Herrlich! Das habe ich mir so lange gewünscht, der Online-Wahlkampf biegt ab in die heiße Phase: Erwartet Esprit, Witz und jede Menge überraschende Wendungen auf den einschlägigen Portalen! Wir zeigen den Amerikanern, wie man „Yes, we can!“ hier schon lange verinnerlicht hat!
Als Speerspitze in der Politik 2.0 will sich hierzulande bekannterweise das VZ-Netzwerk mit der Wahlzentrale etablieren. Bislang wurden fünf Polit-Promis vor die Kamera gezerrt, unter anderem die Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU), Arbeitsminister Olaf Scholz (SPD), Cem Özdemir von den Grünen und Herr von und zu Superminister Guttenberg (CSU), um zu so wichtigen gesellschaftspolitischen Fragen Stellung zu beziehen, wie:
„Welches Haargel benutzen Sie?“
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„Was ist Ihr Lieblingssong von Michael Jackson?“
Oder auch:
„Gehen Sie eigentlich im Dirndl zur Arbeit?“
Das ist jung und flippig – das kommt an! In der sechsten Folge konnten die VZ-Interviewer sich dann in der Königsdiziplin üben: Man hatte Angela Merkel eingeladen – und sollte der Ort des Geschehens tatsächlich dort sein, wo ich es vermute, so wundere ich mich über das muffige Berliner VZ-Hauptquartier, in dem alle Mitarbeiter verdonnert werden, orange T-Shirts zu tragen. Lasst mich zudem vorausschicken, dass sowohl der Interviewer als auch die Kanzlerin aussehen, als hätten sie zuvor mit mäßigem Erfolg jeweils einen neuen Selbstbräuner ausprobiert.
Die Quizrunde bekam ihre Impulse durch den „Frag Angie“-Button, den das „teAM Deutschland der CDU“ zur Verfügung gestellt hatte und über den Nutzer ihre Fragen einsenden konnten. Geduldig antwortet Merkel auf alle acht angesprochenen Problemfelder, wobei sie nie länger als 90 Sekunden bei einem verbleibt – bei der Frage nach „Kinderschändern“ schafft sie es auch in der Hälfte der Zeit.
Zum Thema „Piratenpartei“ weiß sie zu sagen: „Wir können das Internet nicht ausnehmen von unserem Grundgesetz und deshalb findet die Meinungsfreiheit dort ihre Grenze, wo unsere Grundrechte in Frage gestellt werden.“ Immerhin sei es ja auch in der Offline-Welt so mit „gegenständlichen Produkten“, deren „Designer“ ihre Patentrechte geschützt haben. Hä? Abgesehen davon, dass ich eine Argumentation gegen Diebstahl geschützter Dokumente sowieso eher selten mit dem Begriff „Meinungsfreiheit“ in Verbindung gesehen habe.
Alle anderen Interviews von Merkel findet ihr aktuell in der Wahlzentrale. Freut euch außerdem in den verbleibenden Tagen bis zur Bundestagswahl über zusammengestückelte Plattitüden-Sammlungen aus den Mündern von Frank-Walter Steinmeier, Guido Westerwelle, Renate Künast und Gregor Gysi. Ne, ehrlich. Wie kann man einen erfrischenden Online-Wahlkampf ankündigen und dann so dermaßen platt, so dermaßen ansprachslos und dermaßen Web 1.0 das alte TV-Gehabe im Videocast raushängen lassen?
(André Vatter)
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