Wir erinnern uns: Der Bundestagsabgeordnete Jörg Tauss hat vor knapp zwei Wochen der SPD auf Nimmerwiedersehen gesagt und hat sich der Piratenpartei angeschlossen. Der Grund für seine Entscheidung: das vom Bundestag abgesegnete Gesetz zur Sperre von Webseiten mit kinderpornographischen Inhalten. „Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität sind die Grundwerte, denen ich mich auch in Zukunft verpflichtet fühle“, schreibt der Ex-Genosse auf seiner Homepage. Stück für Stück habe sich die SPD von einer Bürgerrechtspartei zu einer Steigbügelhalterin der Union entwickelt. Besonders auf dem Feld der Innen-, Rechts- und Internetpolitik gebe es in seiner ehemaligen Partei schlimme Fehlentwicklungen.
Seit seinem SPD-Austritt war der Internetexperte nicht untätig. Er gab Interviews, twitterte fleißig (fast 7.000 Follower) und hat gestern vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ein sogenanntes Organstreitverfahren auf den Weg gebracht, um das Zustandekommen des Zugangserschwerungsgesetztes überprüfen zu lassen. Allerdings geht es bei dem Verfahren nicht inhaltlich um das Zensursula-Gesetz, sondern um das parlamentarische Gesetzgebungsverfahren hierzu. Im Klartext: Es geht um die Frage, ob der Bundestag seine Rechte und Pflichten verletzt hat. Demnach hätte die Gesetzesvorlage gemäß der Geschäftsordnung des Bundestages in drei Lesungen diskutiert werden müssen. Aufgrund der substanziellen Veränderungen der ursprünglichen Gesetzesvorlage (eigentlich hätte das Telemediengesetz erweitert werden sollen, stattdessen wurde mit dem Zugangserschwerungssetz ein neues Spezialgesetz verabschiedet) sei laut Geschäftsordnung eine neue, erste Lesung erforderlich gewesen. Und die habe allerdings nie stattgefunden, so Tauss.
Ursprünglich wollte auch der FDP-Abgeordnete Max Stadler deswegen den Schritt nach Karlsruhe wagen. Nun will die Fraktion davon allerdings nichts mehr wissen. Genauso wenig wie seine Bundestagskollegen aus den Reihen der Linken und Grünen, die bei der Abstimmung gegen das Zensursula-Gesetz votiert haben.
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Unabhängig von der Entscheidung der Verfassungsrichter arbeiten derzeit zahlreiche Gegner der Internetsperren an inhaltlichen Klagen vor dem obersten deutschen Gerichtshof, da die Einschränkung der im Grundgesetz verankerten Meinungs- und Informationsfreiheit nicht zulässig sei und das erklärte Ziel „Bekämpfung von Kinderpornografie im Internet“ mit dem Gesetz nicht erreicht werden könne.
Technischen Rückenwind gibt es von der Internetbehörde ICANN. Gegenüber Heise Online hat der ehemalige Vorstandsvorsitzende Peter Dengate Thrush Internetsperren als „hoffnungslose Sache“ bezeichnet, da sie leicht umgangen werden könnten. Das Statement des Experten bezog sich allerdings nicht auf die Pläne der Bundesregierung, sondern auf die Ankündigung der Australier, künftig ebenfalls das Internet filtern zu wollen. Macht aber nichts, denn die Technik dahinter ist im Prinzip die gleiche. Peter Dengate-Thrusth spricht in diesem Zusammenhang übrigens von einer beträchtlichen Blamage für die Regierung.
(Michael Friedrichs)