Global Warming, die Pole schmelzen, die Gletscher auch, die Meeresspiegel steigen, gigantische Teile der Erde versteppen. So das Schreckensszenario der Klimaforscher. Nun lese ich just heute drei Artikel, die auf das gleiche Thema eingehen, in dem Falle eben ob der deutschen Blogosphäre.
Bernd Röthlingshöfer schreibt: Deutsche Blogs im Sinkflug:
Mittlerweile erkennt man es in den deutschen Blogcharts auf einen Blick. Alle Blogs verlieren. Und zwar ihr wichtigstes Gut: die Links. Nahezu alle der in den Top 100 aufgeführten Top Blogger haben ihren Höhepunkt bereits überschritten, bei einigen ist der Sinkflug gewaltig.
Auf Netzwertig.com könnte man die Theorie ableiten, dass Twitter mit am Link-Klimawandel schuld sei, folgt man den Aussagen der Kommentierenden, u.a Frank Westphal von Rivva:
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Ich müsste tatsächlich mal ein statistisches Bild zeichnen, doch von dem, was ich hier sehe, haben die Vitalfunktionen und der Verlinkungsgrad dramatisch abgenommen. Selbst große Themen schwappen einfach nicht mehr hoch. Das liegt jedoch an vielen Faktoren, können Twitter nicht die gesamte Schuld dafür zuschieben.
Thomas Frütel, langjähriger Blogger schreibt aus Sicht des Techbloggers:
Es scheint also durchaus auch hierzulande grosses Interesse an diesen Themen [Technik] zu geben, aber zu wenig Hubs, zentrale Anlaufstellen, die dieses Interesse bündeln können. Viele kleine B-Blogger schreiben über die neuesten Trends im Web, aber alle verlinken sie auf TechCrunch, anstatt auch mal untereinander. Könnte das die Ursache sein?
Mit Schuld an diesem Phänomen sei also auch das Verweisen auf ausländische statt inländische Blog-Quellen.
Um die Verlinkungsdichte hatte ich mir damals auch schon Gedanken gemacht, welche Rückschlüsse man auf das Werden der deutschen Blogosphäre ziehen kann (wie funktioniert Technorati I und Linkcount II).
In einem Folgebeitrag meinte Jens, der Macher der Deutschen Blogcharts, dass es sich um ein normales Auspendeln handeln würde, da es bis zur ersten Jahreshälfte 2007 viel mehr gemeinsame Themen gegeben hätte und demnach insb. die Topblogs als Hubs davon profitiert hätten. Diese Zentralthemen scheint es seitdem nicht mehr zu geben, so fallen die Linkcounts zahlreicher Topblogs, die nun einmal in den Deutsche Blogcharts erfasst werden.
In konkreten Zahlen, Grundlage sind die Deutschen Blogcharts: Betrachten wir die Peaks (den maximalen Linkcount eines Blogs, Spalte 6) und den jetzigen Linkcount der Top 100 Blogs (Spalte 4), um die es eben in den Deutschen Blogcharts geht, so ergibt sich ein negativer Gesamtsaldo von fast -16.000 Links. Im Durchschnitt ist ein Blog in den Charts ungefähr 71 Wochen alt, wobei damit nicht das Blog-Alter gemeint ist, sondern wie oft das Blog in den Charts war. Schauen wir uns das grafisch an.
Chart 1: Fluktuation und Wachwechsel?
Auf der X-Achse ist die Position von 1-100 (von links nach rechts) vermerkt und auf der Y-Achse wird das Alter des Blogs aufgezeigt, sprich wie oft war das Blog in den Charts (in Wochen gezählt)
die rote Linie stellt das durchschnittliche Vorkommen dar, 71 Wochen/Mal. Wie man sieht, gibt es durchaus Bewegung in den Blogcharts. Es sind nicht nur etablierte Blogs, die sich da festbeißen. Man kann also durchaus von einer Fluktuation sprechen. Nur, das weiß ich nicht, wie entwickelt sich die Fluktuation? Gibt es einen spürbaren Austauschprozess zwischen etablierten und jungen, wilden Blogs? Einen zunehmenden Austauschtrend? Dagegen spricht jedoch der dramatisch abgenommene Linkcount über alle Topblogs hinweg. Nahezu alle Blogs haben ihren Peak erreicht, mit Ausnahme von 10 Blogs.
Chart 2: Peak versus aktueller Linkcount
Das sieht man an folgender Grafik. Auf der X-Achse wiederum die Position 1-100 von links nach rechts, auf der Y-Achse die Differenz zwischen dem jetzigen Linkcount und dem Maximumwert. Je näher ein Balken an der X-Achse dran ist, umso mehr hat das Blog verloren. Je näher am Nullpunkt (rote, durchgehende Linie), umso eher hat sich der Linkcount gehalten oder ist weiterhin im zunehmenden Bereich.
Den Rekord hält das Bildblog inne, das mittlerweile von fast 1.200 Blogs gegenüber seinen besten Zeiten nicht mehr verlinkt wird. Im Schnitt haben die Topblogs 160 Bloglinks verloren (rote, gestrichelte Linie No.1). Und es fällt auf, dass eher die führenden Blogs weitaus mehr an Links als die weiter unten positionierten Blogs verloren haben. Insgesamt haben 30 Blogs mehr als 160 Links verloren, also überdurchschnittlich abnehmend. 10 Blogs befinden sich auf einem steigenden Ast. Und rund 70 Blogs sind irgendwo dazwischen.
Im Einzelnen, in 20er Schritten
Position 1-20: -4.865 Links, 95 Wochen Durchschnittsalter
Position 21-40: -4.569 Links, 86 Wochen
(Top 40 Blogs = 60% Anteil am gesamten Linkverlust)
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(Top 60 Blogs = 40% Anteil am gesamten Linkverlust)
Position 41-60: -1.810 Links, 62 Wochen
Position 61-80: -2.561 Links, 70 Wochen
Position 81-100: -2.139 Links, 44 Wochen
Fassen wir zusammen:
– fast alle oberen Topblogs haben an Links verloren, im Schnitt verweisen 160 Blogs weniger auf jeweils ein Topblog
– es gibt eine Fluktuation in den Charts, jedoch weisen auch neu bzw. erneut hinzugekommene Blogs nicht immer einen positiven Linkcount gegenüber dem Peak an
– wir wissen nicht, was mit den vielen anderen Blogs ist, da die Deutschen Blogcharts lediglich die 100 Topblogs zeigen
– folgt man Franks Aussage über Rivva, wo rund 500 Blogs als Leitmedium erfasst werden, macht sich dieser Klimawandel anscheinend auch tiefer bemerkbar, nicht nur an der Spitze
– Twitter wird als eine Ursache genannt
– eine andere Ursache sei der präferierte Verweis auf ausländische Blogs, die als Primärquelle bevorzugt werden
Mit Sicherheit (fragt mich nicht warum) wird Twitter einen Teil dazu beigetragen haben, dass sich Infojunkies vermehrt über das schnelle und knackige Twitter informieren. Wozu bloggen, wenn man das doch in Twitter viel einfacher und schneller haben kann (tweet -> replies -> re-tweet -> replies -> re-tweet)?
Ein anderer Aspekt ist aber noch wichtiger: Je reifer eine Blogosphäre wird, desto eher hat der jeweilige Blogger seine Peergroups von Gleichgesinnten gefunden, desto eher wird er seine Blogs kennen, die er gerne liest, desto geringer die Rolle der Topblogs als Hubs, wobei Quellen wie Rivva und Twitter ebenfalls ihre Rolle spielen. Aber nicht alle Topblogs sind Hubs, die Infos in ihrer Peergroup verteilen, beispielweise ist das Taxiblog mit Sicherheit kein Blog, das auf wichtige Neuigkeiten im Netz und im RL verweist.
Das muss man schon genauer betrachten: Ein Daily Soap Blog wie der Shopblogger, der Lawblogger usw verliert mit der Zeit seinen Reiz, unweigerlich, wie jede TV Soap auch. So mag es zwar sein, dass man einen Stammleserkreis hat, aber die anderen Blogger selbst sehen keinen Anlass mehr wie früher, auf dieses „frische“ Daily Soap Blog zu verlinken.
Hub-Blog als Informationsquellen dienen zunehmend aus, wenn sie denn nur auf andere Quellen verweisen, die Analyse und Interpretation aber auslassen (Beispiel Schockwellenreiter). Der Blogger wird eben über Hub-Blogs informiert, wo es gute Primärquellen gibt. Gar wo bessere Hub-Blogs sind (Beispiel Techcrunch: Wozu hierzulande auf Tech-Blogs verweisen, wenn Techcrunch eh alles schneller und besser weiß). Memetracker wie Rivva und Techmeme sind ebenfalls Killer für klassische Blog-Hubs. Diese good old cowboys sterben aus, da nun die Eisenbahn da ist?
Der bisherige Small-Talk wurde über Blog-Postings abgefackelt, das geht jedoch mit Twitter viel besser. Das Schmieröl ist aber der menschliche Faktor und extrem für Blog-Beziehungen wichtig, die sich nun einmal auch in Linkverweisen bemerkbar machen. Wenn nur noch sachlich, fachlich, tiefschürfend auf Blogs berichtet werden würde, so wandert eben das noch wichtigere Kneipengespräch (vernetzter Dialog zwischen den Blogs untereinander) nach Twitter ab. Und das Blog verliert weiter an Reiz. Social Life in Twitter und Information by Objectives in Blogs? Trennt man beides voneinander, ist das fatal für jedes Blog. Nur haben wir das Glück, dass Twitter weiß Gott nicht extrem genutzt wird, aber – und das ist entscheidend! – von den early adopters. Das bedeutet, dass mehr und mehr Topblogger in Twitter zu finden sind. Die late adopters nutzen kein Twitter, aber ein Blog. Nehme ich mal an. Dieser Gap kann dazu führen, dass die eher verlinkunsgfreudigen early adopters nicht mehr so stark aus ihrem Blog auf andere Blogs verlinken. Dieses Linkverhalten verstehen late adopers schon von sich aus weniger als Ausdruck eines bewußten, vernetzten Gesprächs. So wird zunehmend die Blogosphäre von den late adopters dominiert, was mit einer Abnahme der vernetzten Gespräche in großen Blog-Clustern einhergeht. Pure Annahme, kann ich nicht belegen.
Auch Fachblogs, die über ein zentrales Thema schreiben, werden mit der Zeit weniger verlinkunsgwürdig sein. Wozu, wenn andere Blogs ihre Leser auf dieses Blog immer wieder verwiesen haben? Die wissen das doch. Aber auch der bisher verlinkenden Blogger wird irgendwann von dem Thema genug haben, alles wurde gesagt, es kommt selten was Neues. Wozu aufgreifen? Nochmals durchdenken? Nochmals verweisen?
Und noch drei Punkte, Ausdifferenzierung, Blog-Wachstum und Typenwechsel: Je mehr Blogs es gibt, desto ausdifferenzierter zwar die Vernetzung, aber so verlinken eben die interessierten Blogger eben nicht mehr nur noch auf das eine Blog, sondern haben nun viele, weitere Alternativen. Und, eine abnehmende Verlinkunsgdichte spricht dafür, dass die Zahl der Blogs nicht mehr so sehr zunimmt wie früher, was aber auch daran liegen kann, dass neu hinzugekommene Blogger einem anderen Typus entsprechen. Nicht mehr dem early adopter, der proaktiv vernetzungsfreudig ist, sondern eine zweite Welle von Bloggern, die ihr Blog als ein Publikationsmedium mit einer geringeren Vernetzungsmotivation nutzen.