Digital Economy Bill nennt sich nicht etwa ein kleiner verpixelter Öko-Cowboy, sondern ein vorgestern im englischen Unterhaus im Eilverfahren durchgewunkenes Gesetz, welches die digitale Wirtschaft auf der Insel ankurbeln soll. Dass man diese Geschichte so knapp vor den Wahlen durchprügeln will und wird, erinnert sicher nicht nur mich an die leidige Zensursula-Debatte hierzulande. Da der Vorschlag – ein bunter legislativer Blumenstrauß von Internetsperren bis hin zum Three Strikes-Vorstoß – so glatt das Unterhaus passiert hat, kann man sich getrost abschminken, dass es im Oberhaus anders aussehen könnte. Doch zunächst einmal eine kurze Zusammenfassung des Entwurfes:
Die Provider müssen auf Wunsch der Rechteinhaber ihre Kunden anmahnen, die jedoch müssen die Übeltäter aber erst einmal selbst finden. Nach der Mahnung kommt noch eine Mahnung und danach kommt dann – erst mal nichts. Witzigerweise gibt es da noch kein explizites Verfahren, man probiert erst einmal aus, Trial and Error in Reinkultur also. Erst, wenn in diesem nicht genau bestimmten Zeitpunkt die Zahl der illegalen Downloads nicht um zwei Drittel zurückgegangen ist, kann man eine härtere Gangart einlegen. Vom Drosseln der Leistung bis zum kompletten Abkappen vom Netz reicht da die Palette – quasi ein Three Strikes light.
Die Möglichkeit, einen Nutzer komplett aus dem Netz zu kicken, halte ich persönlich für sehr bedenklich. Ist es in England nicht auch im Grundgesetz verankert, dass ein Recht auf Informationsfreiheit besteht? Ich bestelle meine Pizza im Netz, erledige meine Bankgeschäfte dort und nicht zuletzt arbeite ich auch online und stehe dort mit den Kollegen in Kontakt. Ich kann es mir daher schwerlich vorstellen, dass man das hierzulande ähnlich geschmeidig durchwinken würde, wie bei unseren englischen Nachbarn (okay, nennt es Zweck-Optimismus). Mich würde zudem interessieren, was passiert, wenn ich 23 Monate vor Vertragsende vom Netz getrennt werde. Zahle ich die nächsten knapp zwei Jahre dann meine monatlichen Beträge quasi neben der eigentlichen Strafe als Lehrgeld, oder bietet sich da eine aufregende neue Alternative, um elegant aus einem Vertrag zu kommen?
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Begeisterung auch hierzulande – bei der GVU
Die Gesellschaft zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen e.V. wird natürlich anerkennend mit der Zunge geschnalzt haben, als sie die frohe Kunde aus dem Vereinigten Königreich vernommen hat. Zumindest liest sich die heute veröffentlichte Pressemitteilung so:
Auch Deutschland darf nicht länger bei der Enteignung der Kreativen tatenlos zusehen…
und weiter:
Die Politik in England und Frankreich nimmt ihre Verantwortung bei der Etablierung rechtsstaatlicher Prinzipien im Internet wahr. Deutschland hingegen hadert und gefährdet damit zentrale Wirtschaftszweige.
Die GVU fordert für Deutschland ein ebenso abgestuftes Nutzermahnverfahren, zudem soll der Zugang zu illegalen Seiten (wie Kino.to) von den Providern gesperrt werden. Die deutsche Musikindustrie sieht das übrigens ganz ähnlich. Man muss jetzt zwei Dinge mal ganz nüchtern betrachten: Verschiedene Branchen stehen „dank“ Internet mittlerweile ziemlich nah am Abgrund und die jetzt auch in Deutschland wieder aufkeimende Diskussion darf nicht wieder in einen blinden Flame-War ausarten. Lassen wir mal außen vor, ob die Unterhaltungsindustrie an diesem Abgrund steht, weil das Internet so böse ist, oder weil man schlicht und ergreifend das ein oder andere Jährchen verpennt hat. Fakt ist jedoch, dass Lösungen gefunden werden müssen. Lösungen, die man vermutlich am wenigsten durch Restriktionen erreichen kann.
Klar müssen Urheberrechte gewahrt bleiben, aber genauso klar ist es auch, dass man die eigene Lage heute nicht verbessern kann mit jahrzehnte-alten Lösungsansätzen:Der Kunde muss wollen – nicht müssen. Die Regel gilt in jedem Supermarkt. Vor Jahrzehnten habe ich mir Vinyl auf Kassetten aufnehmen lassen und meine ersten Mix-Tapes waren aus dem Radio mitgeschnitten. Allein für Depeche Mode habe ich in der Folge in Hunderte Vinyls und CDs und in dutzende Konzert-Karten investiert. Heute lass ich mir ein Album brennen oder schau in die YouTube-Videos, um mich mit neuer Musik anzufixen, das Prinzip ist dasselbe und ich halte mich weder für kriminell oder parasitär.
Das ist nur einer der Denkfehler, den die Industrie nicht müde wird, immer und immer wieder aufs Neue zu begehen. Wenig verwerflich hingegen ist, dass sich Lobbyisten und Firmenbosse sehr gerne und sehr schnell auf die Seite der Regierenden schlagen, wenn einem plötzlich das vermeintliche Licht am Ende des Tunnels aufgezeigt wird.
Müssen wir in die Politik Englands vertrauen?
Drüben bei Carta hat Robin Meyer-Lucht dazu einen sehr richtigen Gedanken formuliert:
Mit der “Digital Economy Bill” wird Großbritannien zu einem maßgeblichen Testfeld für ein forciertes Online-Urheberrechtsregime. Auch hierzulande wird dieser riskante Laborversuch im Länderformat sehr genau beobachtet werden
Nicht nur hierzulande – ganz Europa wird sehr gründlich hinschauen, was und vor allem wie es in England passiert. So ganz konform gehe ich mit Robin in einem Punkt aber nicht:
Wie dieser Versuch ausgehen wird, scheint völlig offen. Und wer für einen fairen Ausgleich zwischen Nutzer- und Urheberrechtsinteressen ist, kann letztlich nur begrüßen, wenn Dinge ausprobiert werden
Was das Ausprobieren von neuen Wegen angeht: D’accord! Wenn ich mir aber überlege, dass Industrie und Politik an einem Tisch sitzen, und diese Politiker mitunter ähnliche Erkenntnisimmunität und Desinteresse am Netz an den Tag legen, wie in Deutschland, wird mir schwarz vor Augen bei den Gedanken an den dort erarbeiteten Kompromiss, der dann auch Rest-Europa bevorstehen soll. Zudem besteht eine große Gefahr, dass es zu Kollateralschäden. Britische Abgeordnete, die nicht für das Gesetz gestimmt haben, haben angemerkt, dass auch Seiten wie Wikileaks.org nun schnell auf der Zensurliste landen können, da geleakte Regierungspapiere natürlich ebenso dem Kopierschutz unterstehen.
Was meint ihr? Sehe ich die Dinge zu schwarz, sollte ich auch mehr Vertrauen in die britische Netzpolitik setzen – oder sollte sich Europa für einen Protest rüsten, der 134.000 Zensursula-Petitionisten wie einen Kindergeburtstag aussehen lässt?
(Carsten Drees)