Am vergangenen Wochenende bin ich bei Dailytech über einen Artikel gestolpert, den ich gestern aus den Augen verloren habe und deswegen heute noch mal hervorkramen möchte. Darin wird auf eine zwar an sich kleine, aber in ihren potenziellen Auswirkungen dafür umso weiter reichende Initiative der EU aufmerksam gemacht, die – sucht man das Netz kurz oberflächlich ab – kaum auf Resonanz gestoßen zu sein scheint. Gerade für Basic Thinking-Leser könnte sie aber interessant sein, da hier die Thematik bereits des Öfteren in den Kommentaren zur Sprache kam.
Und darum geht’s: Seit der Veröffentlichung des „European Interoperability Framework“ (PDF) im Jahr 2004 bemüht sich die Europäische Kommission um etwas, das sie „Interoperabilität“ nennt. Damit ist im Kern die Fähigkeit verschiedener Systeme und Techniken zur Zusammenarbeit gemeint. Um die zu gewährleisten, ist wiederum die Einhaltung bestimmter gemeinsamer „offener“ Standards und Technologien notwendig, die von der Kommission festgeschrieben oder empfohlen werden. Die Steigerung dieser Interoperabilität fällt nun in einen der sieben vorrangigen Aktionsbereiche der „Digitalen Agenda“ (EIF, PDF). Hierbei wiederum handelt es sich um einen im Mai vorgestellten Aktionsplan der Kommission, der, mal platt ausgedrückt, zum Wirtschaftswachstum in der EU beitragen und allen Teilen der Gesellschaft die Vorteile des Digitalzeitalters bringen soll. Und in dieser Agenda kommt nun ein Absatz vor, der entscheidend ist.
Auf Seite 18 steht der folgende Passus:
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Da nicht alle Technologien, die sich durchsetzen, auf Normen basieren, besteht die Gefahr, dass die Vorteile der Interoperabilität in diesen Bereichen verlorengehen. Die Kommission wird die Durchführbarkeit von Maßnahmen prüfen, die dazu führen könnten, dass maßgebende Marktbeteiligte Interoperabilitätsinformationen lizenzieren und gleichzeitig Innovation und Wettbewerb gefördert werden.
Die Hervorhebungen stehen so im Original, umfassen aber auch das Wort, auf das es mir ankommt: „maßgebend“. Was im gegebenen Kontext von einem Laien leicht überlesen werden könnte, bekommt bei entsprechender Interpretation aber besonderes Gewicht. Im Gegensatz zur Vergangenheit nämlich, in der in ähnlichen Kontexten stets von „dominanten“ Marktbeteiligten die Rede war (etwa in diesem Bericht), wird nun der „sprachliche Radius“ vergrößert und die Zahl der Unternehmen, die von den angesprochenen Maßnahmen betroffen sein könnten, erhöht.
Was bedeutet das alles nun genau? Das ist an einem einfachen Beispiel schnell erklärt. Einige von euch haben hier auf dem Blog schon häufiger die Frage gestellt, warum Microsoft eigentlich von der EU abgestraft wird – aktuellstes Beispiel: der Ballot Screen – während Apple immer ungeschoren davon kommt. Sowohl mit seiner restriktiven iTunes-Politik, die keinem anderen Smartphone-Hersteller das Syncen von Apps gestattet, als auch mit dem Bann von Adobes Flash oder den Knebelverträgen für die App-Entwickler. Und die bislang richtige Antwort, die sie auf diese Frage immer erhielten, lautete: Microsoft hat eine marktbeherrschende, sprich dominante Marktposition. Dies traf und trifft auf Apple nicht zu, egal, wie eng oder weit man den Begriff „dominant“ definiert. Schaut man sich nämlich beispielsweise die Verkaufszahlen fürs iPhone an, dann sind sie für sich genommen natürlich hoch. Im Vergleich zu anderen Mobiltelefon-Herstellern ist Apple aber auf dem Mobilfunk-Markt ein kleiner Fisch. Und auch im Bereich Tablet könnte argumentiert werden, dass Apple trotz der beachtlichen Verkaufszahlen des iPad keine marktbeherrschende Stellung hat.
Durch die Neuformulierung wird dies künftig aber möglicherweise auch nicht mehr nötig sein, um von der EU ins Visier genommen zu werden. Apple wurde dabei von mir nur als Beispiel gewählt, andere Unternehmen könnte ebenfalls das gleiche Los ereilen.
So nett das auch alles aus Kunden- und vor allem Konkurrentensicht klingen mag, es stellt sich zunehmend die Frage, wie weit die Politik in die freie Marktwirtschaft eingreifen sollte? Eine von vielen Gefahren, die diese Maßnahmen nämlich in sich bergen, ist die, dass Unternehmen wie Apple ihren sogenannten „Unique Value“ verlieren – und damit möglicherweise dort stehen, wo sich das Unternehmen aus Cupertino befand, bevor Steve Jobs wieder an Bord geholt wurde: Vor dem Aus.
Noch ist aber nichts entschieden, denn die skizzierten Pläne der Europäischen Kommission sind sehr jung und müssen noch im Detail analysiert werden. Und bis das abgeschlossen ist, können gut und gerne ein bis zwei Jahre vergehen. Und bis dahin kann sich noch viel ändern.
(Marek Hoffmann)