Hoppla, was ist denn da los? Pünktlich zum Tod des einstigen Holtzbrinck-Prunkstücks Zoomer.de regt sich in München neues Leben: Zeitjung, so der Name des Projektes, soll… ach, ne: Wir lassen direkt einmal die Macher zu Wort kommen:
Ganz nach dem Zeitjung-Motto: „anders, aktiv, artgerecht, aktuell“ spiegelt das von der Münchner Zeitjung GmbH & Co. KG ins Leben gerufene Portal die Interessen und Gedanken der jungen Zielgruppe der 16-24-jährigen „Berufsstarter“ wider. Das Besondere daran: Der Redaktionsstamm besteht, wie die Nutzer selbst aus Schülern, Azubis und Studenten.
Einer Pressemitteilung (September 2008) zufolge, steckt die Agentur Das goldene Vlies hinter dem Laden. Leider weiß ich nicht, wie die rund 20 jungen Schreiber in die Redaktion gelockt wurden, aber ihr Selbstbewusstsein haben sie jedenfalls nicht an der Haustür abgegeben. In ihrer eigenen Vorstellung heißt es:
Zoomer geht und Zeitjung kommt. Die zeitliche Überschneidung hier ist reiner Zufall. Die Inhaltliche nicht. Holtzbrinck wusste nicht, wie man „junge“ Nachrichten macht. Oder sie wussten es, haben es sich aber nicht getraut. Wir glauben zu wissen, was das Geheimnis ist. Und wir haben den Mut, so zu schreiben, wie uns der Schnabel gewachsen ist.
Ahja. Na, dann schauen wir uns das Ding mal näher an. Zugegeben, auf dem ersten Blick sieht Zeitjung übersichtlicher als das verblichene Zoomer aus. Leider wurden die Namen der Ressorts aber auch hier wieder so abgefahren und hip ausgewählt, dass der unbedarfte Leser sich fragen muss, was denn beispielsweise hinter „Probezeit“ (vielleicht ein Azubi-Ratgeber?) oder „Zeitgefühl“ (Literatur meets Dr. Sommer?) steckt. Das redaktionelle News-Tagesgeschäft besteht aus kompilierten Netzberichten, wobei die einzelne Nachricht nie über einen Absatz hinauskommt – Info-Fastfood also, das bei der anvisierten Zielgruppe wirklich ankommen könnte. Bei den Hintergrundberichten herrscht in puncto Themenwahl ein wenig Chaos: Zwischenzeugnisse, David Bowie und der Valentinstag – mancher Artikel mutet wie aus dem Schulheft an.
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Andere Texte, wie jener über das Leben eines Workaholics, dem der Titel „Arbeit macht frei – oder nicht?“ (hoffentlich naiv) vorangestellt wurde, verursachen bei mir gerechtfertigte Schnappatmung (Geschichtsunterricht gibt es aber noch, oder?). Nächstes Beispiel? Hier kommt es: „Antisemitismus, Homophobie und Entwürdigung von Frauen gehören bei religionsgeprägten Menschen fast immer zur Tagesordnung“, heißt es in der Meldung (oder ist es ein Autorenkommentar?) „Bruderschaft des Grauens„. Ach, so. Wusste ich nicht. Muss dringend ein ernstes Wörtchen mit meiner Oma reden.
Ich denke, dieser Rundgang durch die Seiten kann bereits einen ersten Eindruck des neuen News-Portals vermitteln: Geben wir ihnen noch ein wenig Zeit – allzu lange würde ich mir als Leser jedoch nicht auf die Zunge beißen wollen. Zeigt uns lieber, dass „Schüler, Azubis und Studenten“ auch in diesen Tagen noch Interesse an Qualität haben – und vielleicht sollte Hansjörg Zimmermann (Geschäftsführer von Das goldene Vlies und nebenbei V.i.S.d.P. ) hin und wieder noch ein Auge drauf haben, was seine Eleven mit jugendlichem Leichtsinn Esprit dem Publikum vorsetzen.
Anmerkung: Der Titel des Workaholic-Artikels wurde mittlerweile verändert. Puh.
Update:
Autsch – Zeitjung hat reagiert und eine Stellungnahme zu den Vorwürfen verfasst, in der unter anderem zu lesen ist:
Doch eins müssen wir loswerden: Wir haben uns erschrocken! Darüber, wie schnell man heute noch – im Jahr 2009 – in die braune Schublade gesteckt wird.
Nun ja, vielleicht nicht in die „braune“, sondern in die „unkritische“ – mein Gott, noch vor wenigen Tagen erlebten Tchibo und Esso ein PR- und Image-Desaster („Jedem den Seinen“) sondergleichen. Davon müsste auch etwas nach München gedrungen sein.
(André Vatter)