Innerhalb weniger Wochen hat sich die Situation grundlegend verändert. Ganze Städte sind in Bewegung. Die Bevölkerung ist vorwiegend zu Fuß unterwegs. Die Straßen sind durch zahlreiche Unfälle und durch die enorme Menge an Fahrzeugen restlos verstopft. Viele Menschen haben ihr notwendigstes Gut in ihren Händen und bewegen sich in einer Kolonne in Richtung Grenze. Selbst aus dieser Entfernung kann man noch die Schüsse hören. Die Behörden haben entgegen der offiziellen Aussagen die Lage noch immer nicht unter Kontrolle. Wir halten uns im Hintergrund und arbeiten vornehmlich mit kleinen, handlichen Geräten. Die Gefahr ist groß, aus der Menge herausgezogen zu werden. Immer wieder treffen wir auf Soldaten und gerade ist über uns ein Kampfflieger vorüber gezogen. Trotz aller Gefahren gelingt es uns immer wieder, einige Stimmen der Menschen einzufangen, und unseren Zuhörerinnen und Zuhörern ein Bild der Lage zu vermitteln.
Die Kämpfe dauern weiter an
Wann haben Sie von den ersten Unruhen gehört?
Über die offiziellen Medien gar nicht. Das Einzige, was wir hörten, waren Gerüchte. Aber Tatsachen gab es erst, als es sich kaum noch verheimlichen ließ. Vor einer Woche haben wir mitbekommen, dass unsere Nachbarn gewaltsam aus ihrer Wohnung geholt wurden. Wir haben uns nicht getraut nachzufragen, aber einige Tage später zog eine neue Familie dort ein. Wirklich wohl gefühlt haben wir uns daraufhin nicht mehr.
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Warum nicht?
Stellen Sie sich vor, dass ihr langjährigen Nachbarn mitten in der Nacht von der Polizei abgeholt werden und eine Woche später zieht eine Familie in genau dieses Haus ein. Kein Umzugswagen, keine Begrüßung, gar nichts. Uns war klar, dass etwas nicht stimmen konnte. Als wir zwei Tage später per Zufall eine versteckte Kamera in unserem Garten fanden, war uns klar, dass wir fort mussten.
Wie lange sind Sie schon unterwegs?
Insgesamt 4 Tage, davon die letzten 2 Tage zu Fuß. Die Autobahn war bereits nach kurzer Zeit restlos überfüllt. Also haben wir versucht, über die Landstraßen voranzukommen. Doch nachdem hier auch nichts mehr ging, haben wir das Notwendigste zusammen gepackt und sind seitdem auf uns selbst angewiesen. Aber wenn Sie sich hier umsehen, sind wir nicht die Einzigen.
Tausende von Flüchtlingen auf den Straßen
Haben Sie etwas von den Kämpfen mitbekommen?
Das Einzige, was wir mitbekommen haben, sind die staatlichen Repressalien. Schauen Sie sich doch nur mal um. Überall gibt es Spione, die nichts weiter tun, als unseren Volksvertretern mitzuteilen, wer potenziell gefährlich ist und wer nicht. Ihr Problem ist nur: Es sind zu viele von uns. Hier sind ganze Städte unterwegs. Vor uns Tausende, hinter uns Tausende. Und es ist nicht mehr weit bis zur Grenze. Dann schauen wir mal weiter.
Wir lassen den Mann und seine Familie weiterziehen. Zwischendurch teilt sich die Masse, um schwerer Artillerie Platz zu machen, die in die Städte fahren. Einmal hat ein Soldat von oben gezielt in die Menge geschossen. Sein Ziel war eine Gruppe von Journalisten, die mit uns versucht haben, die Meinung der Flüchtlinge aufzufangen. Zwei sind tot, die anderen Zwei mussten wir zurücklassen. Unsere Aufzeichnungen schicken wir in der Nacht via Satellit an die Sender. Tagsüber ist es einfach zu gefährlich. Hilfe können wir nicht erwarten. Sämtliche inneren Kommunikationskanäle werden überwacht. Die Transferraten sind langsam, aber sicher. Bislang wurden wir noch nicht entdeckt. Es wird Nacht. Wir melden uns morgen wieder.
Die Menge an Menschen hat über Nacht noch einmal zugenommen. Wir haben einen Polizisten in Uniform entdeckt, der ebenfalls in Richtung Grenze unterwegs ist. Wir sprechen ihn an.
Die Regierung bekämpft den Widerstand
Sind Sie auch unterwegs in Richtung Grenze?
Ich bin seit mehr als zwei Wochen unterwegs und versuche, den Menschen hier ein wenig Schutz zu bieten. Das Vorankommen ist natürlich nicht sehr einfach. Zum Einen müssen wir vorsichtig sein und zum Anderen ist es natürlich die schiere Menge an Menschen, die auf den Straßen sind. Wenn wir an der Grenze sind, werde ich hierbleiben, und meinen Teil dazu beitragen, die Menschen zu beschützen.
Beschützen? Vor wem? Den Terroristen?
Ach was Terroristen. Die Menschen sind die Einzigen, die noch etwas dafür tun, um unser Land von den wahren Monstern zu befreien. Wir haben uns das alles viel zu lange angesehen und ich nehme mich davon nicht aus. Doch wer hätte schon vor einigen Jahren ahnen können, dass es soweit kommen würde? Erst die Kontrolle über das Internet, dann die Kontrolle über die Medien. Lange Zeit habe ich unserem Staat vertraut und schlimme Dinge getan, um ihn zu unterstützen.
Was für Dinge?
Ich habe Menschen verhaftet, habe sie verhört. Wir hatten ja so etwas wie eine allumfassende Immunität, die uns geschützt hat. Keiner hat überhaupt etwas von den Dingen mitbekommen, die wir getan haben. Und wenn uns jemand mal danach gefragt hat, dann waren es eben die typischen Aussagen. Wir sagten einfach, die Leute hätten sich strafbar gemacht.
Die Menschen sind aus ihrer Lethargie erwacht
Wann wurden Sie skeptisch?
Da war es eigentlich schon fast zu spät. Irgendwann fiel auch uns auf, dass die Informationspolitik unserer Volksvertreter auch auf unserer Ebene manipuliert wurde. Es gab erste Hinweise darauf, dass einige Menschen, die wir verhaftet hatten, keinerlei Straftaten begangen hatten. Sie hatten lediglich die Staatsführung in ausländischen Medien kritisiert oder sich für eine Widerstandsbewegung eingesetzt. Zu Anfang ging es nur darum, Neuwahlen zu forcieren. Wir wussten davon nichts. Uns wurde gesagt, diese Menschen seien Verbrecher.
Haben Sie keine Angst mit uns zu sprechen?
Nein, davor habe ich keine Angst. Ich bin hier geboren und habe mein gesamtes Leben hier verbracht. In den letzten 10 Jahren hat sich so vieles verändert. Uns wurden Dinge erzählt, die angeblich nur für unser Bestes seien. Medien wurden zentralisiert, die unabhängige Presse wurde abgeschafft. Das Internet war nur noch über eine Anmeldung und Verifizierung möglich und jede Aktion wurde mitgeschnitten. Und doch waren wir alle blind. Fast alle.
Haben Sie noch Hoffnung?
Die Hoffnung lebt in jedem einzelnen Menschen, der lebt und weiß, wie es um die Freiheit in diesem Land bestellt ist. Einige Menschen flüchten, andere Menschen kämpfen. Aber eines werden wir alle niemals vergessen: Die Liebe zu unserem Land. Unsere sogenannten Politiker haben eine Grenze überschritten, als sie ihre Amtszeit auf Lebenszeit verlängert haben und sämtliche Kritik im Keim ersticken wollten. Wir werden es schaffen, da bin ich mir sicher.
Die Grenze ist erreicht
Wenige Stunden später ist es endlich soweit. Gemeinsam mit Tausenden von Menschen stehen wir an der Grenze zu Polen. Hinter uns hören wir noch immer die Gefechte – Frankfurt (Oder) ist noch umkämpftes Gebiet. Es gibt erste Gerüchte, dass das Regierungsgebäude von Freiheitskämpfern übernommen worden ist – mit großen Verlusten auf beiden Seiten. Wir werden uns noch einige wenige Stunden hier aufhalten und begeben uns dann in Richtung Lodz, wo wir unsere Kollegen vom Studio mit weiteren Informationen versorgen werden. Für TVP1 berichteten live Jakub Adamowicz und Bartłomiej Wójcik aus den umkämpften Gebieten in der Bundesrepublik Deutschland. Vielen Dank.
(Alper Iseri)