Egal, wo ich in letzter Zeit bin: überall fange ich eine Journalismus-Debatte an. Beim Friseur, in der Bahn, wenn die Feuerwehr mal wieder im Haus ist („Das sind nur Weihnachtsplätzchen!“), im Wartezimmer beim Arzt – überall. Alle beklagen sich, alle motzen über die Qualität des deutschen Journalismus oder beginnen zumindest damit, nachdem man das Thema angesprochen hat und sie das erste Mal wirklich darüber nachdenken. Doch es gibt einen nie scheiternden, schnellen Ausstieg aus jeder dieser Diskussionen. Man fragt einfach: „Und wann haben Sie sich denn zuletzt eine Zeitung gekauft?“ Als Antwort gibt es dann entweder eine wegwerfende Handbewegung („Ich zahle nicht für schlechte Nachrichten!“) oder ein betretendes Schweigen („Sie haben ja Recht…“). Vor zwei Tagen stieg ich spätabends in ein Taxi. Während wir fuhren, lockerte ich den Gurt und beugte mich vor, damit ich die „Express“ des Fahrers auf dem Armaturenbrett besser erkennen konnte. „Ihre?“, fragte ich. „Jep.“ – „Selbst gekauft?“ – „Nein. Wir tauschen alle.“ – „‚Wir?‘ Sie meinen die Taxifahrer?“ – „Jep.“ – „Ihr habt einen Zeitungstauschring?!“ – „Jep.“
Auch, wenn ein derartiger Lesezirkel unter den Gesichtspunkten der Bequemlichkeit, des Umweltschutzes und der persönlichen Ökonomie punkten kann, muss man sich auf der anderen Seite doch fragen, wer überhaupt noch Presseartikel am Kiosk kauft. Tatsächlich kenne ich außerhalb von konservativen Mutter-Vater-Kind-Haushalten mit Abo-Versorgung keinen Menschen mehr, der sich regelmäßig mit gedruckter News-Literatur auf dem Laufenden hält. Sicher, die Kosten spielen eine große Rolle. Ein hervorragendes Beispiel für diese Hürde liefert ja jedes Jahr der „Spiegel“. 2002 kostete eine Ausgabe 3 Euro, Anfang 2009 3,70 Euro und die diesjährige Weihnachtsausgabe kostete erstmals 3,90 Euro. Innerhalb von zehn Jahren hat sich der Copy-Preis des „Spiegels“ um 30 Prozent erhöht. Warum? Nun, der Kölner Büdchen-Besitzer erklärt dies mit einer einfachen Gegenfrage: „Wissen’se eijentlisch, wie schweineteuer heute dat Papier jeworden is?“ Tatsächlich unternimmt der Papierpreis seit der Jahrtausendwende eine Klettertour nach oben, doch das ist nicht der eigentliche Grund. Wurden vor zehn Jahren die Kosten pro Ausgabe noch zu zwei Drittel durch die Werbung gedeckt, so wird exakt dieser Betrag heute durch den Kaufpreis getragen.
Schwindende Werbeeinnahmen und sinkende Auflagen (der Spiegel wird 2010 erstmals wieder unter die Millionenschwelle fallen): das ist der Zweifrontenkrieg, dem Printmedien heute ausgesetzt sind. Ich will im Folgenden nicht über Offline-Marketing reden und mich lieber um die ausbleibenden Offline-Leser kümmern, die zweifelsohne immer mehr zu Online-Lesern geworden sind. Und denen drängt sich nun neuerlich das beunruhigende Problem auf, das sie für eigentlich überwunden hielten: Sie werden wieder zur Kasse gebeten.
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Diese Woche herrschte Chaos im deutschen Internet. Das Weltbild der Nutzer wurde erschüttert! Die Spielerei mit den kostenpflichtigen App-Abos für die „Bild“ und die „Welt kompakt“ war tatsächlich nur ein kleines Strohfeuer, der Springer-Verlag hatte noch eine viel süßere Überraschung in der Hinterhand und schaltete nonchalant die bislang frei verfügbaren Netzangebote „Hamburger Abendblatt“ und „Berliner Morgenpost“ auf Paid Content um. Die Quersubventionierung sei gescheitert, ab sofort gelte eine Bezahlschranke für lokale Inhalte. Knapp acht Euro soll nun der uneingeschränkte Zugang zu allen Artikeln pro Monat kosten, lediglich Print-Abonnenten könnten sich diese Gebühr sparen.
Der sachlichste Kommentar unter den knapp 500 bis heute abgegebenen Leser-Statements dazu lautete: „Tschüss dann…“ Ich bin die Liste der Beschimpfungen einmal durchgegangen und habe insgesamt drei Punkte gefunden, die es wert sind, einmal näher beleuchtet zu werden:
1.) Warum soll ich für schlechte Qualität bezahlen?
Tja, gute Frage. Das würde ich eigentlich auch nicht. Wie schon früher erwähnt, geht der Mangel an Qualität alleine auf die Kappe des deutschen Verlagswesens. Diese Debatte, die heute geführt wird, hätte bereits vor Jahren stattfinden sollen. Stattdessen setzte man auf ein blindes „Weiter so!“ und sparte bei den Ausgaben. Kein Autohersteller würde in Krisenzeiten auf die Idee kommen, den Preis zu drücken, indem man die Windschutzscheibe weglässt, die Motorhaube, die rechte Seitentür. Doch das wurde jahrelang in der deutschen Medienlandschaft praktiziert. Redaktionen – das eigentliche Kapital – wurden radikal abgebaut. Aus zwei Ressorts wurde eines gemacht oder man verzichtete gleich direkt darauf. Und jetzt hat uns das „Weiter so!“ vor die Wand gefahren. Die Early Adopters unter den Paid Content-Lesern sind diejenigen, die nun beim Wiederaufbau helfen müssen. Und natürlich kostet es Überwindung, acht Euro im Monat zu bezahlen, angesichts von nackten Agenturmeldungen, die 1:1 übernommen wurden. Oder für die Klick-dich-durch-Bildergalerien, deren einziger Sinn und Zweck es bislang war, Klicks zu generieren, um die Position des Vermarkters gegenüber den Werbern zu stärken („Aber werfen Sie doch mal einen Blick auf unsere Page Impressions!“). Wer jetzt sein Bezahlkonto anlegt, hilft bei der Instandsetzung. Und ein Wort an die Verlage: Ihr tätet gut daran, dieses Vertrauen nicht zu missbrauchen.
2.) Die schalten doch Werbung, das reicht!
Werbung im Internet ist eine feine Sache – und vor allem ein stark wachsender Sektor. Kontextbasierte Textanzeigen, schicke Display-Banner, nervige Layer-Ads sind stark im Kommen und das wird auch so weitergehen und bald auch richtig den Mobilfunkmarkt erobern. Doch auf der Einnahmenseite bedeuten Banner Peanuts. Vermarkter bekommen heute von Werbern den Preis diktiert, weil es schlicht ein Überangebot von vermarktbarer Fläche im Internet gibt. Banner boomen – doch davon haben die Verlage wenig: für 1.000 Klicks gibt es einen kalten Kaffee und einen Kugelschreiber. Werbung ist zwar eine wichtige Einnahmequelle, doch sie alleine reicht nicht mehr aus. Dazu kommt wieder einmal das Verhalten des Lesers. Im Mai machte ich eine kleine Umfrage unter rund 400 Teilnehmern. Etwa ein Viertel von ihnen setzt Ad-Blocker ein und würde auch dann nicht darauf verzichten, wenn das Angebot stimmt.
3.) Wenn ich zahle, will ich keine Werbung sehen!
Aha. So ist das also. Ich schätze, es waren die beiden Freemailer GMX und Web.de, die Ende der Neunziger indirekt den Irrglauben verbreiteten, dass man mit bezahlten Accounts das Anrecht auf Werbefreiheit hat. Xing wollte erstmals wieder damit brechen und kündigte vergangenes Jahr an, auch Premium-Kunden in den Genuss von Bannern kommen zu lassen. Was war da los! Pfui, Spinne! sagten die Nutzer und verabschiedeten sich. Es herrscht mehr, als eine reine Gratismentalität im Netz. Es herrscht ein anmaßendes Anspruchsdenken. Wenn ich heute ins Kino gehe, bezahle ich neun Euro, um mir 45 Minuten vor Filmbeginn alkoholische Produkte, Zigaretten und Rundfunkgebühren in fetzigen Werbeclips schmackhaft machen zu lassen. Ich habe noch niemanden gesehen, der protestierend den Saal verlassen hätte. Gibt es den neuen „Spiegel“ – der ja nun 3,90 Euro kostet – auch werbefrei? Nein. Der Kaufpreis deckt nicht annähernd den Preis für die Aufwendungen. Jemand, der bereit ist, 15 oder 20 Euro im Monat für die Online-Ausgabe des „Hamburger Abendblatts“ hinzulegen – der könnte ein Anrecht auf Werbefreiheit haben. Das könnte der Verlag für die Kritiker ja gerne einmal durchrechnen. Werbung, auch mit den oben genannten Einschränkungen, ist und bleibt unverzichtbar.
Wir werden sehen, wie sich die Sache für Springer entwickelt. Tatsache ist, dass das Konzept in dieser Konstellation nicht aufgehen wird, wenn die übrigen Verlage nun feixend daneben stehen und sich über den willkommenen Besucherstrom freuen. Denn das verzögert nur die Lösung des eigentlichen Problems.
Die Alternative?
In den Vereinigten Staaten laufen ähnliche Experimente: Rupert Murdoch wird für seine Paid Content-Offensive scharf angegriffen. Auf der anderen Seite stehen Anbieter wie AOL und die Huffington-Post, die sich dazu entschlossen haben, ungeniert und in aller Öffentlichkeit mit Werbern ins Bett zu gehen. Bei AOL haben Unternehmen ab sofort (und gegen entsprechende Bezahlung) die Möglichkeit, bei der Erstellung journalistischen Contents mitzuwirken. Wie sähe das bei Spiegel Online aus, wenn RWE beim Thema „Atomenergie in Deutschland“ seine Hilfe anböte? Oder der Pharmakonzern Roche, Hersteller von Tamiflu, ein wenig über die Neue Grippe referieren dürfte? Ich frage mich, warum die Stimmen der Kritiker hier nicht lauter sind. Der Journalismus ist die vierte Gewalt im Staat. Und ohne jetzt die Idealismuskeule schwingen zu wollen: Warum gehen die Bürger auf die Barrikaden, wenn mal wieder herauskommt, dass ein bei kritischen Entscheidungen eingebundener Parlamentarier bei dem oder dem Unternehmen auf der Gehaltsliste steht? Und warum lehnen sie sich entspannt zurück, wenn ein Verlag sagt, dass man ab sofort einen Großteil der Einnahmen mit Hilfe von Advertorials verdienen wird? Weil unabhängiger Journalismus andernfalls Geld kosten würde?
Ich bin gerne bereit, knapp 96 Euro für die Online-Zeitung meines Vertrauens im Jahr zu zahlen, wenn ich wüsste, dass dort gute Arbeit geleistet wird, dass das Medium etwas bewegt und die Redakteure ordentlich behandelt werden. Überlegt es euch auch einmal. Und überlegt es euch richtig. Immerhin besteht ja ein wenig Hoffnung. Laut einer GfK-Studie würden hierzulande lediglich neun Prozent aller Internet-Nutzer für Online-Inhalte bezahlen. Von unseren Lesern würden dies immerhin 31 Prozent hypothetisch tun. Ein Anfang.
(André Vatter / Foto: Pixelio – Fotograf: Oliver Weber)