 2.0 nicht umgeht Ich bin zwar dafür das die wichtigen Informationen der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden […]
Es ist wie überall wo viel Geld im Spiel ist. Da wurden garantiert von einigen Leuten beide Augen zugedrückt und hinter den Kulissen alles zurechtgeschoben. Klar wollte niemand dies Unglück und jetzt, im Nachhinein, natür lich auch nicht Verantwortung für die Toten und Verletzten. Ich denke nicht, dass man alles auf einen einzigen Verantwortlichen reduzieren kann. Hier haben garantiert mehr Leute versagt oder vielleicht sogar vorsätzlich falsch gehandelt.
Also jetzt zurücktreten wäre das Dümmste was er tun kann. Dann hat die Meute ihren Schuldigen und das wars dann mehr oder weniger.
Auf keinen Fall.
Der vollständigkeit halber: http://wikileaks.org/wiki/Loveparade_2010_Duisburg_planning_documents,_2007-2010
Lächerlich, wie sich alles auf den OB stürzt. Da haben so viele Rädchen im Getriebe versagt und nur weil er am Ende seinen Hans-Willi unter die Genehmigung setze, ist er in der Öffentlichkeit der Böse.
Letztlich bedeutet diese krampfhafte Jagt nach einem Schuldigen nur eines: Künftig wird niemand mehr eine Veranstaltung genehmigen wollen. Denn geht was schief, hängt man.
Und dann wird wieder gejammert, dass in D alles überreglementiert und verboten ist…
Ich finde den Schritt der Stadt Duisburg gegen die Veröffentlichung vorzugehen (wenn auch nur symbolisch) richtig! Die Stadt als Arbeitgeber muss sich ersteinmal vor seine Mitarbeiter stellen.
Die Veröffentlichung im Internet nutzt de Aufklärungsprozess in keinerster Weise, eher im Gegenteil, es schürt nur die Vorverurteilung.
Die Unterlagen liegen alle bei der Staatsanwaltschaft. Diese wird sich damit beschäftigen. Eine Veröffentlichung durch Journalisten ist also nicht notwändig!
@6: >>> natürlich hat er gesagt, das er wegen des Geldes nicht zurücktritt. GESAGT!
Nenne mal bitte die Quelle. Auf die bin ich gespannt.
[…] Basic Flashback: Duisburg vs. xtranews.de oder: Wie man mit dem … […]