Google kann es nicht lassen, den etablierten Medien hin und wieder mal kräftig vor das Schienenbein zu treten. Mit Google News praktiziert die Suchmaschine laut Hubert Burda bereits eine „schleichende Enteignung“ der Verlagshäuser, doch was nun auf die berichtende Zunft zukommt, dürfte dem noch ein kleines Krönchen aufsetzen. Google will mittels YouTube zur Online-Journalistenschule mutieren, in der jeder Nutzer kostenlos Stunden in Recherche, Interview und im Erstellen von Beiträgen nehmen kann.
Hintergrund des Vorhabens seien die Erfahrungen, die mit Bürgerjournalismus im Iran gesammelt wurden. „Als hunderttausende Iraner in den Straßen Teherans gegen die Wahlen demonstrierten, warf die Regierung ausländische Journalisten aus dem Land – so dass die Bürger als einzige Zeugen über die Geschehnisse berichten konnten“, heißt es im Blog. Auch andere Beispiele werden herangezogen, etwa die Proteste von Myanmar oder die Erdbebenkatastrophe von Sichuan. Der Unterricht findet auf der neu eingerichteten Seite „Reporters‘ Center“ statt und besteht hauptsächlich aus Videoratschlägen diverser TV-Redakteure – Google hat es sogar geschafft, das Watergate-Urgestein Bob Woodward fünf Minuten lang über investigativen Journalismus sprechen zu lassen.
Was davon zu halten ist? Eigentlich müsste an dieser Stelle der obligatorische Aufreger über den wild grassierenden Bürgerjournalismus im Mitmachnetz stehen: Ist es nicht unverantwortlich, Möchtegern-Reporter nach einem zweiminütigen Vortrag über Ethik im Journalismus auf die Straße zu schicken? Brauchen wir wirklich noch mehr verwackelte Aufnahmen von Autounfällen auf YouTube? Die Aufgabe des Journalisten besteht nicht nur darin, zu berichten. Seine Aufgaben bestehen auch darin, die Geschehnisse einzuordnen, zu deuten und zu bewerten. Und das ist ein Handwerk, das erlernt sein will und nicht in einem Crash-Kurs à la „Wie schaffe ich es, im Fernsehen nicht wie ein Idiot zu klingen“ vermittelt werden kann. Was YouTube da plant, ist entfesselter Bürgerjournalismus im Sinne der fragwürdigen Bild-Reporter – nur in millionenfacher Potenz.
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Auf der anderen Seite: Was soll man machen, wenn Ahmadinedschad den Finger hebt und damit alle Korrespondenten über die Landesgrenzen scheucht? Tagesschau und Co. wären bei der Iran-Berichterstattung in den vergangenen Tagen aufgeschmissen gewesen, wäre YouTube nicht bereitwilliger Lieferant von Bildmaterial gewesen. Wenn Zensur die offiziellen Kanäle schließt, sind eben die inoffiziellen gefragt – offenbar auch, wenn sich diese nicht verifizieren lassen.
(André Vatter)
Ja sauber. Wenn das hilft, dass man aus dem Iran mehr als verwackelte Bilder von Demonstrationen kriegt und vielleicht im selben Video noch ein paar Infos stecken, die sonst getwittert würden, bin ich dafür!
Die Berichterstattung von Youtube und seinen Usern ist jawohl kaum zu vergleichen mit dem was richtige Journalisten leisten. Solange diese natürlich richtig ihren Job nachgehen und vernünftig recherchieren. Das ist nunmal echt ein Handwerk das man erlernen muss und Journalisten steht auch ein bestimmtes Budget zur Verfügung mit dem vernünftig Recherchieren kann.
Allerdings können die Massen die über den Aufstand im Iran berichten schon ein glaubwürdiges Bild nach draussen tragen, dafür muss man sich halt nur nicht auf ein Bericht/Film allein verlassen, sondern muss das ganze in einem Sehen und sich selber seinen Gesamtbild erstellen.
Das davon erst der Bürgerjournalismus entfesselt wird davon kann ja nicht die Rede sein. Auf Youtube und Twitter gab es schon davor jede Menge Aufnahmen und Nachrichten. Somit ist das ganze schon längst Realität. Wenn man denen nun noch hilfreiche Tips an die Hand gibt ihre Qualität zu verbessern ist das ein sehr lobenswerter Ansatz.
mit meinen news bin ich heute schon schneller als jede zeitung ,oder das fernsehen.
http://www.youtube.com/Pfalzbild
gruß horst
@4: …womit du ja eigentlich meine Befürchtungen bestätigt hast: http://www.youtube.com/watch?v=d5HQ8V7nqoc
„Brauchen wir wirklich noch mehr verwackelte Aufnahmen von Autounfällen auf YouTube?“
Darf ich fragen, ob du dich persönlich als Journalist siehst und auch so nennst? Und wenn ja, was glaubst du so ganz persönlich, wie viele deiner Mitjournalisten in irgendeiner Form an Ethik interessiert sind? Oder daran, Geschehnisse nicht nur zu berichten, sondern sie auch einzuordnen, zu deuten und zu bewerten? Wenn man wirklich anfangen würde, Journalisten nach diesen von dir genannten Funktionen zu gruppieren, dann wäre meines Erachtens der Haufen mit den geldgeilen, sensationsgierigen und karriereorientierten Geiern verdammt groß und unübersichtlich, und der andere Haufen wäre unsagbar klein.
Ich glaube kaum, dass die meisten Journalisten – und ich meine damit die große Mehrheit – deiner Definition stand halten würde. Die Wahrheit ist doch, dass man Bürgerjournalisten und Freizeitredakteure schon heute in den Reihen der angeblich ernsthaften Journalisten findet – und dass es Otto Normal einen Kehricht schert, wer die Bilder für die Tagesschau liefert.
Zeit wirds. Richtig Zeit. Die Bild Leserreporter, die verzeih ich dir jetzt mal als Stilmittel, dennoch hat das wirklich den touch das du den Leser in eine bestimmte richtung drücken willst.
Ich finds toll, wenn die Riesenmasse an zeugs was da draussen gemacht wird nur 2% besser wird, dann ist das 1000 mal mehr als sich die gesamte deutsche Verlagsszene in den letzten 2 Jahren verbessert hat.
@beide mes: Ja, ich verstehe mich in erster Linie als Journalist – doch der pauschale Vergleich mit den Kollegen hinkt gewaltig. Ich meine: Nur weil durchschnittlich 200 Ärzte in Deutschland mehr oder minder regelmäßig Pfusch begehen, heißt das doch auch nicht, dass jetzt jeder Bürger selbst das Skalpell in die Hand nehmen soll, oder?
Unsere Meinungen gehen bei dem Thema auseinander: Die „geldgeilen, sensationsgierigen und karriereorientierten Geier“ sehe ich weniger, als die tatsächlich hart arbeitenden (ich rede hier vom Qualitätsjournalismus) Redakteure. Dass die Qualität allerdings in der Printkrise die Abkürzung nach unten nimmt – da gehe ich gerne mit. Das hat aber weniger mit mangelndem Idealismus zu tun, als mit dem Druck vom Verleger und dem ständig drohenden Redaktionsabbau.
Die Aufgaben des Journalismus sind die oben beschriebenen: Dass das ein idealer Wert ist, der nur punktuell erreicht wird, ist mir auch klar – doch er besteht. Beim Bürger hingegen nicht. Hier spielen viele Faktoren mit, Unerfahrenheit ist zum Beispiel einer davon – oder mangelnde Objektivität. Ich kann schreiben: „Tödlicher Unfall: Spaziergänger geriet in die Schusslinie der Polizei“ – oder eben: „Polizist erschießt mutmaßlichen Taschenräuber auf der Flucht.“ Der professionelle Journalismus filtert nicht, denn dafür gibt es mittlerweile genügend Medien, alles wird angesprochen. Doch Infos alleine genügen nicht: Was bringt’s mir, wenn ich von tausend Stimmen höre, dass sie im Iran lobenswerterweise auf die Straßen gehen – wenn ich nicht weiß warum.
Ich finde die Entwicklung des Bürgerjournalismus nicht verkehrt – als Blogger gehören wir ja nun auch nicht mehr zu den offiziellen Meinungsmachern, aber wir werden gehört. Doch dazu gehört auch, dass der Leser umso kritischer mit den Quellen umgeht, Stichwort: „…dass es Otto Normal einen Kehricht schert, wer die Bilder für die Tagesschau liefert.“ Und hier sehe ich, wie du, eher mangelnde Medienkompetenz an der Tagesordnung. Ich meine, laut Twitter ist Patrick Swayze schon vor Wochen gestorben.
P.S.: Nach einem Autounfall die Kamera zu zücken und auf die verschwitzten Sanitäter draufzuhalten, finde ich unter aller Sau – ob im Bürger- oder Boulevard-Journalismus.
@ André Vatter: Sehr sehr schöner Kommentar. Der vielleicht beste in diesem Blog seit Februar dieses Jahres 😉 Weiter so!
@André: Sorry, aber der Vergleich mit den Ärzten hinkt gewaltig. Und das dürfte dir als „seriösem Journalisten“ doch sehr gut bewusst sein, oder? Niemand würde von sich aus behaupten, er wäre gut mit dem Skalpell oder kann damit – möglicherweise auch noch sich selbst – behandeln. Aber klar, wenn man irgendwelche hanebüchenen Vergleiche anstellt, um damit seinen eigenen Standpunkt zu untermauern, dann ist kein Vergleich zu absurd.
Und jetzt frag‘ dich mal, warum die Leute glauben, sie könnten schreiben? Vielleicht, weil einige genau das auch können. Und warum glauben sie das? Weil die Journaille ihnen das vormacht. Was Bild kann (und andere auch – da ist Bild beileibe nicht alleine), können wir schon lange… und damit haben sie meines Erachtens auch recht. Und dass jetzt jeder „seriöse“ Journalist auf die Barrikaden geht, weil a) ihm das Wasser abgegraben wird und b) sein Job damit einer starken Veränderung unterzogen wird, auf die er sich nicht einstellen kann und will, ist in unseren heutigen Zeiten vollkommen normal. Wenn irgendwelche Bauarbeiter mit billiger Konkurrenz aus dem Osten konfrontiert sind oder Arbeiter aus der Produktion ihren Job verlieren, weil ihr Arbeitsplatz nach Rumänien ausgelagert wird, tja dann sind wir schnell dabei zu sagen „Stell dich um!“ oder „Hättest du was Ordentliches gelernt!“. Diese Sprüche gelten aber für alle Branchen und Berufe, und meines Erachtens sollten doch gerade „seriöse“ Journalisten weniger heulen als sich den Herausforderungen ihrer Arbeit stellen. Genauso wie die Ärzte, denen zwar noch niemand davon gelaufen ist, weil er sich selber operiert hat, aber die durchaus auch starken Gegenwind spüren.
@10: Ich hab nirgendwo „geheult“, sondern differenziert argumentiert. 🙂
Für weitere Infos guckst du hier: https://www.basicthinking.de/blog/2009/06/26/das-jahr-2009-blogs-werden-endlich-wahrgenommen/
😉
Ich werd irgendwie sauer, deswegen erst mal ein kleines Zitat aus der Titanic:
Nur – wo bekommen Eure Angestellten denn dann demnächst ihre »Hintergrundinformationen« her, wenn sie nicht einfach bei Wikipedia abpinnen dürfen?
http://www.titanic-magazin.de/badl_0907.html
Wir durften euch die Wikipedia schreiben, wir durften für euch die Webserver, Betriebssysteme, Programmiersprachen entwickeln? Das alles haben Gruppen von Leuten gemacht die nicht bezahlt wurden (großteils), die es aus Interesse getan haben, die auch mal noch keine Profis waren.
Alle diese Produkte wäre ohne den Crowd-Faktor nicht denkbar und nicht zu entwickeln gewesen, alles das ist erst die Grundlage für das was du hier mit Bürgerjournalismus betitelst. Ich frage mich ob diese Bewegung überhaupt noch den Suffix Journalismus benötigt. Das deuten und interpretieren von Informationen, inkl. der Bewertung und Abwägung von Quellen fällt so manchem 13-Järigen Kiddie viel einfacher als so manchem 40-Jährigen Journalisten. Die glauben dann nicht das P.Swazy tot ist.
Wie kann sich ein Journalist überhaupt mit einem Arzt gleichstellen, der hat einen hypokratischen Eid, ihr wollt noch fuers Zitat kassieren demnächst? Wie könnt ihr es wagen euch (siehe Burda) als die Vierte Gewalt zu bezeichnen (das Versagen bei der zensursula-debatte zeigt mir das ihr es nicht annähernd seit).
Was erlaube ?
Die selben Typen die uns mit Bild, Bunte, Gala und Co. eindecken labern was von Qualitätsjournalismus? Ihr meint ihr könnt von eurem hohen Ross behaupten das Leute auf Youtube wie Idioten klingen? Sacht mal haltet ihr uns für komplett durch?
Und Fuck Yeah, Formatsterben (Achtung Internetmeme, keine Beleidigung) was sind denn für Blätter vom Kiosk verschwunden? Wo ist denn das große Qualitätsblatt das gestorben ist das keiner ersetzen kann, das nicht redundant vorhanden ist?
http://www.opensourcecinema.org/project/rip2.0
Netzkultur geht eben viel weiter als die Schlafmützen in den Redaktionssitzungen selbst begreifen, der Bürger überholt den Journalisten was Arbeitsmittel, Zugang zu Informationen und auch Publikationsmöglichkeiten angeht.
Youtubes Reporterschule…
Für all die Hobby-Reporter unter euch hat sich Youtube ein paar Tipps von Journalisten geben lassen und diese auf Video gebannt. Das ganze nennt sich “reporterscenter“. Das Startvideo ist von einem älteren Mann, der mal bei der Washingto…
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