anlässlich des Postings „Türkei – Deutschland“ fielen mir die zahlreichen Kommentare der türkischen Fans auf. Wenige davon musste ich editieren, da man „die Deutschen“ mit Nazis verglich, ab dafür. Viele andere zeigen jedoch eine erstaunliche klare Abgrenzung: Wir Türken, Ihr Deutsche, die über das rein Sportliche gefühlt hinausgeht. Ich selbst habe doch den Kroaten die Daumen gedrückt und „gegen die Deutschen“ getrommelt, ist das etwa was anderes? Um ehrlich zu sein, war es mir ziemlich wurst, ob nun die eine oder die andere Mannschaft gewinnt. Genauso trommel ich für Frankfurt, wenn sie gegen die Bayern spielen. Gewinnen sie, ist es super, gewinnen sie nicht, ist es schade, aber letztlich kommt es mir stets darauf an, ein schönes Fußballspiel zu sehen. Und gerade bei der EM handelt es sich um ein Turnier, was die Spannung um einige Potenzen erhöht, da kann man sich so herrlich reinsteigern.
Identifiziere ich mich dabei mit der kroatischen Mannschaft? Oder mit den Frankfurtern? Im sportlichen Sinne natürlich, aber im echten Leben ist mir das Jacke wie Hose, ob nun die Türken, die Russen, die Deutschen oder die Spanier am Ende die EM gewinnen.
Aber zurück zur Abgrenzungsarie: Für meinen Teil, da mag ich eine Ausnahme sein, ist der Lebensmittelpunkt nichts weiter als eine Geokordinate, die sich aus einem Längen- und einem Breitengrad zusammensetzt. Egal wo ich lebe, heiße ich Robert Basic und agiere in Anlehnung an die ortsbezogenen Sitten und Gebräuche, zum Teil bin ich angepasst, zum anderen Teil bin ich ein Individuum. Anders haben es mir meine Eltern nicht beigebracht, sich eben nicht als Fremdkörper zu empfinden und bewusst abzugrenzen. Und ich würde nie auf die Idee kommen, dass „die Deutschen“ allesamt Spackos sind, nur weil ich Ex-Kroate bzw. Ex-Jugo bin. Der Einzelne kann mir genehm oder unangenehm sein, das kann ich aber nicht an seiner Nationalität festmachen. Ich glaube, ich habe es schon einmal erzählt, aber damals zu meiner Einbürgerung (war ungefähr 18, glaube ich) hatte mir der Beamte gratuliert, ich war innerlich etwas irritiert, da ich in dem Moment das Ganze als formalen Akt eines Kennzeichenwechsels betrachtete (was ich bis heute nicht anders sehe).
Es kann auch gut sein, dass ich mit meinem Migrationshintergrund (immerhin war ich damals blutjunge vier Jahre alt, als ich nach D umgezogen bin) es auch nicht anders betrachten kann. Es gibt kein aufgesetztes Nationalgefühl. Hey, wenn in einem Stadion 30.000 Kehlen gemeinsam eine Nationalhymne anstimmen, so ist das ein erhabenes Gefühl, aber nicht wirklich anders wie bei einem Lifekonzert einer Rock-Gruppe. Denke ich aber an die Fahnen vor dem UNO-Gebäude, die da im Wind herumflattern, so sehe ich darin lediglich ein Zeichen unserer Rückständigkeit, territorial zu denken und zu agieren. Wir unterscheiden uns dabei nicht von anderen Spezies. Es ist ja auch in der Tat lächerlich, Menschen anhand von Sprache, Kultur und Grenzen voneinander abzugrenzen. Lächerlich mag es sein, aber anders funktioniert es wohl noch nicht besser. Wir lehnen ab, was anders ist. Das sagt uns unser steinzeitlicher Bauch. Unser Kopf mag was anderes sagen, aber unser Bauch regiert. Wir sind angewiesen auf gemeinsame, soziale Nenner. Das verschafft Sicherheit im sozialen Zusammenleben.
Neue Stellenangebote
Online-Manager / Onlinemarketing-Manager / Social-Media-Manager (m/w/d) UNIGLAS GmbH & Co. KG in Montabaur |
||
Content- & Social Media Manager:in (m/w/d) fischerAppelt in Hamburg |
||
Content Creator Social Media (m/w/d) Erlebnisbauernhof Gertrudenhof GmbH in Hürth |
Anders sein bedeutet Gefahr, bedeutet Abgrenzung, soziale Ausgrenzung. Sollte ich demnach im Kopf und im Bauch als Kroate herumlaufen, werden die Deutschen für mich genau das sein: „Ihr Deutsche, ihr seid anders als ich“. Je mehr ich mir das einrede, Angehöriger einer anderen, sozialen Gruppe mit einer Schnittmenge aus gemeinsamen Verhaltensweisen zu sein, umso mehr werde ich mich selber abgrenzen. Was aber ziemlich dämlich ist, so zu ticken, sorry. Ich bin an erster Stelle Robert Basic, der auf seine Umgebung reagiert und sich einigermaßen anzupassen versucht. „Die“ glauben an Allah? Gut, go for it. „Die“ anderen essen gerne Spaghetti? Schön, go for it. „Die“ anderen singen gerne Volkslieder zusammen? Go for it. „Die“ anderen stehen auf Baseball? Go for it. Ich mache mir das zu eigen, was mir persönlich gefällt. Auf der anderen Seite: Man rülpst und furzt nicht beim Essen? Gut, dann nicht. Man betritt nicht den Raum, ohne dem anderen die Hand zu geben und danach 3 Meter Abstand einzuhalten ist? Gut, dann ist es so. Wie, der andere ist ein Arschloch? Dann ist er das nicht deswegen, weil er ein Deutscher oder Türke oder Kroate ist, sondern weil derjenige als Person so ist:)
Will sagen, wir suchen stets nach gemeinsamen, sozialen Gruppen, um nicht außen vor zu stehen. Das kann man nicht ändern. Es aber auf das Gebilde „Nation“ zu abstrahieren und das zum Selbstzweck zu erheben ist wie gesagt in meinen Augen barbarisch, steinzeitlich und rückständig. Nur weil das soziale Gefüge einen Namen (Dorf, Kreis, Stadt, Bundesland, Nation X) braucht, um es als solches im täglichen Miteinander identifizieren zu können, heißt es noch lange nicht, dass es ein ehernes Gebilde ist, das über dem Einzelnen steht. Es ist lediglich das Ergebnis einer langen Geschichte von regional miteinander zusammenlebenden Menschen, die sich auf ein bestimmtes Zusammensein geeinigt haben, mal friedlich, häufig aber auch mit Gewalt (so zB idiotische, innerdeutsche Glaubenskriege). Die Beharrlichkeit, ein wie auch immer geartetes Gleichgewicht zu schützen, ist erstaunlich, aber ob der gewaltsamen Auseinandersetzungen, die dem vorausgegangen sind, nicht verwunderlich. In dieses System extern hinzukommende Menschen müssen sich in diesem Sozialsystem zurechtfinden, anpassen oder aber abgrenzen. Das System reagiert natürlich empfindlich auf solche Individuen. Sie stören das Gleichgewicht. Denn es bedeutet, dass das System selbst sich anpassen wird (keine Kultur in der Geschichte wurde nicht von anderen beeinflusst). Änderung bedeutet aber, sich dem Spiel der beharrlichen Kräfte als Gegenpol auszusetzen. Je mehr sie sich bewegen müssen, desto größer die Widerstände.
Und das ist die Krux: Solange man ein regionales Gebilde aus sozialen Gemeinsamkeiten als Selbstzweck betrachtet, als etwas Starres, als etwas über den Menschen Stehendes, solange erkennt und versteht man nicht, dass es ein andauernder Prozess ist. Der im Grunde keine Fixpunkte kennt. So gibt es nicht das Deutschland, es gibt nicht die Türkei, es gibt nicht die USA. Gesetze ändern sich, Sprache, Musik, Mode, Architektur, Wirtschaft, Politik, die Menschen ändern sich. Es gibt immer nur einen kurzen Zwischenstatus. Je beharrlicher man aber an den Status Quo glaubt, an die Nation, je mehr man sich allgemein an das eine imaginäre soziale Gemeinschaftsgefüge klammert, desto weniger ist man bereit, diesen steten Prozess zu akzeptieren. Oh, welch Wunder, wenn es einem schon schwer fällt, die Zahnpastatube nicht mehr in der Mitte auszudrücken:) Wir sind sowas beharrlich, uns im privaten Miteinander kaum ändern zu wollen, wie soll es denn dann in großen Gruppen sein? Das Problem der Beharrlichkeit potenziert sich ohnegleichen. Das Problem ist ein Kopf-Bauch-Problem.
So kann man sagen, dass es nicht um Integration geht, die kann es demnach nicht geben. Es geht um Desintegration, die zu einer gemeinsam Integration aller Individuen führt. Die Integration im Geiste, sich am Bestehenden festzuklammern – an den ominösen „Grundwerten“ einer Gesellschaft – gehört desintegriert. Wenn demnach ein Politiker nach Integration schreit, so sollte er lieber Desintregation im Kopf jedes einzelnen Bürgers meinen, ob „Ausländer“ oder „Inländer“. Integration ist falsch, sie setzt zu sehr darauf, dass man eine Gruppe von Menschen von A nach B bewegt. Und das B ist „das Land“, „das Gefüge“. Schmarrn, es gibt nicht das Land, es gibt nur die Menschen. Wenn mir also jetzt ein Türke ankommt und meint, wie toll es in der Türkei ist, so schlecht aber in D, wie stolz er auf „sein“ Land ist, geschissen drauf (setze von mir wegen jede, beliebige Nation ein, es geht nicht speziell um Türken, es geht um … alle). Umgekehrt ebenso. Es ist auch nicht besser in Kroatien, die Kroaten sind nicht besser, die Deutsche sind nicht besser, es gibt nur Menschen, die aufeinander zugehen wollen oder eben nicht. Auf das Miteinander kann man stolz sein, nicht auf einen depperten Begriff, der ein Territorium bezeichnet, an dem sich nur die klammern, die die Zahnpastatube partout in der Mitte ausdrücken wollen. Und ja bloß ihr soziales Gefüge nicht verändern wollen. Vielleicht liegt es wirklich daran, dass Menschen unbewusst dieses Gleichgewicht suchen und Änderungen ablehnen, weil Änderung Gefahr bedeutet, sich selbst nicht anpassen zu können (und die soziale Rolle ist den meisten Menschen so unglaublich wichtig, dass sie gar über Dinge und Besitz herausragen wollen) bzw. dass gar Gruppen kein Miteinander ohne größere Umwälzungen finden. Ich bin aber nicht bereit, so barbarisch zu denken, mich vom Bauch leiten zu lassen. Ich bin kein Stammesangehöriger. Ich kenne nur Menschen, keine Stämme. Stammesgebräuche sind zum Ändern da, nicht zum Einbetonieren.
Historisch gesehen war das Denken und Agieren in territorialen Einheiten eine relativ simple Gesetzmäßigkeit. Mangels Transport- und Kommunikationsmitteln konnte sich innerhalb eines Territoriums eine Gruppe von Menschen Zeit lassen, sich und ihr Zusammenleben zu definieren. Der NextGen Mensch wird jedoch in Zukunft zum NextGen Ausländer, so wird die simple Wahrheit überall gelten, dass wir überall Ausländer sind sozusagen:) Der Austausch von Gedanken, Ideen, Waren und Informationen jeglicher Art hat seit dem letzten Jahrhundert ungemein zugenommen. Es hat zwar nicht verhindert, dass dieses uralte Denken in Stämmen zu Kriegen führt, was aber lediglich am Timelag liegt, bis technische Hilfsmittel auch soziales Denken beeinflussen. Aber, und da bin ich mir sicher, führt es sichtbar und zunehmend zu einem übergreifenden Verständnis. Es gibt bereits schon heute keine Notwendigkeit mehr, sich ausschließlich über sein regionales Sozialsystem zu definieren und abzugrenzen. Die Erkenntnis, dass die Welt nicht nur aus einem Umkreis von 10 KM besteht, setzt sich durch. Es dauert eben, bis das in ein System mündet, dass lokale Duftmarken nicht mehr kennt.
Laut gedacht, keine Ahnung, ob das so einen Sinn ergibt.