Ahmadinedschad hat die Schotten dicht gemacht – im Internet, genauso wie in Teheran. Netz und Stadt gleichen nach dem umstrittenen Wahlergebnis einer Festung. Doch die Mussawi-Anhänger lassen nicht locker und ignorieren sowohl das Demonstrationsverbot als auch die eingerichteten Netzsperren – gut, dass es Proxies gibt. Und gut, dass es Twitter gibt. Der „SMS-Kurznachrichtendienst“, wie Tom Buhrow Twitter gestern in den Tagesthemen nannte, ist im Iran zum wichtigsten Nachrichten- und Kommunikationskanal geworden. Beinahe minütlich verlassen 140 Zeichen große Momentaufnahmen mit dem Hash-Tag #Iranelection das Land: „Wir hören, dass sämtliche Visa ausländischer Besucher von der Regierung ungültig erklärt wurden.“ (Link) Oder: „Jeder, der eine Kamera oder einen Laptop bei sich trägt, wird in den Straßen angegriffen.“ (Link). Oder: „Wir haben elf Krankenhäuser in Teheran kontaktiert – alle berichten von großen Zunahmen bei den Verletzten.“ (Link).
Mittlerweile überschwemmen Meldungen wie diese die Twittersphäre, allein die Hälfte aller „Trending Topics“ hängt mit den Reaktionen zur Iran-Wahl zusammen. Diesem Umstand ist es auch zu verdanken, dass der Hoster des Dienstes kurzfristig folgenden überraschenden Entschluss gefasst hat. Twitter-Chef Biz Stone schreibt dazu im Blog:
Unser Netzwerkpartner NTT America versteht die wichtige Rolle, die Twitter derzeit im Iran einnimmt: Die geplanten Wartungsarbeiten wurden deshalb auf morgen, 14 bis 15 Uhr (1.30 Uhr im Iran) verschoben.
In Krisenzeiten wie diesen gewinnt das Web 2.0 immer mehr an Macht: Die etablierten Medien schnappen neben den Stimmen ihrer Korrespondenten die getwitterten Mikroinformationen auf, bei den „Tagesthemen“ werden Zeugnisse in Form von YouTube-Videos aus der iranischen Hauptstadt eingespielt. Manchmal wendet sich die Gemeinde auch gegen die Journalisten – wie im Fall #CNNFail: Dem Nachrichtensender wurde vorgeworfen, die Berichterstattung über die Ereignisse in Teheran zu vernachlässigen. Innerhalb weniger Stunden wurde CNN dafür öffentlich gebrandmarkt, selbst eine eigene Website wurde zum Vorwurf eingerichtet.
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Doch es ist Vorsicht geboten. Wer die Tweets aus Teheran liest, läuft aufgrund ihrer scheinbaren Authentizität schnell Gefahr, sie auch tatsächlich für bare Münze zu nehmen. Ohne jetzt die große Moralkeule gegen den Bürgerjournalismus schwingen zu wollen: in einer unübersichtlichen Situation, wie sie derzeit im Iran herrscht, ist es schlicht unmöglich, einen Überblick über Verhaftungen, Tote, Verletzte und Blitzentscheidungen der Politik zu haben. Als Beispiel folgender Tweet: „confirmed – Tabriz – Baseej headqurters set fire – ‚many‘ dead #Iranelection (Link). Derweil ist auf CNN nichts davon zu lesen. Stattdessen liest man dort, dass genau sieben Menschen bei Schießereien auf der Demonstration ums Leben kamen. Gleichzeitig wird eingeräumt: „CNN has not been able to independently verify the report of the Monday night casualties.“ Die Wahrheit wird wohl irgendwo dazwischen liegen.
(André Vatter)