Ich habe heute einen sehr lustig-informativen Artikel gelesen, möchte aber vorher kurz ausholen, bevor ich auf ihn eingehe. Ich bin also neulich in der Bahn unterwegs und denke an schöne Dinge, als eine nicht mehr ganz taufrische Dame einsteigt und sich ganz hinten, entgegen der Fahrtrichtung auf einem Platz niederlässt. Dem Platz, der von mir immer gemieden wird, weil ich zum einen die Nähe zur „Wand“ nicht so schätze und mich zum anderen dort immer etwas „isoliert“ fühle. Na, jedenfalls packt die Dame einen Augenblick später ihr Handy aus und legt los: Sie erzählt ihrer Freundin, dass sie bereits vor fünf Jahren umgezogen sei, ihr Mann Hausmeister wäre, sie zurzeit keinen Job hätte; sie fragt die Freundin, ob ihr Ehemann denn noch selbständig sei, ob sie schwarz für ihn arbeiten könne, wann er denn Pleite gegangen wäre und warum…? Als ich aus der Bahn aussteige, kenne ich alle Antworten.
Szenenwechsel. Fastcompany berichtete gestern über eine von Intel in Auftrag gegebene 5-tägige Online-Studie mit dem Arbeitstitel „Intel Holiday Mobile Etiquette“. Ein Ergebnis der Untersuchung ist, dass 80 Prozent (Stichprobe: 2,625 Teilnehmer) der erwachsenen, das Internet nutzenden US-Amerikaner der Meinung sind, dass ungeschriebene Regeln in Bezug auf die Verwendung von mobilen Geräten existieren. Und sieben von zehn Amis (69 Prozent) gaben zu Protokoll, dass ein Verstoß gegen diese Regeln (zum Beispiel das Checken von Mails oder das Telefonieren mit einem Handy im Beisein anderer) völlig inakzeptabel sei. Es geht noch weiter: An Feiertagen würden 52 Prozent der befragten Mannen aus Übersee sich persönlich beleidigt fühlen, wenn jemand aus der Gesellschaft versuchen würde, am Tisch heimlich sein internetfähiges Laptop oder Handy zu benutzen.
In einem Land, in dem es verpönt ist, während der Fahrstuhlfahrt zu reden oder jemanden direkt anzugucken, ist das für mich kein besonders überraschendes Ergebnis. Aber wie so oft kommt der dicke Knaller auch bei dieser Studie zum Schluss: 75 Prozent der oben bereits mehrfach Genannten finden es nämlich vollkommen okay, auf dem Lokus zu surfen und telefonieren. Zwar gibt es vereinzelt Hygiene-bezogene Bedenken, aber sonst… alles gut. Und jetzt wird es etwas wirr. Denn wiederum 62 Prozent sind der Meinung, dass mobile Geräte einen Teil unseres heutigen, täglichen Lebens darstellen und dass die Gesellschaft endlich akzeptieren muss, dass diese Geräte von den Menschen permanent genutzt werden.
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Okay. Auf den ersten Blick etwas schizophren das Ganze, aber ich denke, man versteht, worauf es hinausläuft. Offenbar findet so etwas wie eine Werteverschiebung statt, je stärker die technischen Gadgets Eingang in unser tägliches Leben finden. Oder anders: Die „ungeschriebenen Gesetze“ bezüglich des Umgangs mit technischen Geräten werden sich in dem Maße verändern, wie der Einfluss dieser Geräte auf unser Leben wächst. Oder ganz einfach: Es ist erlaubt, was nicht verboten ist, und was verboten ist, darüber entscheidet der jeweilige Kontext. Es wird für die Zukunft also wichtig sein, einige „Orientierungsregeln“ aufzustellen, wann ein Verhalten akzeptabel und wann ein Affront ist. Dass also die Plaudertasche aus meiner Bahngeschichte mit mir intime Details ihres Lebens geteilt hat, ohne dass ich dem direkt zugestimmt hätte, ist vielleicht peinlich (für sie) und irgendwas im Bereich von akustischer Belästigung für mich; unterm Strich ist sie aber nur ein extremes Beispiel für etwas, das längst zum Alltag gehört – Telefonieren in der Öffentlichkeit. Es ist für mich zwar immer wieder erstaunlich, in welchem Maße sich Menschen beim Handy-ieren offenbaren, weil sie beim gegen die Wand oder aus dem Fenster Glotzen ihre Umwelt nicht mehr wahrnehmen. Aber ich störe mich daran nicht mehr so sehr, wie noch vor ein paar Jahren (das Handyklingeln hingegen finde ich immer noch ätzend).
Den Einzug der mobilen Geräte in unseren Alltag als alleinige Erklärung für oben beschriebenes Verhalten zu bemühen, greift aber zu kurz. Auch dies ist eine Erkenntnis, die Intels Studie zutage gefördert hat. Über 50 Prozent der amerikanischen Studienteilnehmer gaben nämlich an, ständig per Telefon oder Mail erreichbar zu sein oder sein zu müssen, sei eine Reaktion auf den sich gewandelten (Arbeits-)Markt. Heutzutage würden Chefs, Kunden und andere, die etwas von einem wollen, erwarten, dass man 24/7 erreichbar sei – notfalls sogar im Urlaub. Eine Auffassung, die ich nicht nur nachvollziehbar finde, sondern sogar teile.
Aber was will Intel mit diesen Infos? Hm. Es gibt zwar eine Erklärung, aber die will mir nicht so ganz einleuchten. Demnach versucht Intel herauszufinden, in welchen Situationen zukünftig mobile Geräte zum Einsatz kommen, um die Herstellung der Mikrochips diesem Umfeld bzw. diesen Anforderungen anpassen zu können. Nun gut, wenn’s so ist. Was mich ohnehin viel mehr interessiert, ist, wie ihr die Ergebnisse der Studie bewertet. Jeder, der sich bis zum Ende dieses Artikels durchgekämpft hat, hat doch sicher eine Meinung dazu, oder?
(Marek Hoffmann)