In Deutschland wissen wir nur, dass ein kleiner Krieg hinter den Kulissen von Wikipedia tobt – die Auswirkungen sind uns bis auf Einzelfälle jedoch unbekannt („Von diesem Verein fühle ich mich echt nur noch verarscht. Ich frage mich, ob das nicht einem Großteil der Wikipedia-User genau so geht.“ via Fefe). Es geht um die große Relevanzdebatte, Machtmissbrauch der Admins und die Rolle, die der Förderverein bei all dem spielt. Das „Wall Street Journal“ hat nun erstmals Zahlen vorgelegt, wie sich diese Entwicklung in den Staaten vollzogen hat – auch dort herrscht großer Unmut der Autoren gegenüber pöbelnden Kollegen oder zensierenden Admins: „Wikipedia wird zu einer immer feindseligeren Umgebung“, sagt der Wissenschaftler Felipe Ortega, der den Autoren-Exodus in seiner Doktorarbeit (PDF) protokolliert hat. „Die Leute sind ausgebrannt und haben keine Lust, wieder und wieder Debatten über die Inhalte bestimmter Artikel zu führen.“
In den ersten drei Monaten dieses Jahres haben deshalb 49.000 Freiwillige der amerikanischen Mutter der Wissens-Plattform den Rücken gekehrt. Nur zum Vergleich: 2008 waren es in demselben Zeitraum nur 4.900. Offenbar gilt dieser Trend aber nur für die Autoren, bei den Lesern erfreut sich Wikipedia weiter wachsender Beliebtheit. Innerhalb eines Jahres (bis September 2009) wuchs der Besucheransturm laut comScore um 20 Prozent. Warum hat niemand mehr Lust, eigene Beiträge zu schreiben, immerhin lebt Wikipedia doch davon?
Nun, zum einen lässt sich sagen, dass es eigentlich nicht mehr viel zu sagen gibt. Wikipedia wurde 2001 als kleines Seitenprojekt von Jimmy Wales gegründet. Heute – acht Jahre später – ist erst einmal ein gewisser Sättigungsgrad in der Informationsflut erreicht. Viele Artikel sind bereits geschrieben, die Aufregung hat sich gelegt und die internationale Wikipedia ruht auf einer soliden Basis von Beiträgen (3,1 Millionen sind es in den USA, 983.000 in Deutschland). Der andere Grund liegt im System selbst: Da hätten wir ein sich über mehrere hundert Seiten erstreckendes Regelsystem, das Neulinge entweder abschreckt oder unweigerlich in die Fehlerfalle tapsen lässt. Auch die alten Hasen unter den Wikipedianern fühlen sich von diesem Korsett zunehmend eingeengt, so dass in vielen ihrer Diskussionsrunden die Fetzen fliegen. Das hat dann nichts mehr mit Wissensvermittlung, sondern mit Anklage, Rechtfertigung und Herumtrollen zu tun. Dazu heizen regelmäßig Skandale die Dispute an, wenn mal wieder ein Unbekannter Einträge „verändert“ hat und Admins reflexartig ankündigen, härter gegen derlei Artikelverunstaltungen vorzugehen.
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Ich finde es schön, dass das WSJ auch den Gründer Wales im Rahmen des Artikels um ein Statement gebeten hat. Ein grundsätzliches Problem habe dieser nicht mit dem Autorenschwund: „Wenn die Leute glauben, dass Wikipedia fertig – also vollständig ist –, dann ist das so“, so Wales. „Aber wenn sich die Community feindlich gegenüber Neulingen verhält, dann ist das ein korrigierbares Problem.“
Wikipeda leidet heute unter dem „Viele Köche verderben den Brei“-Syndrom. Doch genau diese große Anzahl der Küchenhelfer hat immer den Kerngedanken des Crowdsourcings ausgemacht; Schwarmintelligenz, kollektive Kompetenz und all diese Buzzwords der Kreativität 2.0. Offenbar muss sich das Projekt heute eingestehen, dass es sich dabei zwar um einen schönen Gedanken handelt, es in der Realität aber nicht immer praktikabel ist. Selbst die Diskussion um dieses Problem zerbricht an der Vielstimmigkeit ihrer Teilnehmer, was man hier in Deutschland ebenfalls sehr deutlich nachzeichnen kann.
Der Anteil der Leute, die Artikel bei Wikipedia erstellen oder bearbeiten wird unweigerlich schrumpfen müssen. Das weiß auch Wales, der sich nur noch nicht sicher ist, was die „richtige Anzahl“ der Freiwilligen angeht. Damit würde Wikipedia jedoch seinen ursprünglichen Weg verlassen und sich weiter hin zur redaktionell betreuten Enzyklopädie entwickeln.
(André Vatter / Foto: BusinessInsider)