Google und Facebook haben in dieser Woche Bereitschaft gezeigt, den Menschen weltweit mehr Privatsphäre zuzugestehen. Nachdem zuletzt besonders aus Deutschland harte Kritik kam, könnte man fast annehmen, wir hätten was damit zu tun. Nach diesem Erfolg könnte es bald zum Showdown kommen: die deutsche Nörgeltaktik gegen den inzwischen weltweit wertvollsten IT-Konzern Apple.
Als Deutscher hat man es in diesem Jahr nicht leicht: Den Medaillenspiegel bei der Winterolympiade haben wir nicht dominiert, das Frühlingsmärchen hat uns keine Medaille beschert, die Champions League haben „wir“ nicht gewonnen. Okay, den Eurovision Song Contest haben wir dank Lena gestern nach Hause geholt. Aber ob wir die viel wichtigere Fußball-Weltmeisterschaft gewinnen? Nicht unmöglich, doch auch nicht sehr wahrscheinlich. Aber vielleicht haben wir ja bei diesem immer wichtigeren Internet endlich was zu sagen.
Denn ob aus Überzeugung oder aus der typisch deutschen Angst heraus: Hierzulande formiert sich ein Bollwerk, das nur auf den ersten Blick gegen den Fortschritt kämpft, tatsächlich nämlich gegen die Erosion beliebter Errungenschaften: Höchster Schutz der selbst online gestellten Daten, Unverletzlichkeit des Vorgartens, bald das Seite-1-Girl. Die Bewegung hat in Deutschland ihren stärksten Stand – und sie scheint erfolgreich zu sein.
Streetview-Flotte steht still
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Als ersten traf es Google. Der Suchriese hat in Deutschland mit sich reden lassen. Eigentlich schon im vergangenen Jahr, aber das reichte einigen Vertretern der Politik nicht. Jetzt, wo die Zeitungen das plötzlich spannend finden, soll gefälligst klargestellt werden, dass Google tut, wie dem Unternehmen von der Politik geheißen. Zuvorderst von Ilse Aigner, Bundesministerin für Landwirtschaft und Datenschutz Verbraucherschutz.
Mehrere tausend Deutsche sollen auf Initiative der Ministerin hin inzwischen Widerspruch gegen Streetview eingelegt haben. Und vor 2011 werde es jetzt wohl nichts mehr mit einem Start von Streetview in Deutschland, betont Aigner. Das sei aber zu wenig, beklagte sich das Land Hamburg und forderte, man müsse selbst etwas unternehmen. Zum Beispiel: Gesichter und Autokennzeichen vor der Veröffentlichung unkenntlich machen. Bei Google fragte man sich indes verwundert, was daran neu sein soll.
So oder so: Google hat Angreifbarkeit gezeigt und sich wohl nicht nur deswegen in dieser Woche eine Sammelklage in den USA zugezogen. Nun steht die Streetview-Flotte erst einmal still – zur Freude von Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU). Der hatte Google eine Frist gesetzt, keine Straßen des Freistaats mehr zu filmen. Seit vergangener Woche Freitag täten sie das nicht mehr, reibt sich Herrmann die Hände. Der Stopp gelte bereits seit zweieinhalb Wochen, sagte derweil Google-Sprecher Kay Oberbeck. Nichts mit Frist aus Bayern.
Einst stolze Konzerne offenbaren Schwachstellen
Nächstes Opfer teutonischer Durchsetzungskraft: das Freundenetz Facebook, das in dieser Woche neue Einstellungen für die Privatsphäre vorgestellt hat. Aigner hatte im April angedroht, ihren Account zu löschen, sollte das weltweite Freundenetz nicht endlich nach deutschen Datenschutzrichtlinien arbeiten.
Das ließ Facebook-Gründer Mark Zuckerberg nicht kalt. Angstschweiß muss ihm über die Stirn gelaufen sein angesichts der Gefahr, einen von 400 Millionen Nutzern zu verlieren. So antwortete Facebook Aigner, dass alles in Ordnung komme, und siehe: bald wird schon deutlich mehr in Ordnung sein. Facebook-Nutzer können künftig bei vielen ihrer Daten entscheiden, wer sie sehen darf. Das vereinfacht vieles und ist doch nur die Hälfte dessen, was möglich gewesen wäre. Aber immerhin: Aigner wird es als ihren persönlichen Triumph verbuchen.
Drehen wir die Zeit noch etwas weiter zurück, dann hat massiver Protest von Nutzern, Medien und Politik den nationalen Dienst StudiVZ zum Einlenken bewogen. Die VZ-Netzwerke sind seitdem Vorbilder, was Privatsphäre und Datenschutz angeht. Gegen Facebook haben sie dennoch verloren, was natürlich die alleinige Schuld des Marktführers ist.
Das iPad verführt Verlage zu vorauseilender Selbstzensur
Drei am Boden, einer steht noch: Apple. Ein Hühne von einem Gegner, inzwischen wertvollster IT-Konzern der Welt, noch vor dem einstigen Rivalen Microsoft. Zahlreiche deutsche Schwergewichte sind dagegen bereits K.O. gegangen: Springer verfremdet die interessanten Stellen beim Seite-1-Girl, damit die „Bild“-App aufs iPad darf.
Kommt Aldi-Werbung in Springers iPad App vor, werden selbst Frauen in Unterwäsche überblitzt, was zwar niemand verlangt hat und auch anders geht, aber bei Apple bestimmt gut ankommt. In seiner iPad-App iKiosk verdeckt Springer auch Bilder, die als „Graphic Violence“ eingestuft werden, fand Dirk Baranek für das iPadMag heraus.
Etwas subtiler geht Spiegel Online auf Apple zu: Damit die eigenen Videos auf dem iPad und dem iPhone abgespielt werden können, bietet SpOn sie auch über ein Tag des Apple-freundlichen HTML5 an. Auch wenn da noch längst nicht entschieden ist, welcher Video-Codec letztendlich verwendet wird und nahmhafte US-Medien sich keinen Deut um HTML5 scheren, solange Flash das Web regiert.
Apple ist böse
Apple ist aber nicht gut, sondern böse, sagt zum Beispiel „FAZ“-Herausgeber Frank Schirrmacher, nicht in seiner eigenen Zeitung, sondern sonderbarerweise im Musikmagazin „Rolling Stone“:
Alles, was man aus den USA hört, klingt weniger nach der Entwicklung und Vermarktung eines Gerätes, als vielmehr nach Schaffung und Gründung eines Staates. (…) Ein derartiges Ansinnen hätte noch vor wenigen Jahren zu einem Aufstand der öffentlichen Meinung geführt.
Öffentliche Meinung, das war mal die „vierte Gewalt“ im Staate, und sie wurde von den Medien ausgeübt. Aber gerade die erhoffen sich ja im Moment nichts weniger als die Erlösung von dem Bösen durch Steve und sein iPad.
Also ist jetzt doch wieder eine der übrigen Gewalten gefragt. Zum Beispiel die Legislative: Her mit einem Gesetz, das Apple zur Offenheit zwingt! Flash vom Volkshandy iPhone auszuschließen, widerspricht der persönlichen Freiheit der deutschen Bürger. Vorauseilende Selbstzensur gefährdet die deutsche Medienlandschaft. Eine vorgeschriebene SMS-App ohne Zeichenzähler missachtet den Verbraucherschutz.
Irgendein Kabinettsmitglied, das noch niemand kennt – wie wär’s mit Entwicklungshilfeminister Dirk Niebel (FDP)? – sollte Steve Jobs darüber unterrichten, dass Deutschland offene iPads will. Sonst werden bisher intransparente Hilfen für chinesische Sonderwirtschaftszonen eingefroren, bei denen sich Mitarbeiter von Apple-Zulieferern das Leben nehmen.
Die Chancen dafür stehen gut, seit bekannt ist, dass Jobs auf Mails antwortet. Und falls nicht und Apple uns als Gegner doch überlegen ist, sollten wir vielleicht erst einmal Ziele anstreben, mit denen wir uns mal auskannten. Den Weltmeistertitel zum Beispiel.