Es dürfte sich mittlerweile rumgesprochen haben, dass Twitter sich schon lange vom Slogan „Was machst du gerade“ verabschiedet hat und nun fragt, „Was sagen andere über…?“. Damit zollen die Verantwortlichen des Microblogging-Dienstes dem Trend Respekt, dass profane Tweets mit simplen Tätigkeitsbeschreibungen und relativ geringem Informationswert sukzessive durch News-lastige Kurznachrichten ersetzt werden. Dazu gehören immer öfter brandaktuelle Berichte wie beispielsweise nach der Präsidentschaftswahl im Iran, dem Flugzeugabsturz in den Hudson River oder der Bundespräsidentenwahl. Dabei sind es oft aber nicht nur die sogenannten Bürgerjournalisten, die zufällig zur rechten Zeit am richtigen Ort sind und über Vorfälle twittern. Häufiger sind es Journalisten selbst, die ihre Follower mit Exklusivmaterial füttern.
Und genau dieser Umstand geht der amerikanischen Nachrichtenagentur Reuters gewaltig gegen den Strich. So gewaltig sogar, dass sie kürzlich eigens für ihre Mitarbeiter Verhaltensregeln im Umgang mit Social Networks erstellt und in das Kapitel „Reporting from the internet“ ihres „Handbook of Journalism“ aufgenommen hat. Unter anderem enthält es die Anordnungen, dass erst ein Vorgesetzter kontaktiert werden sollte, bevor ein Reuters-Journalist Twitter zu beruflichen Zwecken nutzt, diese Tweets dann von jemand anderem zur Sicherheit gegengelesen werden sollen, in ihnen keine persönlichen – vor allem politischen – Ansichten enthalten sein sollen und der Mitarbeiter für seine privaten Tweets entsprechend einen privaten Account nutzen sollte. Alles völlig nachvollziehbare Grundsätze, die in der Basic-Thinking-Redaktion ähnlich gehandhabt werden und Irritationen wie im Beispiel von Alex Paynes Tweet verhindern sollen . Der in meinen Augen entscheidende Passus ist aber jener, der die Journalisten dazu auffordert, ihre Nachrichten nicht auf Twitter auszuplaudern, bevor die Reuters-Kunden sie erhalten haben.
Es stellt sich nun die Frage, wie zeitgemäß eine solche Marschrichtung ist? Sie beinhaltet nämlich auch den Fall, dass eine Nachricht längst die Runde gemacht hat, bevor Reuters sie ihren Kunden serviert und anschließend twittert. Viele Nachrichtenwebsites und -agenturen haben ihre eigen Twitter-Accounts – angefangen bei Spiegel-Online mit Eilnachrichten bis hin hin zur Associated Press. Wäre es für das Renommee einer Nachrichtenagentur da nicht besser, die News immer dann in die Welt hinauszuschreien, wenn sie brandheiß sind – oder sie dann zumindest anzuteasern? Würde der Schnellste und Aktuellste zu sein nicht dazu führen, dass die Zahl der Follower und Kunden steigt, was letztlich zu mehr Profit führen würde? Möglicherweise.
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Die andere Seite der Medaille ist aber natürlich die, dass die Nachrichtenagentur ihr Geld damit verdient, dass sie Nachrichten verkauft. Und welcher Kunde möchte schon für etwas Geld bezahlen, das er entweder kostenlos über Twitter erhalten kann oder gegen seinen Willen – weil vorab getwittert – bereits mit dem Twitterverse geteilt hat? Ich halte das in der Tat für eine schwierige Entscheidung. Eine Teillösung dürften mit Sicherheit die schon oft angekündigten, aber bis heute nicht umgesetzten Premium-Accounts auf Twitter sein. Der Zugang zu den Reuter-Tweets wäre dann kostenpflichtig, die „ganze“ Meldung erhielten weiterhin nur die Medien-Kunden. Damit wäre das Monetarisierungsproblem aber noch längst nicht gelöst, im übrigen auch bei den oben genannten Nachrichtendiensten nicht.
Wie seht ihr das? Handelt es sich hier um ein echtes Dilemma oder liegen die Ursachen für die Reuters-Strategie gar woanders begründet? Angst vor Social Media? Verlust des eigenen Ansehens durch „Verrat“ am „klassischen“ Journalismus? Ich bin auf euere Kommenatre gespannt.
(Marek Hoffmann)