Wer die Bemühungen der deutschen Polizei im Netz über die vergangenen Monate ein wenig im Auge behalten hat, dürfte bei der heute erschienenen Meldung laut aufgähnen: Die Kripo will eine eigene Notrufsäule im Netz. Die Idee ist schon etwas älter – so alt sogar, dass ich mir jetzt ein Werther’s Echte in den Mund schiebe und interessierte Leser bitte, auf meinem Schoß Platz zu nehmen.
Also, es ereignete sich im Sommer des vergangenen Jahres. Frau von der Leyen – wir nannten sie damals scherzhaft Zensursula – drehte gerade ihre Hysterie-Tour quer durch die Republik und forderte Netzsperren für einige Seiten, um böse Bilder vor den Augen Krimineller zu verstecken. Das rief auch die Polizei auf den Plan, die sich Gedanken darüber machte, wie sie sich im Netz eigentlich positionieren soll. Sicher, es gab schon seit Jahren die sogenannten Internetwachen der einzelnen Bundesländer, wo Nutzer Anzeige erstatten oder konkrete Hinweise zu Straftaten abgeben können. Doch das reichte nicht; das Angebot war nicht griffig genug. Und so kam der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK) auf die Idee, eine virtuelle „Notrufsäule“ ins Netz zu stellen.
„Machen wir später“
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Wie das aber so ist, brauchte der Verband zuvor die Genehmigung des Innenministeriums und so reichte man das Konzept für eine Art 110-Plugin ein, das in der Browser-Symbolleiste sitzen soll und über das User ohne Umwege Kontakt mit einer Polizeileitstelle aufnehmen können. Dazu müsse ein „virtuelles Polizeipräsidium“ eingerichtet werden, in dem „die Cybercops“ sofort die aktuellen Verbindungsdaten abspeichern können, hatte der BDK-Vorsitzende Klaus Jansen gesagt. Der Antrag ist dann allerdings beim Ministerium entweder in der Ablage „Machen wir später“ oder gleich im Altpapier gelandet. Anders ist es nicht zu erklären, dass Jansen plötzlich wieder in der deutschen Medienlandschaft auftaucht und für sein Projekt wirbt.
Heute heißt es allerdings „Webpatrol„, was gleich viel schmissiger klingt, außerdem wurde ein fetziges Logo erarbeitet, das einen Surfer (vielleicht den „Cybercop“?) auf einem Surfbrett zeigt. Laut Jansen ist die Dringlichkeit des Projektes wie seinerzeit gegeben: „So könnten beispielsweise Aufrufe zu einem Amoklauf oder kinderpornografische Inhalte frühzeitig gemeldet werden“, erklärt der Vorsitzende. Auf die Frage, wann denn mit der Umsetzung zu rechnen sei, sagte er, dass die Pläne dem Innenministerium bekannt seien und derzeit dort „diskutiert“ würden. Bislang habe es noch keine „abschließende Bewertung“ gegeben.
„Dumme Ziege“ und die unfreiwillige Selbstanzeige
Dass man mich nicht falsch versteht: Ich finde die Bemühungen der Polizei (und in diesem Fall der Kriminalpolizei) recht ehrenhaft und auch völlig angebracht. Ob dies allerdings der richtige Weg ist, wage ich zu bezweifeln. Da wäre der Haufen an Bagatellmeldungen, der über ein solches Plugin eingehen würde: „Lisa hat eben auf meine Pinnwand geschrieben, dass ich eine ‚dumme Ziege‘ sei. Hiermit zeige ich sie an! Nehmen Sie sie fest! Und ihren Bruder auch, der will nicht mit mir Eis essen gehen.“ Die Schutzmänner in der Clearingstelle würden ruckzuck Ansprechpartner für den größten Schulhof, den Deutschland zu bieten hat. Dann gibt es das Problem, das wir bereits schon einmal erwähnt haben: Wer hierzulande verbotene Inhalte, wie beispielsweise Kinderpornografie, meldet, steht bereits mit einem Bein im Knast. Wir erinnern uns an das Urteil des Hamburger Oberlandesgerichts, nachdem schon ein kurzer Blick auf die Abgründe im Netz strafbar ist. Sobald ein Bild im Browser-Cache landet, gerät der Nutzer in das Visier des Staatsanwaltes. Da finde ich es ein wenig beunruhigend, wenn als Feature von „Webpatrol“ erwähnt wird, dass das Programm einen „Screenshot“ anfertigt und eine „automatisch generierte“ Meldung an die „Notrufzentrale“ schickt. Kollege Carsten hat über das Problem der unfreiwilligen Selbstanzeige schon einiges geschrieben.
Stehen bleiben! Buzzwording-Alarm!
Es wirkt alles ein wenig angemufft und gleichzeitig naiv, was der BDK da zum Besten gibt: „Seit 19 Jahren ist Deutschland im World Wide Web“, heißt es einleitend in der Projektbeschreibung. Und dann ist mehrmals von den „Cybercops“ und der „Clearingstelle“ die Rede, man spricht von „Modus 24/7“ anstatt „rund um die Uhr“ und von einer „Reaktion in Echtzeit“. Eine „Kripo 2.0“, hat Jansen in einem Interview gefordert. Was soll dieses LAPD-Buzzwording? Die Polizei in Deutschland verfügt noch nicht einmal über Digitalfunk und muss sich mit abhörbarem Knacksfunk auf Analogbasis herumschlagen. Vielleicht kann man das Thema einfach mal gelassener, eine Spur uncooler und vor allem koordinierter angehen. Wie kann es beispielsweise sein, dass Niedersachsens Innenminister, Uwe Schünemann, gerade – offenbar völlig unabhängig von den Kripo-Bemühungen – mit seinem Jetzt-löschen-Plugin ein ähnliches Angebot ins Netz gestellt hat?
(André Vatter / Foto: Flickr – Fotograf: conner395)