Der Opel mit der Aufschrift „Google“ hatte nur kurz vor dem Haus der Kulturen Halt gemacht. Zeit genug für die Jungs von Free Art & Technology Lab (F.A.T.), um unbemerkt einen GPS-Empfänger am Fahrzeug anzubringen und zu verduften. Richtig gehört: durch unsere Hauptstadt rollt diese Tage ein verwanztes Auto der Street View-Flotte. „This will be EPIC“, jubeln die Aktivisten und begleiten das Spektakel im Internet(*). Die Stimmung pendelt irgendwo zwischen Jahrmarkt und Hexenverbrennung. Und mit ihrer Kritik sind sie nicht alleine…
Wieder einmal bläst Google teutonischer Gegenwind entgegen, wieder einmal proben die Eisenfresser aus dem alten Europa den Aufstand. Doch nun kommen die Beschwerden nicht mehr von vereinzelten Datenschützern, sondern von ganz oben – von ministerialer Stelle. Ilse Aigner (CSU), unserer aller Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, hat sich selbst zur Speerspitze erklärt und will Street View in Deutschland den Todesstoß versetzen: „Die flächendeckende Fotoaktion ist nichts anderes als eine millionenfache Verletzung der Privatsphäre“, hatte sie am Samstag im „Focus“-Interview gepoltert. „Ich wehre mich gegen diese Form der Entblößung. Kein Geheimdienst dieser Welt würde so ungeniert auf Bilderjagd gehen.“ Gemeinsam mit dem Innenministerium will sie nun rechtliche Schritte und mögliche Gesetzesänderungen prüfen. Fast zeitgleich tobte der Mob auf den Berliner Straßen, „Fuck you, Google!“ hallte es angesichts eines Google-Wagens in den Gassen und mancher zeigte Street View den Hintern (*):
Mich irritiert diese plötzliche, aufgebrachte Stimmung. Hatten wir uns denn nicht mit Google geeinigt? War das Projekt Street View in Deutschland nicht schon in trockenen Tüchern? Im vergangenen Mai war der Hamburger Datenschutzbeauftragten Johannes Caspar mit erhobenen Zeigefinger an die Suchmaschine herangetreten. Er hatte Google die Pistole auf die Brust gesetzt und gefordert, dass Gesichter von Passanten unkenntlich gemacht werden: „Darüber hinaus ist die Löschung von Häuseransichten nach Widerspruch auch in den Rohdaten erforderlich.“ Dem Suchriesen wurde ein ziemlich knappes Ultimatum eingeräumt, um diese Forderungen zu erfüllen. Andernfalls könne sich Google vom Projekt „Street View“ in der Hansestadt verabschieden.
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Noch einmal von Anfang an
Das Unternehmen ließ sich einige Zeit mit der Bearbeitung dieser Anfrage, lenkte aber schließlich ein und schickte einen Sprecher vor, der fast schon irritiert wirkte: Die meisten Forderungen seien schon vorher vereinbart und bereits umgesetzt gewesen – dazu zähle auch die Widerspruchsmöglichkeit der Nutzer. Caspar zeigte sich zufrieden, wies aber darauf hin, dass weiter Unsicherheit herrsche, ob die Auflagen auch bei den Rohdaten Anwendung finden, die in Mountain View gespeichert sind. Der Rauch hatte sich verzogen und es konnte eigentlich losgehen. Doch nun beginnen wir wieder von vorne.
Umso mehr bin ich erstaunt, dass dieser neue Vorwurf abermals von einer Stelle kommt, von der man es nicht erwartet hätte. Frau Aigner ist zuständig für Verbraucherschutz, aber als Agrarministerin auch für Ackerland und Weidevieh. Ihre letzte Rede hielt sie in Essen im Rahmen der Eröffnung der Internationalen Pflanzenmesse 2010: „In Zeiten der Wirtschaftskrise konnte sich der Gartenbau allerdings stabil halten“, wurde dort von ihr verkündet. Und nun wendet sich ihr Augenmerk auf Kartenanwendungen und geobasierte Dienste? Werden da nur bei mir Gedanken an eine ehemalige Familienministerin wach, die sich das Wirtschaftsministerium zur Hilfe holen musste, um Netzsperren im „Kampf gegen Kinderpornografie“ anzustoßen? Ressortübergreifende Kompetenzen scheinen die Politik des 21. Jahrhunderts zu bestimmen. Ein Phänomen, das sich auch aus der Biographie der neuen Beauftragten der Bundesregierung für Informationstechnik („Bundes-CIO“) herauslesen lässt, die in ihrem Leben mit Computern soviel zu tun hatte, wie Grundschüler mit der Anreicherung von Uran.
Doch kommen wir noch einmal zurück auf die eigentliche Aigner-Kritik: Im Grunde schlägt die Ministerin in dieselbe Kerbe, die ihre FDP-Kollegin Leutheusser-Schnarrenberger bereits vorbereitet hatte. Im Interview malt Aigner ein düsteres Google-Portrait: „Bereits heute besitzt der Suchmaschinen-Konzern Google genauere Personenprofile als jede Regierung dieser Welt“, sagt sie. „Hier wird versucht, sich Einblick in alle Bereiche des Lebens zu verschaffen, um unsere Daten zu Werbezwecken zu vermarkten.“ Damit Google weiter machen kann, soll sich die Suchmaschine von jedem Bundesbürger dazu schriftlich die Erlaubnis abholen, so Aigners Forderung. Ein völlig realistischer Vorschlag! An besonders prominenter Stelle in der Argumentationskette fällt dann ihr Appell: „Ich möchte wissen, wer hat eigentlich die Kontrolle über die Daten?“ Ob sie diese Frage denn schon mal Google Deutschland gestellt habe, hakten die Redakteure nach. Nein, das sei noch nicht der Fall gewesen.
Keine IT-Kompetenz in Berlin
Ich sehe die Probleme, die einige Bürger mit Street View haben, und respektiere sie. Es lässt sich auch nicht wegleugnen, dass Google kein leidenschaftlicher Anhänger des Datenschutzes oder der Privatsphäre der Nutzer ist. Und wenn zusätzlich zu meinem persönlichen Browsing-Profil nun auch noch Fotos von meinem Eigenheim hinzukommen, ist das sehr wohl eine kritische Hinterfragung wert. Doch für mich wird es immer deutlicher, dass die Politik dazu überhaupt nicht in der Lage ist. Und ich spreche hier nicht davon, dass der Staat selbst wie blöde Daten von Bürgern sammelt („Es entsteht eine teure, unsichere Datenhalde mit biometrischem Zusatzrisiko – ohne erkennbare Notwendigkeit.“ – der neue Personalausweis). Es ist kein Wunder, dass Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger nach ihrer lautstarken Attacke das Feld räumte und der Wirtschaft den Vortritt ließ, um beim Bundeskartellamt Beschwerde einzulegen. Es gibt einfach niemanden in Berlin, der nachvollziehen könnte, was da im Googleversum eigentlich vor sich geht.
Auf der anderen Seite fallen bei solch populärem Rumgeknüppel gerne auch die Pro-Argumente unter den Tisch. Was ist mit Innovation? Was ist mit Forschung? Ein Dienst wie Street View eröffnet völlig neue Wirtschaftsfelder. Navigationsdienste für private Nutzer (selbst die Jungs von F.A.T. benutzen Maps!), Werbemöglichkeiten für Unternehmen. Nun soll es bald schon soweit sein, dass Ladenbesitzer Waren über ihre virtuellen Shops an den Mann bringen (bei Sightwalk – völlig unbeachtet von den Kritikern – sind wir ebenfalls soweit). Wenn ich mir diese Kombination von Maps und Street View auf dem iPad ansehe, fallen mir gleich ein halbes Dutzend neuer Geschäftsideen ein.
„Es geht vor allem darum, dass wir ein forschungsfreundlicher, ein entwicklungsfreundlicher Kontinent sind“, ließ Frau Merkel in ihrem gestrigen Podcast noch verlauten. Ob neue Dienste diesem Anspruch gerecht werden, scheint offenbar nicht immer prüfenswert. Eine Entscheidung ist sicherlich nicht leicht zu treffen. Doch in jedem Fall braucht es mehr als das „Google is evil!“-Transparent, das ein Politiker umherwedelt, um bei kommenden Wahlen gut beim Stammtischwähler zu punkten. In unserer kleinen Runde können wir aber vielleicht schon einmal etwas Klarheit schaffen. Deshalb die Frage an euch:
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(*) Update, 10. Februar: Wie heute bekannt wurde, handelt es sich bei der Anti-Google-Kampagne um eine reine Kunstaktion. Laut einem Google-Sprecher habe die Gruppe F.A.T. ein eigenes Auto präpariert – und dieses kurzerhand zum offiziellen Street View-Vehikel erklärt. Weitere Infos über die Geschichte finden sich hier und hier.
(André Vatter)