Aufregung um das Online-Gästebuch von Bundespräsident Horst Köhler. In verschiedenen Blogs sind jetzt Vorwürfe laut worden, dass die zuständigen Mitarbeiter im Bundespräsidialamt zahlreiche Zensursula-Einträge nicht freigeschaltet, beziehungsweise nachträglich wieder gelöscht haben sollen. Der Hintergrund: Vor einer Woche wurde im Bundestag die Einführung von Internetsperren beschlossen. Daraufhin haben einige Blogs ihre Leser dazu aufgerufen, sich über das Gästebuch an den Bundespräsidenten zu wenden und auf diese Weise an ihn zu appellieren, das umstrittene Gesetz nicht zu unterzeichnen.
Am 22.06. war noch keiner der Einträge im Gästebuch erschienen. Am 23.06. wurden dann zehn Einträge freigeschaltet: Neun gegen das Zensurgesetz und einer wegen Afghanistan. Am 25.06. wurden davon mindestens sechs wieder entfernt – alles solche die gegen Netzsperren waren. Jetzt sind gerade mal vier Gästebucheinträge freigeschaltet, die sich gegen das Zensurgesetz richten. Weniger als vor zwei Tagen und nur ein Bruchteil der gemachten Eintragungen gegen das Gesetz.
Weiter heißt es:
So, jetzt wird es noch merkwürdiger. Heute sind mal wieder keine Einträge hinzugekommen. Aber dafür sind ein paar entfernt worden. So wie ich das überblicke sind nur Einträge gegen das Zugangserschwerungsgesetz entfernt worden. Der Protest gegen das Gesetz (4 Einträge, davon einer uneindeutig) erscheint im Gästebuch nur noch als einer von vielen – neben Afghanistan (3 Einträge) und Überwachung im Allgemeinen (1 Eintrag) und Iran (1 Eintrag). Das war gestern noch deutlich anders (siehe Google-Cache-Link). Wieso wurden Gästebucheinträge gegen das Gesetz gelöscht und noch viel mehr erst gar nicht angezeigt?
Unmut zu diesem Thema gibt es auch bei Fefe:
Köhler hat die ganzen Zensursula-Beiträge in seinem Gästebuch wieder gelöscht. Das waren gefühlte 100 Stück vom 19. und 20. Juni. Der hat sich wohl gedacht, hey, Michael Jackson ist tot, damit sind die Leute alle abgelenkt. Schnell weg damit, bevor das im Google Cache oder bei archive.org landet!
Mittlerweile hat sich auch die Pressestelle des Bundespräsidenten zu diesem Thema zu Wort gemeldet. Laut den Nutzungshinweisen im Gästebuch werden lediglich ausgewählte Einträge von Zeit zu Zeit veröffentlicht. Nicht veröffentlicht werden beispielsweise sich wiederholende Beiträge zum demselben Thema oder mehrere Einträge von demselben Verfasser. Einen Zensurverdacht sehe die Pressestelle hier nicht.
Auf das Thema Löschung von bereits veröffentlichten Beiträgen geht die Pressestelle allerdings nicht ein. Ich habe deshalb dort nochmal telefonisch nachgefragt:
Das Gästebuch ist dazu gedacht, Kommentaren, Anregungen und Meinungen zu den verschiedensten Themen, die mit dem Amt des Bundespräsidenten in Verbindung stehen, ein öffentliches Forum zu bieten. Dazu gehören durchaus auch kritische Beiträge. Zum Thema „Kritik am Zugangserschwerungsgesetz“ wurden zahlreiche Einträge veröffentlicht. Da dies dazu führte, dass seitenweise nur noch Beiträge zum selben Thema zu lesen waren, haben wir uns entschieden, die Breite der Debatte ohne Redundanzen abzubilden, um den Lesern des Gästebuches den Zugang zu einer größeren Vielfalt von Themen nicht unnötig zu erschweren.
Ich frage mich nach dieser Ansage jedenfalls, welchen Sinn es macht, einen Gästebuch-Eintrag bei Horst Köhler zu hinterlassen, wenn mein Anliegen im digitalen Nirvana landet, weil sich schon drei Schreiber vor mir zu diesem Thema zu Wort gemeldet haben. Repräsentativ hin oder her – unter einem Gästebuch stelle ich mir irgendwie etwas anders vor. Was meint ihr?
(Michael Friedrichs)