Der Satz auf Kieslichdaily hat mich zum Nachdenken gebracht:
Vielleicht ist aber diese vermutlich letzte Fahrt der Lexikon-Titanic auch ein Denkanstoß für alle Leser, darüber nachzudenken, was Qualitätsjournalismus Wert ist.
Quelle: Das war’s dann mit dem Lexikon – oder doch nicht? Im Artikel geht es um das Thema Brockhaus, dessen Geschichte und Niedergang. Aufhänger ist die Übernahme durch Bertelsmann.
Und? Die im Artikel zum Tragen kommende Wehmut führt mich zum Gedanken, was Informationen auf bedrucktem Papier und im Netz unterscheidet. Beginnen wir mit dem Punkt „Wertigkeit“ in den Augen eines Verbrauchers. Wie könnte er wohl denken? Jemand, der sich die Mühe und den nicht unbeachtlichen, finanziellen Aufwand je nach Auflage macht, Informationen zu Papier zu bringen und zu verteilen, ist einer anderen Wertigkeit ausgesetzt als jemand, der Informationen im Netz speichert und veröffentlicht. Die Hürde ist ungleich größer, sich den Aufwendungsrisiken auszusetzen. Der Produzent wird sich sicherlich genau überlegen, was er zu Papier bringt, um nicht auf den Kosten sitzen zu bleiben.
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Üblicherweise ist beim Papierformat als „Datenträger“ davon die Rede, dass es sich haptischer anfühlt und auch bequemer ist. Gegenüber dem Datenträger „Internet“. Dieses Argument wird immer wieder gerne angeführt, um das Aussterben von Papier als Datenträger zu negieren. Ökonomisch betrachtet haben Objekte jedoch nur dann einen Wert, wenn sie entweder knapp sind oder allgemein gesprochen als „wertig“ empfunden werden. Haptik und Bequemlichkeit sind lediglich Randeigenschaften, die ein derartiges Wertigkeitsgefühl fördern. Der Nutzer bewertet Objekte nach ihrer gefühlten Wertigkeit. Und wird selbstverständlich -bleiben wir im obigen Beispiel- einem Brockhaus einen höheren Wert beimessen als der Wikipedia. Die Wikipedia liegt eben „lediglich“ elektronisch vor. Der Brockhaus aber, als dicker Schinken im Buchregal, unterliegt einem finanziell und organisatorisch gesehen sehr aufwendigen Produktionsprozess, in der Vorstellung der Menschen.
Würde man einen Test machen und die Menschen auf der Straße dem Brockhaus ein Preisschildchen geben müssen, würde der Preis mit Sicherheit wesentlich höher ausfallen. Gegenüber dem Preisschild, das auf der Wikipedia-Seite bzw. dem PC-Bildschirm klebt. Obgleich die Zeitaufwendungen, die in die Wikipedia investiert wurden, mit hoher Wahrscheinlichkeit die Aufwendungen von Brockhaus übertreffen. Doch wer sagt, dass der Mensch rational denkt? Zudem, wie soll er die kumulativen Zeiteinheiten der Wikipedia erfassen? Das macht sich an keinem physischen Erfahrungsobjekt fest, um ein Gefühl dafür entwickeln zu können. Er kann die Dicke der Wikipedia nicht sehen! So ahnt er lediglich aufgrund seiner Erfahrungen, dass die Produktion eines Buchs unbedingt teurer sein muss als die Produktion einer Webseite, egal welche Informationen auf der Webseite gespeichert wurden. Und er ahnt, dass man qualitativ hochwertige Informationen zusammenstellen muss, um die Kosten für den papierhaften Produktionsprozess wieder reinzuholen. Dieses Risiko muss wohl im Netz wesentlich geringer sein.
Kommen wir zu den Punkten Beliebigkeit und Flüchtigkeit: Wir hatten es kurz angesprochen, dass Güter je nach Knappheit bewertet werden. Wenn ein Gut jedermann und überall produzieren kann, ist es nicht mehr knapp! Und die Wertigkeit dessen fällt. Das können wir wunderbar bei CDs und MP3-Files beobachten. Wo vorher die Menge der CDs in einem Musikladen begrenzt war (wir sprechen immer wieder von dem, was der Mensch in seinem persönlichen Umfeld sieht und erfährt), wurde er über das Web mit einer brutalen Anzahl von frei verfügbaren MP3-Files förmlich erschlagen. Und dieses „Gut MP3“ soll knapp sein? Es ist beliebig und flüchtig geworden. David Bowie sprach davon, dass Musik zu einer „Commodity“ (= beliebige Massenware, Gebrauchsgut) geworden sei. Dazu die Wikipedia:
Commoditization occurs as a goods or services market loses differentiation across its supply base, often by the diffusion of the intellectual capital necessary to acquire or produce it efficiently. As such, goods that formerly carried premium margins for market participants have become commodities, such as generic pharmaceuticals and silicon chips.
Exakt dies unterscheidet Papierzeitungen, Papiermagazine wie auch Bücher von den Informationen im Netz. Sie scheinen eben nicht beliebig und flüchtig zu sein. Informationen werden im Netz zu einer Commodity. Es scheint weder ein hohes Investitionsrisiko bei der Produktion zu bestehen noch sind Informationen gefühlt knapp. Ich kann nicht beliebig viele Zeitungen in meinem regionalen Umfeld bekommen und auch nicht sehen. Im Netz bekomme ich, wenn ich will, sämtliche News (als eine Unterart der gesamten Informationsmenge) in einer täglichen Menge, die ich unmöglich verarbeiten kann.
Diese mentale Unterscheidung des Verbrauchers zwischen Informationen im Netz und auf Papier macht sich in der Praxis am Beispiel MyHeimat fest. Menschen schreiben zwar online ihren Artikel, aber im Bewusstsein, dass der Artikel in der lokalen Print-Ausgabe von MyHeimat erscheinen wird, strengen sie sich ungleich mehr an (siehe dazu den Artikel über MyHeimat, der auch auf dieses Phänomen eingeht). Es wirkt sich demnach nicht nur auf die Bewertungsschemata selbst aus, sondern auf konkrete Handlungsweisen.
Der Zusammenhang aus Wertigkeit, Beliebigkeit und Flüchtigkeit erklärt auch, warum das Web einen weitaus geringeren Werbeanteil hält, obwohl es heute mindestens genauso oft genutzt wird die TV, Radio und Print. Es liegt eben nicht an der Nutzung.
Und auch ein weiterer Punkt ergibt sich daraus: Oftmals wird in Diskussionen -gerade zum Thema Printjournalismus und Web- von Qualitätsunterschieden gesprochen. Das ist letztlich imho ebenso dem Wertigkeitsgefühl geschuldet. Die bloße Behauptung, Informationen im Print seien hochwertiger als im Web, wo jedermann einfach so „drucken“ darf und kann, sind nur vordergründige Argumente. Aber? Erneut kommt die Irrationalität den Menschen zum Tragen. Bricht man die gesamten Zeitaufwendungen auf die bloße Erstellung einer Information herunter und ließe die organisatorisch bedingten Produktionskosten außen vor (Druck, Vertrieb, Logistik, Werbung, Overhead eines Verlages), wird man schnell feststellen, dass ein Journalist wohl kaum mehr Zeit als ein Amateur = Netzmensch (ob Forenuser, Wikipedianer oder Blogger) aufwendet. Natürlich wird der irrationale Mensch das Argument der Qualitätskontrolle im Print anbringen. Aber darauf gehe ich jetzt nicht mehr ein.
Ergo? Tja, wenn ich das wüsste. Menschen justieren ihr Wertigkeitsgefühl aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen. Es kann demnach gut sein, dass die Nutzung des Internets zu einer grundsätzlich höheren Werteinschätzung führt, die digital hinterlegten Informationen mindestens den gleichen „Papierwert“ beimisst. Spätestens dann, wenn das Internet durch unterschiedliche Mobilisierungstechniken zum Menschen kommt und nicht mehr der Mensch zum PC muss, wird es sich spürbar verschieben.