„Jetzt mal überlegen… was würde ich machen, wenn ich aus dem Knast ausbreche? Gute Frage. Mich verstecken. Zu Freunden gehen? Nein, um Gottes Willen! Viel zu unsicher. Ja, lieber einen Bart wachsen lassen. Und die Haare färben. Und dann ab über die Grenze.“ Das wären meine Gedanken, bevor ich mich mit verknoteten Betttüchern an der Gefängnismauer herunterlasse. Unsere beiden Aachener Spezis hatten ja wohl kürzlich nicht ganz so weit gedacht. Doch was uns da aus England erreicht, ich meine… das grenzt schon an Wahnsinn.
Craig ‚Lazie‘ Lynch ist vor drei Monaten aus dem Hollesley Bay-Gefängnis in Woodbridge getürmt. Der 28-Jährige verschwand daraufhin im Untergrund, um sich aber kurze Zeit später in aller Öffentlichkeit zu präsentieren: nämlich auf Facebook. Seitdem hält er mit Pinnwand-Updates die Polizei und vor allem seine Fans rund um die Uhr auf dem Laufenden. Eine Kostprobe:
Sonntag, 5.10 Uhr: „Aufgewacht, Leute! Es ist Wochenende und wo steigt die Party?“
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Samstag, 3.10 Uhr: „Ich denke darüber nach, ein paar Fan-T-Shirts herzustellen. Was denkt ihr, Kumpels?“
Samstag, 19.04 Uhr: „Okay, lasst uns etwas Neues versuchen. Eure Meinung zählt. Wenn ihr meint, dass ich weiter auf der Flucht bleiben soll, drückt den ‚Gefällt mir‘-Button.“
Freitag, 2.48 Uhr: „Frohe Weihnachten! Ich habe es geschafft. Fick das System!“
Facebook wird die Sache langsam unheimlich, schon mehrmals wurde deshalb Craigs Seite gelöscht. Doch jedes Mal kamen die Fans wieder – und es wurden immer mehr. Heute sind es weit über 18.000. Frauen (und Kerle) fliegen auf seine rotzfrechen Mittelfinger-Fotos, die in erster Linie an die Adresse der polizeilichen Beobachter gehen. Er bekommt Einladungen aus Neuseeland („Your hot bro!“), aus den USA – eine Dame wünscht ihn sich nach Paris. Doch Craig weiß, dass er die Insel niemals wird verlassen können. Gawker hat noch einige O-Töne aufschnappen können, die er sagte, bevor die Vorgängerseite gelöscht wurde. Das Herannahen von Sirenen würde Craig zusehends nervöser machen:
Nun, was soll ich sagen, meine lieben Freunde. Die Flucht ist fast vorüber. Es tut mir leid, wenn einige von euch das so herausfinden müssen. Ich weiß, dass es mir einige von euch übel nehmen, dass ich es euch nie persönlich gesagt habe. Aber ihr kennt mich. Ich vertraue niemanden. Und so muss es sein.
Für mich ist es ein Wunder, dass Facebook die IP-Adressen nicht mittlerweile an die britischen Behörden herausgerückt hat. Oder werden sie im Rahmen der neuen Privatsphären-Einstellungen gar nicht mehr gespeichert? Wer weiß.
Update, 14. Januar 2010
(André Vatter)