Der Tag danach: Nachdem das Konfetti verflogen und das Jaulen verklungen ist, wird es Zeit, sich das von Steve Jobs am gestrigen Montag im Rahmen der „Worldwide Developers Conference 2010“ (WWDC) vorgestellte iPhone 4 etwas genauer, das heißt vor allem kritisch zu betrachten. Wer es sich ganz genau angucken will, der kann sich jetzt auf der Apple-Seite ein Video von der gestrigen Keynote anschauen oder – um es noch genauer sehen zu können – eines kaufen. Die Möglichkeit bietet (zumindest offiziell) hierzulande mal wieder nur die Telekom, der Vorverkauf startet am 15.06.
Fangen wir mal mit dem Offensichtlichsten an: dem Design. Daran dürften sich mit Sicherheit die Geister scheiden. Während sich die Vorgängermodelle nämlich alle mehr oder weniger in ihrem Aussehen glichen, schlägt das neue iPhone aus der Art. Denn statt Kurven gibt es nun Kanten. Der runde Bauch auf der Rückseite des Gerätes ist einem flachen gewichen. Die geschwungenen Kanten, die bei schwitzigen Händen manchmal die Kontrolle über das Gerät etwas schwierig gestalteten, wurden durch eckige ersetzt. Gleichzeitig wurden die bisher aus Plastik bestehenden Partien des Gehäuses gegen Metall eingetauscht. Dies sieht aber nicht nur schick(er) aus, sondern hat einen ganz pragmatischen Grund: Der das Gerät nun umschließende Metall-Rahmen dient dem iPhone als Antenne, die bisher innerhalb des Gerätes lag, weswegen bis dato zum Zweck eines besseren Empfangs besagtes Plastik verwendet wurde.
Für wen das bisherige Design und der Name iPhone unzertrennlich zusammengehörten, der wird künftig umdenken und sich an die Vorstellung gewöhnen müssen, dass es auch eckige Eier gibt. Durch den Design-Wechsel dürfte das iPhone zugleich ein wenig an Unverwechselbarkeit einbüßen, da beispielsweise das LG Mini GD880 in Grundzügen ähnlich aussieht.
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Das Retina-Display
Kommen wir zum sogenannten „Retina“-Display. Ebenso wie die Rückseite des Phones besteht es aus einem besonderen Aluminosilikat-Glas, das um 20 Mal steifer und 30 Mal härter als Plastik und damit haltbarer und Kratzer-resistenter ist als dieses. Doch darauf kommt es bei einem Display letztlich nicht in erster Linie an, weshalb Apple es nicht nur widerstandfähiger, sondern bei gleicher Größe auch Schärfer als beim Vorgänger gemacht hat. Dies belegen zum einen die Kennzahlen, die uns Steve Jobs präsentiert: Pixeldichte von 326 Punkten pro Zoll (viermal höher als beim 3GS und 78 Prozent der Pixel eines iPad), Auflösung von 960 x 640 Pixeln (bisher 480 x 320) , Kontrast von 800:1, was ein ebenfalls viermal so hoher Wert wie beim 3GS ist. Und zum anderen ein Vergleich der Fotos, die mit den beiden Modellen aufgenommen wurden.
Das sind ohne Zweifel ausgezeichnete Werte beziehungsweise Ergebnisse, die laut Jobs „noch ein bisschen besser als bei der OLED-Technologie“ sind. Allerdings muss an dieser Stelle erwähnt werden, dass Steve Jobs vor allem eines ist: ein hervorragender Verkäufer. Und so dürfte die Bezeichnung „Retina“-Display vor allem ein hype-auslösender Marketing-Begriff sein, der dem übertrieben Apple-affinen Kunden einerseits und dem technisch unbedarften Kunden andererseits suggerieren soll, es handele sich hierbei um etwas – siehe Zitat – der OLED-Technologie Überlegenes. Das mag heute noch stimmen, dürfte aber schon bald von der Konkurrenz nivelliert oder gar übertroffen werden. Bis dahin dürfte sich aber bereits bei vielen Kunden eingeprägt haben, dass Retina besser als OLED ist – und bleibt.
Der Name wurde übrigens gewählt, weil die 326 Pixel pro Zoll so dicht sind, dass die menschliche Netzhaut keine einzelnen Pixel unterscheiden kann, wenn das Telefon in einem Abstand von 25 bis 30 Zentimetern Entfernung vor das Augen gehalten. Dadurch erscheinen uns Bilder, Texte und Ähnliches deutlich schärfer und glatter.
Die Kamera
Werfen wir einen Blick auf die On-board-Kamera. Verglichen mit jenen bei anderen Smartphones konnte man sie bisher ohne Sorge als nicht konkurrenzfähig bezeichnen. Diese Zeiten sollen nun aber der Vergangenheit angehören, denn mit einer 5-Megapixel-Autofokus-Kamera mit fünffach digitalem Zoom schließt Apple zur Konkurrenz auf – übertrumpft sie aber nicht. Und auch den neu eingebauten LED-Blitz, der nun auch das Schießen akzeptabler Fotos bei widrigen Lichtverhältnissen ermöglichen soll, gibt es bei anderen Geräten schon seit Jahren, etwa beim Sony Ericsson K810i, wenngleich mit Xenon-Blitz. Neben der Foto- wurde auch die Videokamera leistungstechnisch überarbeitet und vermag nun HD-Aufnahmen zu liefern. Aber auch das kann ein Sony Ericsson-Gerät schon länger, nämlich das Vivaz. Oder auch das Samsung Wave.
„FaceTime“
In einem Atemzug mit der Kamera sollte auch das genannt werden, was Apple – wieder einmal in Abgrenzung zur Konkurrenz und damit marketingstrategisch klug – mit dem eigenen Begriff „FaceTime“ bezeichnet: nämlich die Videotelefonie. Dass auch diese Möglichkeit keine Innovation im Smartphone-Sektor darstellt, dürften vermutlich die meisten von euch selbst wissen. Der Unterschied zur Konkurrenz liegt aber zum einen darin, dass „FaceTime“ bisher nur über ein WLAN-Netzwerk funktioniert. Laut Jobs seien hieran die Mobilfunkanbieter schuld, denn die „brauchen noch etwas“, um sich für diese Technologie zu begeistern. Und zum anderen in der kleinen Einschränkung, dass iPhone 4-User unter sich bleiben müssen, wenn sie in Bewegtbildern miteinander kommunizieren möchten.
Dass „FaceTime“ natürlich nicht mit den Apple-Geräten älterer Generationen funktioniert, liegt aufgrund der fehlenden zweiten Kamera auf der Vorderseite der Gadgets auf der Hand. Sie funktioniert aber auch nicht mit jenen Smartphones anderer Hersteller, die Videotelefonie-tauglich sind. Trotzdem hat auch die Beschneidung gute Chancen, die Herzen der Kunden zu gewinnen. Dies liegt daran, dass die Nutzung von Apples Videotelefonie-Lösung – typisch Apple, möchte man meinen – , so verdammt einfach ist. Es muss kein spezielles Konto angelegt, keine besonderen Einstellungen vorgenommen werden: Einfach anrufen und fertig. Und sollte dem tatsächlich so sein, dass viele Kunden auf diesen Service abfahren, sehe ich die Verkaufszahlen der neuen iPhone-Generation schon in die Höhe schnellen. Denn was ist ein überzeugendereres Kaufargument als die Bitte eines Partners oder Freundes, sich doch auch ein solches Gerät zu kaufen, um sich künftig beim Telefonieren auch noch sehen zu können. Und das kostet noch nicht einmal extra, geht ja alles über WLAN. So verwandeln sich – mit des Kunden Hilfe – Nachteile in Vorteile.
Batterie und A4-Prozessor
Als iPhone-Besitzer, der im nächsten Jahr seine Option auf ein Upgrade sicherlich wahrnehmen wird, freue ich mich vor allen Dingen über eine verbesserte Akku-Leistung. An manchen Tagen kommt es mir vor, als sei die Batterie meines derzeitigen Geräts schon leer, bevor ich nach der Arbeit wieder nach Hause komme. Das bedeutet, eine Dreiviertelstunde Musik hören, 30 bis vierzig Minuten surfen und zwei Dutzend Gespräche saugen den Saft komplett aus dem Gerät. Nun soll – auch Dank eines leistungsstärkeren und gleichzeitig stromsparenderen A4-Prozessors, den Apple selbst entwickelt hat – mehr drin sein: Bis zu sieben Stunden Sprechzeit in 3G-Netzen, bis zu zehn Stunden Surfen im Internet mit WLAN, bis zu sechs Stunden über 3G-Netze und bis zu 10 Stunden Videowiedergabe sowie bis zu 40 Stunden Audiowiedergabe.
Ein Wort zum Schluss: Für mich ist das iPhone 4 alles andere als eine Revolution. Die Verbesserungen, von denen ich hier nur die Markantesten aufgezählt habe, lassen das Gerät nur zu denen der Konkurrenz aufschließen, oder sie bestenfalls leicht übertrumpfen. Wie in der Vergangenheit dürfte der rein technische Vorsprung von den anderen Herstellern aber schon bald wieder aufgeholt werden. Und das neue Design ist eine Geschmackssache. Um es aber deutlich zu sagen: Ich werde mich trotzdem auch weiterhin für das iPhone entscheiden, weil es trotz seiner Unzulänglichkeiten für mich das Smartphone mit dem größten Spaßfaktor und dem gelungensten User-Interface ist. Auch wenn ich mit meinem alten HTC „Business- und Office-Angelegenheiten“ sicherlich besser handhaben konnte. Oder um es anders auszudrücken: Zufriedener iPhone-Besitzer: ja, Apple-Fanboy: nein – ob manche von euch das nun glauben oder nicht.
(Marek Hoffmann)