Die Besucher blieben weg, die Werber ebenso und zusehends brachen die Umsätze ein – „Jetzt ist es auch egal!“ muss sich da AOL-Chef Tim Armstrong gedacht haben. Er plant den radikalen Neuanfang im Content-Geschäft, eine „Revolution“, wie er verspricht. Time Warner hatte sich die Entwicklungen ja lange genug angesehen und plant nun, die ungeliebte Tochter ihrem eigenen Schicksal zu überlassen. In wenigen Tagen wird AOL deshalb wieder an der Börse gehandelt, auch wenn auf dem Weg dorthin jede dritte Stelle (insgesamt 2.500 Arbeitsplätze) auf der Strecke bleibt.
Als Bonbon für die Aktionäre hat sich Tim Armstrong deshalb etwas ganz Tolles einfallen lassen: er schafft den teuren und völlig unnützen Journalismus auf seiner Plattform komplett ab! Dazu plant er die längst überfällige Aufhebung der Gewaltenteilung zwischen Redaktion, Betreiber und Werber. Probiere unsere super-leckeren Burger! Wie das „Wallstreet Journal“ berichtet, wird es bei AOL künftig eine Armee von Schreibaffen geben, die in die Massenproduktion von Content eingebunden werden. Die Themen, Keywords und jeweiligen Schwerpunkte werden nicht durch Aktualität oder strukturelle Relevanz vorgegeben, sondern durch Maschinen, die Suchplattformen im Internet nach dem heißesten Buzz durchsuchen und dann Ergebnisse ausspucken. Jetzt zugreifen: Wäscht noch weißer! Die Liste der Trending Topics wird beispielsweise bei Twitter heute von „Tweetie 2“ und „Google Wave“ angeführt – da lässt sich doch etwas draus machen!
Aber die Innovationsfreude geht noch weiter: „Anstatt darauf zu warten, bis ein Artikel oder Web-Video fertig produziert wurde, will AOL den Werbern das Angebot machen, bereits beim Entstehungsprozess mit den Redaktionen zusammenzuarbeiten, um maßgefertigten Content zu erhalten“, so das WSJ. Werber würden eng mit den Autoren kooperieren, jedoch könnten sie „nicht kontrollieren, was geschrieben oder produziert wird“, verspricht AOL. Aha, is‘ klar. Jetzt billig auf die Malediven fliegen! Natürlich wird es daneben auch noch klar gekennzeichnete „Advertorials“ geben, also bezahlte Artikel, die direkt aus der PR-Abteilung von werbenden Unternehmen geliefert werden.
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Eine ausgefeilte Technik im Hintergrund soll den redaktionellen Prozess der 500 Mann starken „News-Room“-Besatzung beschleunigen: Keywords, Inhaltsangaben und Tags werden zentral protokolliert, damit je nach Entwicklungen die Themen schnell aktualisiert und Recherchen eingespart werden können. Auch Freiberufler will sich AOL in die Text-Legebatterie holen, allerdings werden sie nur bezahlt, wenn ein passender Werber in Aussicht ist. Kaufbefehl: Flachbildfernseher der neuesten Generation! Das Honorar beginnt damit ab 0,00 Dollar und steigt erst an, wenn die Maschine ermittelt, dass eine Vermarktung wahrscheinlich ist. Aus Kostengründen wird ein eingesandter Text auch nicht mehr aufwändig lektoriert, stattdessen „geht dieser durch eine Reihe von Filtern, die ihn nach Plagiaten, Obszönitäten, Grammatik und Interpunktion scannen“. Erst dann landet er bei einem Redakteur auf dem Schreibtisch, der ihn nach einem kurzen Faktencheck online stellt.
Ja, das sind alles hervorragende Ideen. Ich meine, jetzt mal Butter bei die Fische: Journalismus ist out, Meinungsvielfalt total überschätzt und Unabhängigkeit nichts weiter als überholter Idealismus aus einer verklärten Vergangenheit. Content ist King. Noch schneller, noch männlicher: Den Rasanto jetzt Probe fahren!
(André Vatter)